Kinokomödie „Der beste Film aller Zeiten“: Spielfeld der Eitelkeiten
Dem Größenwahn beim Platzen zuzusehen, stiftet Schadenfreude. Davon gibt es reichlich in der Komödie „Der beste Film aller Zeiten“.
Auf wundersame Weise hat es Daniel Mantovani auch in diesen Film geschafft. Mantovani ist jener argentinische Nobelpreisträger, der sein Heimatstädtchen Salas zum Handlungsort seiner Geschichten erklärt. Salas, wo sich Grausamkeit und Mittelmaß die Hand reichen. Wo sich brutale Vorkommnisse ereignen, Männer in Gießereien verbrennen und Zwillingsbrüder derselben Prostituierten verfallen. Salas ist gleichsam Ausdruck wie Bedingung von Mantovanis weltberühmtem Werk.
Was, Sie haben noch nie von ihm gehört? Das ist bedauerlich, aber auch nicht weiter überraschend. Denn Daniel Mantovani und seine Romane existieren einzig im Universum des Regieduos Gastón Duprat und Mariano Cohn.
Die beiden Regisseure begannen ihre Karriere im argentinischen Fernsehen, schufen dort innovative Formate und versuchten sich bald an Langfilmen. Mit „Der Nobelpreisträger“ („El ciudadano ilustre“) wurden sie 2016 im Wettbewerb von Venedig auch einem größeren Publikum bekannt. In der Rolle des Nobelpreisträgers Daniel Mantovani wurde Oscar Martínez mit einer Coppa Volpi als bester Darsteller ausgezeichnet. In „Der beste Film aller Zeiten“ („Competencia oficial“) hat die Figur des Mantovani nun eine kleine, aber pointierte Funktion: Er ist der Autor des Romans, um dessen Verfilmung es gehen soll.
Als Person tritt er dabei allerdings nicht in Erscheinung, denn Duprat und Cohn haben sich diesmal dazu entschieden, Oscar Martínez mit einer anderen Hauptrolle zu bedenken.
„Der beste Film aller Zeiten“: Regie: Gastón Duprat und Mariano Cohn. Mit Penélope Cruz, Antonio Banderas u. a. Spanien/Argentinien 2021, 114 Min.
Als Meisterschauspieler Iván Torres mimt er den feinsinnigen Intellektuellen, der mit seiner Frau, einer Kinderbuchautorin, Experimentalwerke von in Düsseldorf gestrandeten Kanadiern auf Vinyl genießt. Seinen Schülern empfiehlt er, sich gründlich Gedanken darüber zu machen, ob sie das Handwerk des Schauspielers wirklich erlernen möchten, denn nur einer unter ihnen hätte wirklich das Zeug dazu (und im Übrigen bräuchte die Welt vor allem Zahnärzte). Gegenüber niederen Verführungen tritt er unbestechlich auf und sagt Sätze wie: „Ich hasse es, wenn man mich zwingt, privilegiert zu sein.“
Und so ist er, gerade aufgrund seiner vermeintlichen Zurückhaltung und Tiefe, schnell als kolossales Ego zu erkennen.
Vergnügliche Enttarnung
Die Kunst von Gastón Duprat und Mariano Cohn ist die der vergnüglichen Enttarnung. Sie beherrschen ihr Metier. Im so abstoßenden wie köstlichen Dokumentarfilm „Todo sobre el asado“ (2016), der sich einer besonderen Kulturtechnik Argentiniens widmet – dem asado, einer Grillmahlzeit von fast heiliger Dimension –, ließen sie zahlreiche (männliche) Grillexperten zu Wort kommen.
Sie alle fabulierten munter vor sich hin, demonstrierten das Wasser, das ihnen beim Anblick der fachmännisch zerteilten Rinderteile in den Mündern zusammenfloss. Duprat und Cohn ließen sie gewähren. Brachten aber auch eine Zahnärztin mit ins Spiel, die den Mundgeruch betonte, welcher viele Asado-Liebhaber befalle.
Es sind geschickte Manöver, die beide vollführen: Ihr Ziel ist es nicht, einen Sachverhalt zu erklären. Vielmehr lassen sie etwas in seiner ganzen schrecklichen Schönheit, seiner überwältigenden Stumpfheit wirken – und setzen anschließend einen Kontrapunkt.
