Kinotipp der Woche: Ständig neuer Krach
Mit scharfen Blick auf absurde Verhältnisse schuf Vĕra Chytilová Filme voller Satire und Sprengkraft. Die Reihe „Die Sprengmeisterin“ würdigt ihr Werk.
Ein Lärm, der sich kaum aushalten lässt, ständig neuer Krach, es wird gebohrt, gehämmert, geschrien. Vĕra Chytilovás „Panelstory aneb jak se rodí sídlištĕ“ („Geschichte der Wände oder wie eine Siedlung entsteht“) von 1979 zelebriert den permanenten Wahnsinn und mit ihm die Leute, die sich durch diese Zustände einen Alltag bahnen.
Sie alle dachten, dass sich hier, wo die neuen, modernen Plattenbauten entstehen, ein Dasein in Komfort einstellen würde. Einmal spricht eine junge Mutter gar von sich als „Prinzessin“, die Normwohnung mit den bunten Tapeten gerät zum Prinzessinnenturm.
Doch der Ausblick ist trist: grauer Himmel, gelbe Baufahrzeuge, brauner Matsch. „Panelstory“ ist der Auftakt einer Reihe im Zeughauskino, die sich ab November bald einen Monat lang den Werken der tschechischen Filmemacherin Vĕra Chytilová (1929-2014) widmen wird. Und mit ihr einer Regisseurin, die man aufgrund ihres surreal-anarchischen „Sedmikrásky“ („Tausendschönchen“) zwar zu kennen meint – deren, zumeist selten vorgeführte, Filme aber einen Zeitraum von nahezu fünfzig Jahren umspannen.
Dabei macht das von Mathias Barkhausen zusammengestellte Programm, das den schönen Titel „Sprengmeisterin – Die eigensinnigen Filme von Vĕra Chytilová“ trägt, gleich zu Beginn einen klugen Zug. Barkhausen nämlich verzichtet auf eine chronologische Abfolge, „Sedmikrásky“ (1966), Klassiker der tschechoslowakischen „Neuen Welle“, erwartet Interessierte und Eingeweihte erst ganz zum Schluss.
Sprengmeisterin. Die eigensinnigen Filme von Věra Chytilová, 3.11.–17.12., Zeughauskino, Unter den Linden 2
Hingegen beweisen die ersten drei Tage der Reihe direkt Chytilovás immenses Spektrum: Auf die Sozialsatire „Panelstory“, die einen mit ihrem schnellen Cinéma vérité-Stil und der expressiven Sound-Montage auf sehr unterhaltsame Art um den Verstand bringt, folgt mit dem Dokumentar-Hybrid „O nĕčem jiném“ („Von etwas anderem“) eine ihrer frühesten Arbeiten.
„Pasti, pasti, pastičky“ (1998) dann katapultiert in die schrillen, oberflächlichen Neunzigerjahre, wo ein schönlingshafter Werbetexter, der eine Vergewaltigung begangen hat, von seinem Opfer, einer Veterinärmedizinerin, kastriert wird.
Allen Filmen gemein ist ein scharfer, auf die gesellschaftlichen Absurditäten und Sexismen gerichteter Blick. Vĕra Chytilová war eine genaue Beobachterin, die ihre Erkenntnisse ungemein frei und innovativ verarbeitete.
„O nĕčem jiném“ gibt davon eindrücklich Zeugnis, indem er das Leben zweier sehr unterschiedlicher Frauen abwechselnd erzählt, zwischen Dokumentarfilm und Fiktion changiert: Hier das Porträt der Turn-Weltmeisterin Eva Bosáková, die Chytilová während hochkonzentrierter und eintöniger Trainingswochen zeigt, da die gelangweilte und zugleich erschöpfte Hausfrau Vĕra, die hinter dem Rücken ihres Mannes eine Affäre eingeht, aber in einen Abgrund stürzt, als dieser ihr Ähnliches gesteht.
„O nĕčem jiném“ vermittelt Gewalt, Frust und Gefühle des Eingesperrtseins unbeschwert und selbstverständlich, er wirkt wie ein Radschlag über einen stets präsenten, doch unsichtbar gemachten Riss. Eine Übung, die Chytilová meisterlich beherrschte – und die nun in ganzer Breite zu sehen ist.