Kinotipp der Woche: Wissen und Verbrechen
Eine kleine Filmreihe im Kino Krokodil befasst sich mit dem Verhältnis von Gesellschaften zu der Tat und den Täterinnen*.
Routiniert zerteilen die Männer das Fleisch. Zunächst mit der Säge, dann auf einem großen Tisch mit Messern. Im ganzen Raum wird zerhackt, zersägt, zerschnitten. Gegen die Brutalität der Handlungen liegt unter der Eröffnungsszene von Aki Kaurismäkis „Crime and Punishment“ auf der Tonspur eine rockige Version des Schubert-Liedes „Leise flehen meine Lieder“. Bei Kaurismäki fleht nix, hier ist das Grauen wortkarg.
Die Fabriksirene tönt, direkt vom Schlachthof macht sich der ehemalige Jurastudent Rahikanen auf, lauert vor der Wohnung eines Industriellen und erschießt ihn. Aki Kaurismäkis Regiedebüt verdichtet Dostojewskis Romanvorlage, durchwebt sie mit trockenem Humor und Referenzen an Filmvorbilder.
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Das Wiedersehen mit Kaurismäkis Regiedebüt erinnert daran, was für ein Lichtstrahl dessen Filme inmitten der weit verbreiteten schwülstig-schleimigen Belanglosigkeit des europäischen Arthousekinos der 1980er Jahre war.
Das Berliner Kino Krokodil zeigt Kaurismäkis Film nun als einzigen Spielfilm neben vier Dokumentarfilmen in einer Filmreihe mit dem Titel „Schuld und Sühne“ – wieder Dostojewski, aber diesmal deutscher Titel. Debora Fiora und Gabriel Hageni vom Krokodil vollbringen das Kunststück, dass jeder einzelne Film der Reihe atemberaubend ist und sich die Filme zudem in kluger Weise ergänzen.
Schuld und Sühne: Kino Krokodil, Greifenhagener Str. 32, bis 18. August
Eröffnet wird die Reihe von Chris Wrights und Stefan Kolbes „Anmaßung“, der im Forum der diesjährigen Berlinale lief. Im Zentrum des Films steht die Begegnung mit dem Mörder Stefan S. Die Notizen der ersten Begegnung dokumentieren den nicht unsympathischen Eindruck, den die beiden Filmemacher von S. bekommen haben.
Doch wie setzt man sich im Wissen um das Verbrechen, das ein Mensch begangen hat, zu diesem ins Verhältnis? Da S. nicht selbst im Film erkennbar sein möchte, wird eine Handpuppe zum Platzhalter. In den Gesprächen mit S., aber auch den beiden Puppenspielerinnen, die die Handpuppe beleben, entwickelt sich in „Anmaßung“ eine komplexe Annäherung an den Umgang mit Mördern im Justizsystem und in der Gesellschaft.
Der Umgang der Justiz mit dem Mörder der Gewerkschaftsführerin Busilina in Herz Franks sowjetisch-lettischem Dokumentarfilm „Augstākā tiesa“ (The Last Judgement) von 1984 ist schnell vorüber. Der Mörder, Walerij Dolgow, ist schnell gefasst und wird zum Tode verurteilt. Für die Justiz ist der Fall abgeschlossen.
In einer Reihe von Gesprächen mit Dolgow versucht der lettische Dokumentarfilmer Herz Frank zu verstehen, wie es zu der Tat kam. Die Antworten des Mörders geben wiederum ein komplexes Bild der sowjetischen Gesellschaft, das nur schwer mit dem offiziellen Selbstbild überein zu bekommen ist.
In den Bildern des Prozesses, dem Scheren der Haare in Vorbereitung auf die Hinrichtung lässt Frank die Unzulänglichkeit der Todesstrafe als gesellschaftliche Reaktion auf ein Verbrechen sichtbar werden. „Augstākā tiesa“ lässt keinen Zweifel daran, dass das System von Strafen, das Gesellschaften sich selbst geben, viel über diese Gesellschaften aussagt.
Nach dem Mord an seinem älteren Bruder versucht der Regisseur Audrius Mickevičius zu verstehen, was es mit dem Konzept der „guten Führung“ auf sich hat. Mickevičius nähert sich dem Leben im Gefängnis in „Pavyzdingas Elgesys“ (Exemplary Behaviour) über zwei zur lebenslangen Haft Verurteilte an, Rolandas und Rimas.
Rolandas steht kurz vor der Entlassung, plant zu heiraten. Die Braut sitzt ebenfalls wegen Mordes im Gefängnis. Die zentrale Frage von „Pavyzdingas Elgesys“ ist die Zeitlichkeit der Tat – für die Inhaftierten ebenso wie für Hinterbliebene wie Audrius Mickevičius. Die Mörder müssen die Tat in ihrem Leben verorten, sich mit ihr auseinandersetzen und herausfinden, inwiefern das Verbrechen ihr weiteres Leben prägt. Für Mickevičius stellt sich am Thema der „guten Führung“ und der vorzeitigen Entlassung die Frage, ob und wann er bereit ist, zu vergeben.
Der fünfte Film der Reihe, Elias Kahlas kurzer Dokumentarfilm „Varjoja Radalla“ (Schatten auf den Schienen), öffnet das Themenfeld der Reihe. Ein Ausflug von Eisenbahnern in die Natur Finnlands. Durch Gesprächsausschnitte auf der Tonspur wird klar, dass jeder in der Gruppe schon einmal unfreiwillig mit dem Zug einen Menschen überrollt hat.
Die fünf Filme der Reihe „Schuld und Sühne“ blicken von unterschiedlichen Perspektiven auf den Akt gewaltsamen Tötens und laden ein darüber nachzudenken, wie sich Gesellschaften zu der Tat und den Täterinnen* ins Verhältnis setzen. Fünf sehenswerte Filme.