piwik no script img

Kinoempfehlungen für BerlinStändig in Bewegung

Das Babylon zeigt „American Honey“ über eine verlorene Generation, das Filmmuseum Potsdam würdigt Lotte Reiniger, mit M. Hulot geht's in die Ferien.

„American Honey“ (2016), Regie: Andrea Arnold Foto: Universal

E ine äußerst interessante Retrospektive ist ab 5. August im Kino Babylon Mitte zu sehen: 42 Filme der 2012 gegründeten amerikanischen Produktionsgesellschaft A24, die eine erstaunliche Menge an erstklassigen Filmen aufzuweisen hat.

Dabei gelang in den vergangenen Jahren der nicht ganz einfache Spagat zwischen Independent-Kino und Massentauglichkeit weitgehend vorzüglich: Greta Gerwigs Coming-of-Age-Drama/Komödie „Lady Bird“, Barry Jenkins' Oscar-Gewinner „Moonlight“, der absurde expressionistische Zwei-Personen-Horror von Robert Eggers' „The Lighthouse“ sowie Sophia Coppolas tiefer Einblick in das monotone Leben von Elvis Presleys Gattin „Priscilla“ – alles äußerst sehenswerte Filme.

Das trifft auch auf „American Honey“ (2016) der britischen Regisseurin Andrea Arnold zu, einem von einer Art magischem Realismus geprägten Film über die bescheidenden Träume einer verlorenen Generation in einem Land riesiger sozialer Gegensätze. Erzählt wird die Geschichte der 18-jährigen Amerikanerin Star (Sasha Lane), einem Mädchen aus zerrütteten Verhältnissen, das sich einer Gruppe von jungen Leuten anschließt, die in einer Drückerkolonne versuchen, Zeitschriftenabos zu verticken.

Einen Plot im eigentlichen Sinn hat „American Honey“ allerdings nicht, nur die täglichen Fahrten zu immer gleich aussehenden Motels und zu den Einsatzorten der Gruppe in ebenfalls immer gleich aussehenden Vororten in Amerikas mittlerem Westen. Hier spürt man dann auch den gleichermaßen faszinierten wie befremdeten Blick einer europäischen Regisseurin auf die immer weiter auseinander driftende amerikanische Gesellschaft.

tazplan

Der taz plan erscheint auf taz.de/tazplan und immer Mittwochs und Freitags in der Printausgabe der taz.

Doch „American Honey“ ist kein Sozialdrama, überhaupt entzieht sich der Film jeder gängigen Genreklassifizierung. Nicht einmal ein Roadmovie könnte man diesen Film nennen, dessen Reisen schlicht nirgendwohin gehen und dessen klassisches 4:3-Bildformat sich sowieso nicht für die Horizontale in Amerikas weiten Landschaften eignet. Dafür umso besser für den quirligen Blick auf sich ständig in Bewegung befindende Prot­ago­nis­t:in­nen (A24-Retro, 5.–25.8., American Honey, 6.8., 21 Uhr, Babylon Mitte).

Über Sinn oder Unsinn von im Straßenpflaster eingelassenen Plaketten, die an mehr oder minder berühmte Filmstars erinnern, könnte man sich schon im Fall des Hollywood Boulevards streiten, und auch die Berliner Version auf dem Mittelstreifen vor dem bald verwaisten „Filmhaus“ ist ja als eher unglücklich zu bezeichnen.

In Potsdam versucht man es seit Juli in der Fußgängerzone der Brandenburger Straße nun auch mit einem „Boulevard des Films“ und hat dafür 55 in der Stadt gedrehte Werke ausgesucht. Na, mal sehen.

Das Filmmuseum Potsdam zeigt zehn dieser Filme bei freiem Eintritt, so auch Lotte Reinigers wunderbaren Scherenschnittfilm „Die Abenteuer des Prinzen Achmed“, dem in dreijähriger Arbeit von 1923 bis 1926 entstandenen, womöglich ersten abendfüllenden Animationsfilm der Geschichte: 250 000 animierte Einzelbilder, ebenso filigran wie fantasievoll (3.8., 17 Uhr, Filmmuseum Potsdam).

Was wäre die Urlaubszeit ohne Jacques Tatis „Die Ferien des M. Hulot“? Den Blick auf die Saison in einem französischen Badeort, in dem der Urlaub fast so geregelt ist wie das Arbeitsleben, kann und sollte man sich immer wieder anschauen. Ferien macht in diesem Feuerwerk der Gags eigentlich nur einer, nämlich Monsieur Hulot, dem es mit Enthusiasmus, linkischem Charme und penetranter Hilfsbereitschaft gelingt, die übrigen Gäste restlos zu enervieren (4.8., 13.30 Uhr, Bundesplatz Kino).

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Lars Penning
Lars Penning, geboren 1962. Studium der Publizistik, Theaterwissenschaft und der Allgemeinen und Vergleichenden Literaturwissenschaft an der FU Berlin. Freier Filmjournalist. Buchveröffentlichungen: Cameron Diaz (2001) und Julia Roberts (2003). Zahlreiche filmhistorische und –analytische Beiträge für verschiedene Publikationen. Lebt in Berlin.
Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!