piwik no script img

Kinotipp der WocheKultureller Kolonialraum

Die Filmreihe „Asiatische Präsenzen in der Kolonialmetropole Berlin“ ergündet Topoi der Exotisierung im Weltmetropolengenre des Kinos.

Anna May Wong in „Piccadilly“ (GBR 1929) Foto: Wikimedia Commons

Die Tanzfläche des Londoner Nachtclubs Piccadilly ist gut gefüllt, am Rand und auf der Empore tummeln sich Gäste, an der Bar fließt der Alkohol in Strömen. Wer etwas auf sich hält, strömt Nacht für Nacht in den Club, um die beiden Showtänzer Vic und Mabel zu sehen. Routiniert laufen die beiden zu Höchstform auf, um das Publikum zu unterhalten.

Spektakulär gleitet Werner Brandes’ Kamera in E. A. Duponts „Piccadilly“ (1929) über die Tanzfläche, um den Auftritt einzufangen. Etwa in der Hälfte des Auftritts werden die Blicke abgelenkt. Ein dicklicher Mann sitzt phlegmatisch über seinem Essen, als ein dreckiger Teller seine Empörung erregt.

Kellner und Restaurantmanager eilen herbei, um den Gast zu beschwichtigen. Die Aufmerksamkeit kehrt zur Tanzfläche zurück, gerade rechtzeitig für reißende Begeisterung, die Brandes in Reißschwenks einfängt.

Der Manager des Clubs will es bei den Ausflüchten seines Restaurantpersonals nicht bewenden lassen und folgt der Spur des Tellers zurück in die Küche. Die Spurensuche führt ihn zum eigentlichen Star von „Piccadilly“: Gebannt beobachtet das Personal in der Küche wie die junge Shosho auf dem Tisch tanzt und nebenher unkonzentriert auf dem Geschirr herum wischt.

Shosho (Anna May Wong) wird nach der Episode entlassen, steigt jedoch kurz darauf zum Star des kriselnden Nachtclubs auf. Zwischen ihr und dem Manager entwickelt sich eine Beziehung, die den ehemaligen Star Mabel zur Eifersucht treibt.

In Duponts Film kreuzen sich mehrere Karrierewege. Dupont selbst ist nach dem weltweiten Erfolg von „Varieté“ (1925) kurz zuvor aus Deutschland nach Großbritannien gewechselt. Anna May Wong ist frustiert von den rassistisch festgelegten Rollen im US-Kino jener Jahre kurz vor dem Film aus den USA nach Europa übersiedelt.

Der Film läuft am Dienstag, den 23. Mai, im Rahmen der Filmreihe „Asiatische Präsenzen in der Kolonialmetropole Berlin“ im Sinema Transtopia. Eingeführt wird der Film von der Kulturwissenschaftlerin Yumin Li, die derzeit an einer Biografie Anna May Wongs arbeitet. Zu der Filmreihe erscheint im Herbst ein gleichnamiger Sammelband herausgegeben vom Kurator der Reihe Kien Nghi Ha im Verlag Assoziation A.

Wie Yumin Li schon 2018 in einem Artikel in der Zeitschrift Sexualities herausgearbeitet hat, kreuzen sich in „Piccadilly“ eine Reihe von popkulturellen Topoi wie das Londoner Westend und insbesondere Limehouse als „kosmopolitischster Bezirk der kosmopolitischsten Stadt Großbritanniens“, in denen wie in der Szene vom Anfang des Films die Sphären nah beieinander liegen.

Mit dem Gang in die Küche wechselt der Manager von der weißen, bürgerlichen Welt der Nachtklubbesucher in die kosmopolitische Welt des Küchenpersonals, eine Bewegung, die auch in der segregierten Welt des Hollywoodkinos späterer Jahre wieder und wieder auftauchen wird. Anna May Wongs Shosho ist eine Wandererin zwischen den Welten, der Türöffner ist in dem Film die sexualisierte Exotisierung ihrer Tanzauftritte.

Auch in anderer Hinsicht ist „Piccadilly“ ein Wendepunkt. Für die polnisch-amerikanische Schauspielerin Gilda Gray (Mabel), die als eine der Protagonistinnen des zeitgenössisch als obszön verrufenen 1920er-Jahre-Modetanzes Shimmy bekannt geworden war, ist „Piccadilly“ der letzte große Film.

Der Film kommt 1929 als Stummfilm in die britischen Kinos, bleibt in Großbritannien ein mäßiger Erfolg und wird ein Jahr später in einer Tonversion mit Soundeffekten und einem neuen Prolog erneut in die Kinos gebracht. „Piccadilly“ ist ein komplexes Geflecht von Duponts Regie- und Anna May Wongs Schauspielkunst und von popkulturellen Topoi, deren Traditionslinien die Präsentation des Films im Rahmen der Filmreihe verfolgt.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!