Kinofilm „Dogman“: Ein Mann, ein Hund
Matteo Garrones Film „Dogman“ zeigt einen unterwürfigen Hundefriseur. Der Darsteller Marcello Fonte verleiht ihm tragische Würde.
Marcello, der titelgebende Protagonist von Matteo Garrones neuem Film „Dogman“, ist ein bemitleidenswerter Zeitgenosse. Ein schmächtiger Schwächling, der sich nur in gebückter Haltung fortbewegt, wenn er denn mal nicht vor etwas zurückweicht; ein hohlwangiger Verlierer, nicht einmal vom eigenen Hund respektiert.
Der spätabends schnell zubereitete Teller Pasta verschwindet wie selbstverständlich im Maul des Haustiers, welches das Hundefutter nämlich verweigert, wahrscheinlich, weil es sich schon so an das Essen seines Herrchens gewöhnt hat. Aber Marcello gibt es ihm ja gerne. Nicht, dass ihm etwas anderes übrig bliebe.
Aus seiner Tierliebe hat Marcello einen Beruf gemacht. In seinem Hundesalon „Dogman“ wäscht und fönt und frisiert er die Hunde der kleinen Stadtgemeinde. Er schneidet die Krallen jedes noch so einschüchternden Tiers. Nach Feierabend vertickt er Kokain an seine Freunde, wobei „verticken“ nicht ganz stimmt, denn Geld gibt ihm niemand, und „Freunde“ sind diese Gestalten wohl ebenfalls nicht, denn sie bedrohen und erpressen und demütigen ihn. Marcello würde einem wohl versichern, dass sie seine Kumpel seien, und er einer von ihnen, einer von den Jungs.
Seine kriminelle Energie ist in erster Linie Selbsterhaltungstrieb. Er wählt den Weg des geringsten Widerstands und macht mit, bevor die anderen aus dem Ort ihn hauen. Eines Abends warten sie vor seiner Haustür und bedeuten ihm, in ihren Wagen zu steigen; sein Protestieren – „Ich muss doch den Hund füttern!“ – wird ignoriert. Sie drängen ihn dazu, bei einem Einbruch mit Diebstahl den Fluchtwagenfahrer zu geben, und natürlich macht er auch das.
Kein schlechter Mann
Man sieht förmlich vor sich, wie diese Gruppe früher in der Schule gewesen sein musste; wie sie ihn, den dürren Marcello, festgehalten haben, und wie er dabei gelacht hat, im Versuch, die Erzählung aufrecht zu erhalten, dass es sich um ein freundschaftliches Spiel handelt, und sie ihn, wenn er sie darum bitten würde, in Ruhe lassen würden. Aber er hat sie lieber nicht darum gebeten. Denn was, wenn sie ihn dann nicht in Ruhe gelassen hätten?
Der italienische Regisseur Matteo Garrone, der wohl vor allem für seine gefeierte Verfilmung des Mafia-Bestsellers „Gomorrha“ aus dem Jahr 2008 bekannt ist, lässt seine trostlose Geschichte an einem angemessen tristen Ort spielen, einer heruntergekommenen süditalienischen Küstenstadt, deren sagenhaft hässliche Promenade nahezu postapokalyptisch anmutet. An diesem aus der Zeit gefallenen Ort gewinnt Garrones Film den Charakter einer Parabel.
„Dogman“. Regie: Matteo Garrone. Mit Marcello Fonte, Edoardo Pesce u. a. Italien/Frankreich2018, 102 Min.
Marcello ist jeder kleine Mann, der mit der Androhung von Gewalt leicht zu beeindrucken ist und schnell für allerhand Unbequemes zur Verfügung steht. Er verkörpert einen menschlichen Wesenszug, über den man lieber nicht nachdenken möchte: das radikal Rückgratlose, das Opportunistische, das Wegduckende. Marcello ist im Grunde kein schlechter Mann. Seine Tochter, die natürlich bei der Mutter lebt, behandelt er liebevoll; den Hundesalon führt er gewissenhaft. Aber wie jedes Lebewesen, will er Schmerzen vermeiden. Und wie jeder Mensch, will er dazugehören.
Auf dem Rückweg vom Einbruch prahlt einer der Ganoven damit, den aufgedrehten Chihuahua, der den Verlauf des Verbrechens gestört hat, ins Eisfach gestopft zu haben. Marcello kehrt später in der Nacht zum Tatort zurück, hebt das starr gewordene Tier aus dem Eisfach, lässt es im Spülbecken unter warmem Wasser wieder auftauen und beginnt mit der Herz-Lungen-Wiederbelebung.