„Der beste Film aller Zeiten“ lebt von diesem Prinzip, indem er sich vor allem der Dynamik zweier Schauspielerfiguren hingibt. Einer von ihnen ist besagter Iván Torres, der Kultivierte, Bescheidene. Sein Gegenpol heißt Félix Rivero (Antonio Banderas). Rivero ist ein Star, ein Publikumsliebling, ein eitler Sack, der seine Muskeln mit einem EMS-Gerät stimulieren lässt, während eine seiner namenlos bleibenden Geliebten nackig im Hintergrund hockt. Rivero hat sogar noch mehr Preise als Torres eingeheimst, und das, obwohl seine Filmtränen nicht einmal echte Tränen sind, sondern bloße vom Mentholstift hervorgerufene Tropfen.
Regisseurin mit Anspruch
Mit beiden herumplagen muss sich Lola Cuevas (Penélope Cruz), Regisseurin mit Anspruch und Gewinnerin einer Goldenen Palme. Sie wurde von Multimillionär Humberto Suárez (José Luis Gómez) beauftragt, Mantovanis Roman über zwei rivalisierende Brüder zu verfilmen. Suárez tritt als Produzent in Erscheinung, denn er sitzt in einem Schlamassel: Zwar habe er in seinem Leben unvorstellbare Reichtümer angehäuft, aber kein Renommee. Der beste Film aller Zeiten soll diesen Missstand beseitigen.
Und so beginnen die Proben in seinem ansonsten ungenutzt bleibenden Stiftungsgebäude, einem Ort schier gigantischen Ausmaßes, der wirkt wie eine sonderbar verschachtelte Pyramide. Es ist eine Architektur, die Platz generiert. Platz, um in einem „Zustand permanenter Poesie“ zu verweilen, wie es Iván Torres’ Gattin einmal nennt. Poetisch ist das, was während der darauffolgenden Tage passiert, aber keineswegs. Die Sprechproben geraten zum Kräftemessen, zum Spielfeld vieler kleiner Sticheleien und Experimente.
Eine wertvolle Spannung kreieren
Die Regisseurin Lola, deren Frisur an Björks „Biophilia“-Phase erinnert (ein Berg roter, flauschiger Locken), treibt Iván und Félix an ihre Grenzen, indem sie die beiden etwa unter einen schwebenden Findling platziert. Die Angst, das schwere Ding könnte fallen, solle eine wertvolle Spannung kreieren. In einer anderen Situation arbeitet sie daran, ihrer aller Ego zu brechen, indem sie erhaltene Auszeichnungen einem Metallschredder zum Fraß vorwirft.
„Der beste Film aller Zeiten“ ist eine Selbstreflexion über das Kino, das Filmemachen, den Drang, Bedeutsames zu schaffen und ruhmreich zu sein. Cohn und Duprat arbeiten dafür mit überzogenen Figuren, die einem dennoch bekannt vorkommen. Menschen, die ihren Lebensweg mit einer ziemlichen Radikalität verfolgen, in Superlativen leben und sich in ihren Attitüden gegenseitig konterkarieren.
Es ist ein großes Vergnügen, diesen entfesselten Kräften zuzusehen, einer eitlen Welt, wie man sie in anderen Gewichtungen immer wieder vorgeführt bekam (Fellini, Wilder, Mankiewicz) und heute noch bekommt (Assayas, Östlund, Ferrara). Es ist eine Freude, explizit auch eine Schadenfreude, Größenwahn auf der Leinwand beim Platzen beizuwohnen.
Ein Vergnügen, das sich noch roher vielleicht in „Der Nobelpreisträger“ manifestierte, jenem Spießrutenlauf des Daniel Mantovani durch sein lange verschmähtes, doch bis aufs Äußerste ausgeschlachtete Salas. Wo aus dem frisch erkorenen Ehrenbürger binnen weniger Tage eine Persona non grata wurde. Und die aufgrund von Distanz angekitschten oder verdrängten Erinnerungen einen harten Abgleich mit der Realität erfuhren. „Der beste Film aller Zeiten“ ergeht sich hingegen in einem Wettbewerb, einem Hahnenkampf um das vorzüglichste Spiel, angeleitet, unterwandert und zum Teil auch mitgetragen von einer Regisseurin, die, bewusst oder auch nicht, das Selbstwertgefühl der Männer provoziert.
Dass Gastón Duprat und Mariano Cohn dabei eine Welt schaffen, in der Dokumentarisches und Fiktives interagieren und Zitate auf das eigene Werk verweisen – so gibt es in „Der Nobelpreisträger“ ein asado, in welchem Sätze aus „Todo sobre el asado“ fallen – macht das Ganze umso spannender. Und es verdeutlicht, dass beide ihre Inspiration für Schwarzhumoriges nirgendwo anders auflesen als dort, wie es sich gemeinhin tagtäglich präsentiert: vor den eigenen Augen.
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