piwik no script img

Kinoempfehlungen für BerlinGeschmeidig und unmittelbar

Das Filmfestival Fracto schlägt eine Brücke zwische Vergangenheit und Gegenwart. „Moonlight“ erzählt vom Aufwachsen eines homosexuellen Jungen.

„Moonlight“ (Regie: Barry Jenkins) Foto: A24

N ach einer „Corona“-Ausgabe im vergangenen Herbst ist das FRACTO Experimental Film Encounter mit seiner sechsten Ausgabe nunmehr auf den angestammten Platz im Frühjahr zurückgekehrt.

Das Avantgardefilmfestival zeigt an drei Tagen im Kino des Kunsthauses ACUD 30 Filme in vier Programmen, ergänzend gibt es eine Retrospektive mit Werken des Pariser Filmemachers Emmanuel Lefrant sowie eine Hommage an die vor vierzig Jahren gegründete Initiative „Light Cone“, die sich um die Verbreitung und Bewahrung des französischen Experimentalkinos kümmert.

Die experimentellen Filme des Programms vom 29. 5. (18 Uhr) beschäftigen sich im Wesentlichen mit dem Brückenschlag zwischen Vergangenheit und Gegenwart: Für „Pagola, What’s the Time?“ hat Filmemacherin Ingel Vaikla auf dem Gelände des ehemaligen jugoslawischen Pavillons der Weltausstellung in Brüssel gefilmt, der heute als Schule genutzt wird. Bilder von Kindern, die in der Schule Verstecken spielen, treffen dabei auf historisches Material aus der Zeit der Weltausstellung, als die Zukunft noch besonders futuristisch aussah.

In „Destierro“ nutzt Camille Puoyo Videoaufnahmen der Eltern von einem Tag am Strand, um mit Vater und Großvater als Erzähler eine kleine persönliche Geschichte des Exilantentums spanischer Flüchtlinge vor dem Franco-Faschismus in Szene zu setzen, in der der französische Strand eine durchaus unrühmliche Rolle spielt.

tazplan

Der taz plan erscheint auf taz.de/tazplan und immer Mittwochs und Freitags in der Printausgabe der taz.

Dass Manhattan einst eine holländische Siedlung war, ist der Ausgangspunkt von „Water & Wall“ (R: Cassandra Celestia): Landschaften und historische Objekte stellen einen Bezug her zu dem internationalen Finanzdistrikt, der dort heute beheimatet ist.

Und in „Looking Backward“ schaut Ben Balcom filmtitelgemäß zurück: Er hat auf dem Gelände des ehemaligen Black Mountain College in den Appalachen gefilmt, eine von 1933 bis 1957 bestehende, sehr progressive Bildungseinrichtung mit Bezügen zum Bauhaus, aus der viele berühmte amerikanische Künstler hervorgingen (FRACTO Experimental Film Encounter, 27.-29. 5., ACUD, www.fractofilm.com).

Das „Gay Film Fest“ im Babylon Mitte zeigt zum Abschluss mit „Moonlight“ von Barry Jenkins ein ebenso präzises wie empathisches Porträt eines homosexuellen Jungen, der in einer äußerst schwierigen Umgebung versucht, seinen eigenen Weg zu finden.

Entstanden nach dem autobiografisch inspirierten, nie kommerziell aufgeführten Bühnenstück „In Moonlight Black Boys Look Blue“ von Tarell Alvin McCraney erzählt „Moonlight“ in drei zeitlich in sich abgeschlossenen Kapiteln von prägenden Erlebnissen des Jungen Chiron, der in den 1980er-Jahren mit einer drogensüchtigen Mutter in einem Slum von Miami aufwächst.

Beeindruckend ist dabei vor allem die Komplexität in den Beziehungen der Figuren zueinander, und wie der Film es schafft, Klischees und Erwartungshaltungen ständig zu unterlaufen.

Stilistisch bewegt sich „Moonlight“ im Spannungsfeld der Eleganz geschmeidiger Kamerafahrten und einer kühlen blauen Farbpalette sowie der Unmittelbarkeit von mit der Handkamera gefilmten Szenen, die einen direkten Zugang zu Chirons Gefühlswelt ermöglichen (29. 5., 20.30 Uhr, Babylon).

Der 40. Todestag Romy Schneiders jährt sich im Juni; als Hommage hat das Kino in der Brotfabrik das grelle und ziemlich trashige Melodram „Nachtblende“ (1974) von Andrzej Zulawski gewählt: Liebe, Sex und Tod im (Soft-) Porno- und Mafia-Milieu, mit Schneider als erfolgloser Schauspielerin, einem spektakulären Selbstmord mit Zyankali sowie Klaus Kinski (26. 5., 30. 5., 21 Uhr, 29. 5., 1.6., 19 Uhr, Brotfabrik Kino).

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Lars Penning
Lars Penning, geboren 1962. Studium der Publizistik, Theaterwissenschaft und der Allgemeinen und Vergleichenden Literaturwissenschaft an der FU Berlin. Freier Filmjournalist. Buchveröffentlichungen: Cameron Diaz (2001) und Julia Roberts (2003). Zahlreiche filmhistorische und –analytische Beiträge für verschiedene Publikationen. Lebt in Berlin.

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!