Kinoempfehlungen für Berlin: Fraglos modern
Im Kino Arsenal begeben sich Filmemacher*innen auf die Spuren Pasolinis. Das Zeughauskino zeigt die frühen Filme von Michael/Mihály Kertész.
P ier Paolo Pasolini gehörte zu den bedeutenden Intellektuellen der 1960er Jahre, als Dichter, Schriftsteller, Journalist und Filmemacher äußerte er sich viel und gern zu Themen wie Religion, Politik und Sexualität. Als antiklerikaler Marxist und Homosexueller vertrat Pasolini seinerzeit fraglos moderne Positionen, entsprechend wurde er von den konservativen Kräften Italiens angefeindet.
Als Filmemacher ist sein Erbe sehr divers zu nennen: Er schuf Neubearbeitungen antiker Stoffe wie „Medea“ (1969, mit der Opernsängerin Maria Callas in der Titelrolle), drehte einen Jesus-Film („Il Vangelo secondo Matteo“, 1964) und befragte in der essayistischen Dokumentation „Comizi d’amore“ (1964) Italiener zu ihrer Einstellung zu Sexualität, Ehe und Scheidung.
Oder er schickte Nino Davoli und den Komiker Toto in der Parabel „Uccellacci e uccellini“ (1966) als Toren auf der Suche nach dem richtigen Weg durch ländliche Gegenden und schäbige Neubaugebiete, ohne dass sie dabei die notwendige Veränderung der Gesellschaft erkennen könnten.
Die Kritikerin Hannah Pilarczyk stellt diese Filme in der von ihr kuratierten Reihe „Comizi d'autore – Zeitgenössische italienische Filmemacher*innen auf den Spuren von Pier Paolo Pasolini“ aktuellen Werken des italienischen Kinos gegenüber, die man im weitesten Sinne von Pasolini beeinflusst nennen könnte.
So wird in Alice Rohrwachers Parabel „Glücklich wie Lazzaro“ (2018) der Titelheld in einem bizarren spätfeudalistischen Setting skrupelloser Ausbeutung bei seinen arglosen Versuchen, allen Menschen etwas Gutes zu tun, zu einem unfreiwilligen Märtyrer und zu einer Art Heilandsfigur.
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„Futura“ (2021) von Pietro Marcello, Francesco Munzi und Alice Rohrwacher setzt hingegen die dokumentarische Tradition der Befragung fort, in diesem Falle von jungen Leuten, die sowohl von Gegenwartsthemen sprechen – etwa ihrem Umgang mit sozialen Medien –, als auch und vor allem davon, wie sie sich die Zukunft für sich in Italien und auf der Welt vorstellen (4. – 29. 3., Kino Arsenal, www.arsenal-berlin.de).
Wer sich für das Kino des klassischen Hollywood-Studiosystems interessiert, kommt an dem aus Ungarn stammenden Regisseur Michael Curtiz nicht vorbei, sein berühmtestes Regiewerk „Casablanca“ (1942) kennt vermutlich so gut wie jede:r.
Doch Curtiz hatte als Mihály/Michael Kertész vor seiner Abfahrt nach Amerika im Jahr 1926 bereits rund 60 Filme in seiner Heimat, in Österreich und in Deutschland gedreht. Wie etwa das (Teil-)Monumentalwerk „Sodom und Gomorrha“ (1922), den seinerzeit teuersten österreichischen Film, der zwischen zwei Spielhandlungen um das Thema Unmoral in der Gegenwart und den in der Bibel erwähnten, titelgebenden Städten hin- und herspringt.
Zu sehen ist dies in der kleinen Schau „Mihály/Michael Kertész: Als Curtiz noch Kertész war – seine frühen Filme“ mit acht Stummfilmen aus der Frühzeit des Regisseurs (6. 3.,17 Uhr, Zeughauskino).
Schwindelfreie Freunde der Bergwelt werden sich möglicherweise mit „Der Alpinist“ anfreunden können, einem dokumentarischen Porträt des 2018 bei einem Lawinenunglück ums Leben gekommenen kanadischen Kletterers Marc-André Leclerc.
Der Film weiß um die letztlich zweifelhafte Faszination für Bilder von Menschen, die ungesichert in steilen Felswänden klettern und sich dabei in eine tödliche Gefahr begeben, erklärt aber auch sehr schön, worin für die Protagonist:innen selbst die Faszination ihres Sports besteht: dass man in zumindest einem Aspekt seines Lebens die totale Kontrolle hat. Jedenfalls bis zum möglichen Absturz (3. – 9.3., 13.30 Uhr, B-ware! Ladenkino, 6.-9.3, 18.15. Uhr, Xenon).
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