Aggressives Machogehabe
Er, der „Dogman“, erkennt sich in den Hunden wieder. Der Titel des Films verweist nicht nur auf einen Hundeexperten, auf einen Mann, der sein Geld mit Hunden verdient, sondern auch auf einen Mann, der selbst zum Hund geworden ist. Ein unterwürfiger Sündenbock, ein schmerzlich um Bestätigung bettelnder Prügelknabe.
Sein Herrchen, wenn man so will, ist Simone, ein bulliger Junkie, der beste und schlimmste Kunde. Als Marcello einmal von ihm sein Geld eintreiben will, endet die Konfrontation, die nur in Marcellos Wahrnehmung jemals eine Konfrontation gewesen ist, damit, dass er dem Schläger dessen nächste, natürlich noch nicht bezahlte, Line auf einem Flipperautomaten anrichtet.
Die übrigen Kleinunternehmer im Ort, denen Simones aggressives Machogehabe mächtig auf die Nerven geht, spielen mit dem Gedanken, ihn umlegen zu lassen. Die Mafia, zwar unsichtbar, ist allgegenwärtig; jeder kennt jemanden, der sich um so etwas kümmern könnte. Marcello jedoch nimmt seinen Peiniger in Schutz, aus hündischer Loyalität oder möglicherweise aus Eigennutz, aber vielleicht ist das auch das Gleiche.
Simone dankt es ihm, indem er den Juwelierladen neben Marcellos Hundesalon ausräumt und Fährten in dessen Richtung legt. Letztendlich wird Marcello an Simones Stelle ins Gefängnis gehen.
Klaustrophobische Stimmung
So endet die erste Hälfte des Films. Die zweite Hälfte wird sich Marcellos Rache widmen, seinen Versuchen, der Rolle des Hundes zu entkommen.
Regisseur Garrone beginnt „Dogman“ in neorealistischer Tradition – einfache Leute, eine kaputte Stadt, wenig Musik, schmucklose Dialoge – und beendet ihn als Genrefilm. Beide Teile gelingen ihm, nur die Entwicklung vom einen zum anderen überzeugt nicht. Die Tochter, der in der ersten Hälfte des Films eine tragende Rolle zukommt, ist im späteren Verlauf des Films vergessen, muss sie auch sein, sonst wäre die Eskalation der Erzählung nicht mehr möglich.
Die Kamera bleibt meist nah an den Figuren; in langen Einstellungen bewegt Garrone sie im Raum, anstatt zu schneiden, und erzeugt so eine klaustrophobische Grundstimmung. Die wenigen totalen Einstellungen sind dann aber sorgfältig komponiert und zeigen kunstvoll ausgeleuchtet das ganze Elend: die deprimierende Promenade oder den gekachelten Hinterraum in Marcellos Hundesalon, der aussieht wie eine Folterkammer.
Durch solch wirkungsvolle Inszenierung und auf den Punkt geschriebene Szenen täuscht Garrone darüber hinweg, dass der Film zum nicht unwesentlichen Teil aus Variationen des gleichen Moments besteht, nämlich der mehr oder weniger freiwilligen Unterwerfung Marcellos. Als die Passivität des Protagonisten zum dramaturgischen Problem zu werden droht, dreht Garrone die Machtverhältnisse um und lässt seine Hauptfigur von der Leine.
Glücklicherweise hat der Regisseur mit Marcello Fonte einen Schauspieler besetzt, der beide Teile glaubhaft verkörpert; den gehemmten Feigling in der ersten Hälfte und den manischen Rächer in der zweiten. Allein physiognomisch ist er eine Idealbesetzung; ein kleiner, schmaler Mann mit traurigen Augen, eingefallenen Wangen und schiefen Zähnen. Er sieht aus wie Buster Keatons kranker Bruder. Wo Keatons Maske der versteinerte, ernste Blick war, ist Fontes Maske in „Dogman“ das beschwichtigende Lächeln.
Marcello lässt die Schultern hängen, sein Kopf tendiert Richtung Erde. Er redet schnell und leise, mehr mit sich selbst als mit seinem Gegenüber. Er spricht, wie ein Mann spricht, der weiß, dass keiner ihm zuhört. Beim Filmfestival in Cannes, wo „Dogman“ im Mai Premiere feierte, hat Fonte den Darstellerpreis bekommen. Es ist sein großes Verdienst, dass der Film nicht zur Farce verkommt; er lässt Marcello nicht zur Witzfigur werden, sondern spielt ihn als kafkaeskes Geschöpf, hoffnungslos verflochten mit der Unerträglichkeit seines Lebens.
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