Kinofilm „Ben is Back“: Dilemma der Drogenabhängigkeit
In „Ben is Back“ geht es um den Teufelskreis von Misstrauen, Schwäche und Rückfall. Der Film mit Julia Roberts ist treffend inszeniert.
„Diesmal ist es anders.“ Der Satz bringt die Suchtproblematik auf den Punkt. Nicht weil er eine Wahrheit ausdrückt, sondern im Gegenteil: weil er eine zentrale Illusion beschreibt. Ein Wunsch, den jeder Süchtige und alle seinen Nächsten und Angehörigen nur allzu gut kennen, gerade weil er Mal um Mal enttäuscht wird. Und trotzdem wollen sie immer wieder daran glauben, dass dieses Mal endlich alles anders ist.
Bens Mutter Holly (Julia Roberts) in Peter Hedges’ Film „Ben Is Back“ bildet da keine Ausnahme. Zumal Weihnachten ist. Das plötzliche Auftauchen von Ben (Lucas Hedges, Sohn von Regisseur und Autor Peter Hedges) erschreckt sie deshalb genauso, wie es sie freut. Geplant war, dass Ben über die Feiertage in der Suchtklinik bleibt, in der die Familie ihn keine drei Monate zuvor untergebracht hat.
Wie viele Enttäuschungen und Zerwürfnisse, wie viele missliche Erfahrungen mit dem Süchtigen und seiner Unzuverlässigkeit der Einlieferung vorausgegangen sind, kann man an den Reaktionen von Bens jüngeren Geschwistern ablesen. Die zwei Kleinen werden ganz still und beobachten nur. Teenager-Schwester Ivy (Kathryn Newton) verdreht die Augen und protestiert, wenn auch nur hinter Bens Rücken.
Was, wenn es wieder im Chaos endet wie an Weihnachten im Jahr zuvor? Und dem davor? Trotzdem bringt es Holly nicht übers Herz, den suchtkranken Sohn wieder wegzuschicken, denn: „Diesmal ist es anders.“ Heimlich aber räumt sie schnell sowohl den Medizinschrank als auch ihr Schmuckkästchen aus. Ben soll so wenig wie möglich in Versuchung kommen.
Vorhersebare Muster
In „Ben Is Back“ geht es einmal mehr um den bösen, alten Teufelskreis von Misstrauen, Schwäche und Rückfall. Dabei wird kaum ein Zuschauer echte Aufklärung oder Ratschläge darüber erwarten, wie man solche Fälle „löst“. Hinter jedem Prozess des Süchtigwerdens mag eine sehr individuelle Geschichte stecken, aber der einmal Süchtiggewordene verhält sich nach recht vorhersehbaren Mustern.
Peter Hedges lässt seinen Film ohne Rückblenden an einem einzigen Tag und in der darauf folgenden Nacht spielen. Statt die Geschichte einer Familie und eines Süchtigen zu schildern, ist „Ben Is Back“ als eine Art Mustererzählung angelegt, die in verdichteter Form die Problematik heute, speziell vor dem Hintergrund der Opioidkrise in den USA zusammenfasst.
Für die prominente Besetzung (für Roberts ist es die erste richtige Kino-Hauptrolle seit „Eat Pray Love“, für Hedges der erste große Auftritt nach seinem Durchbruch als launiger Teenager in „Manchester by the Sea“) bedeutet das leider, dass der Raum für individuelle Interpretation relativ eng ist. Hedges tariert gekonnt die Gratwanderung seiner Figur zwischen Opfer- und Täterstatus, zwischen Kind und Mann, zwischen Mitgefühl-Erregen und Unsympathisch-Werden aus.
Julia Roberts stellt mit sensibler Verve die Mutter dar, die stets das Beste will und eben deshalb viel falsch macht. Aber beiden Rollen haftet zugleich etwas Exemplarisches an, das das „Typische“ über das Individuelle stellt und deshalb den Zuschauer fast zu leicht aus diesem Drama auch wieder aussteigen lässt.
Zum Drogennehmen animiert
In den Details des Verhaltens von Abhängigen und Koabhängigen ist „Ben Is Back“ ungeheuer präzise beobachtet. Da wäre zum Beispiel die Sache mit dem Arznei- und Schmuckverstecken: Holly will, dass Ben von ihrem Misstrauen nichts mitbekommt, damit er sich nicht unterminiert fühlt. Gleichzeitig scheint sie blind dafür, dass die Heimlichkeit ihres Tuns ein echtes Vertrauen bereits unmöglich macht. Immer wieder muss die Mutter sich zwischen Strenge und Nachgiebigkeit entscheiden, zwischen dem Anruf bei der Polizei und dem wirren Handeln auf eigene Faust, besonders als das Erwartete eintritt und Ben davonläuft.
„Ben Is Back“. Regie: Peter Hedges. Mit Julia Roberts und Lucas Hedges. USA 2018, 103 Min. Kinostart in Deutschland ist am 10. Januar 2019.
Die Struktur der sich an einem Tag abspielenden Handlung führt zu einer etwas unwahrscheinlichen Anhäufung von Begegnungen mit Bekannten und Freunden, die zu Bens Sucht in einem jeweils speziellen Verhältnis stehen. In der Shopping Mall – Ben braucht frische Kleidung fürs Weihnachtsfest – begegnet er nicht nur einem ehemaligen Dealer-Kollegen, sondern auch noch dem Arzt, der ihn durch das Verschreiben von Schmerzmitteln gewissermaßen „angefixt“ hat.
Beim Gottesdienst starren ihn ausdruckslos die Eltern einer toten jungen Frau an, die er zum Drogennehmen animiert hat; auf der Straße läuft ein verkommen aussehender Suchtbekannter vor ihm weg. Später am Abend werden Mutter und Sohn aufgeregt durch die Straßen fahren, während Ben benennt, was seine wahren Landmarken in der Stadt sind: dort habe ich meinen Stoff bekommen, dort habe ich selbst gedealt, dort mir den ersten Schuss gesetzt, dort zusammen mit einer Freundin gefixt … Wie soll man aus solchen eingefahrenen Mustern ausbrechen?
Diese Reise in die Nacht, bei der „Ben Is Back“ vom Drama immer mehr zum Thriller wird, funktioniert einerseits als warnender Katalog der verschiedenen Suchtstadien. Von der toten Freundin über den wimmernden Suchtbekannten bis hin zum schief grinsenden Drogenboss, der Ben unbedingt für einen letzten Job einspannen möchte.
So präzis er die Dilemmata der Abhängigkeit und Koabhängigkeit aufzeigt, so offensichtlich möchte Hedges die Familie als Ort der Unschuld und der Unterstützung bewahren. Zusammengehalten von Julia Roberts’ völlig unsentimentalem Auftritt, zeichnet „Ben Is Back“ damit das zentrale Suchtparadox nach, nicht mehr, aber auch nicht weniger: Obwohl man um die Wahrheit weiß, hofft man auf Besseres.
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