Kino in Friedenau: Fantasy im Cosima
Das alte Kino sollte geschlossen, sein Betreiber vor die Tür gesetzt werden. Die SPD ist empört, doch dann wird klar: Die Geschichte ist ganz anders.
So ungefähr könnte die Zusammenfassung des Drehbuchs sein, wollte man aus dem, was sich rund um das Berliner Cosima-Filmtheater in den vergangenen Tagen zugetragen hat, einen Reißer mit dem Titel „Kino-Zoff in Friedenau“ produzieren.
Alles ging damit los, dass dem Bezirksverordneten Orkan Özdemir, der von der SPD Friedenau als Kandidat für die nächste Wahl ins Berliner Abgeordnetenhaus aufgestellt wurde, das Schicksal des Betreibers des Cosima-Kinos, Lothar Bellmann, zugetragen wurde.
Diesem, bereits seit Mitte der Sechziger Betreiber des altehrwürdigen Kiezkinos, das originellerweise nicht einmal über eine eigene Website verfügt, wurde der Mietvertrag gekündigt. Doch nicht nur das: Das Cosima-Filmtheater solle sogar ganz schließen. Laut Bellmann. Eine Wahnsinnsgeschichte: 81-jähriger Mann steht von heute auf morgen auf der Straße, Kino schließt. Und das während Corona.
SPD spontan empört
Orkan Özdemir (Motto auf seiner Facebook-Seite: „Friedenau im Herzen – Berlin im Blick!“) kontaktierte die Hausverwaltung des Filmtheaters, bekam von der aber keine Auskunft darüber, wie die Eigentümerin weiter mit dem Kino zu verfahren gedenke. Nach dem Motto „Erst einmal eine Petition und eine Presseerklärung raushauen und dann weiter schauen“ geschah genau das: Özdemir richtete eine Petition ein mit dem erklärten Ziel, dass sowohl die Kündigung zurückgenommen wird als auch das Cosima-Kino erhalten bleibt.
Die SPD Friedenau setzte eine Presseerklärung auf ihre Homepage, in der selbiges gefordert wurde. Und da ja langsam Wahlkampf ist und echtes Engagement von PolitikerInnen sicherlich von den BürgerInnen honoriert wird, ließ sich in dieser neben Özdemir auch die für Friedenau ins Abgeordnetenhaus gewählte Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci zitieren, die sich ob des Treibens in ihrem Wahlkreis „fassungslos“ zeigte und nach „Solidarität mit unseren Kulturschaffenden“ rief.
Armer alter Mann, Kino in Friedenau muss schließen, daraus machte der Tagesspiegel dann auch sofort eine Geschichte. Und entlockte dabei der Hausverwaltung des Cosima die Information: Das Kino werde weiter bestehen, es sei nie etwas anderes geplant gewesen, nur werde es einen neuen Betreiber geben.
Okay, sei’s drum, dachte sich wohl der Bezirksverordnete Özdemir und beendete nicht etwa seine Petition, sondern schrieb sie einfach komplett um. Die Sache mit der Kinoschließung fiel raus, dafür entlockte er Lothar Bellmann, der ihm bereits einmal die Unwahrheit über die Zukunft seines Kinos erzählt hatte, neue Informationen. Gemäß dieser, so schrieb es Özdemir in die Neufassung seiner Petition, würde „ein anderer Kinobetreiber nun mit dem Vermieter eine Einigung an dem aktuellen Betreiber Herrn Bellmann vorbei getroffen“ haben. Das sei freilich „unsolidarisch und keine Art und Weise, wie wir mit alteingesessenen Gewerbetreibenden in unserem Kiez umgehen wollen“.
Eva-Lichtspiel-Betreiber als Leidtragender
Kurz darauf gab sich dieser andere, vermeintlich so unsolidarische Betreiber zu erkennen und meldete sich selbst zu Wort: Karlheinz Opitz von den Eva-Lichtspielen in Wilmersdorf. Er schrieb auf seiner Website von einer „Hetz- bzw. Verleumdungs-Kampagne“ gegen ihn seitens des Noch-Cosima-Betreibers Bellmann. „Schon lange vor der Coronapandemie wurde mit ihm gemeinsam eine baldige, gütliche Ablöse besprochen“, vermeldete er. Außerdem sei er selbst „von Herrn Bellmann als Nachfolger empfohlen“ worden.
Vor allem aber wolle er an dieser Stelle Gerüchten und Verschwörungstheorien entgegentreten, die in den sozialen Medien kursierten. Diese kreisten darum, dass er Gelder, die er über eine Startnext-Kampagne gesammelt hatte – 60.000 Euro für einen kaputtgegangenen Filmprojektor – in Wahrheit dafür einsetzen wolle, sich bei der Hausverwaltung des Cosima-Kinos als dessen neuer Betreiber einzukaufen.
Okay, das war ein heftiger Plot Twist, auch für den Bezirksverordneten Özdemir, dem jetzt langsam dämmerte, dass es vielleicht keine so gute Idee war, mit Petition und Presseerklärung um sich zu werfen, die Dritte belasteten, ohne dabei vorher mit diesen gesprochen zu haben. Er suchte noch einmal den Austausch mit Lothar Bellmann und nun auch mit Karlheinz Opitz und arrangierte ein Treffen der beiden.
Karlheinz Opitz, Eva-Lichtspiele
Mit welchem Ziel auch immer. Seine Petition beendete er mit den Worten, die ziemlich komisch klingen, wenn man bedenkt, was er da bisher veranstaltet hat: „Wir freuen uns, dass wir dazu beitragen konnten, dass hier zwei Parteien wieder in gemeinsame Gespräche eintreten, und hoffen auf eine einvernehmliche Lösung.“ Über der Petition ist zu lesen, sie sei ein „Erfolg“ gewesen. Das Treffen sagte Bellmann dann kurz vorher ab.
Der bestätigte in einer weiteren Geschichte des Tagesspiegels über den Kinostreit in Friedenau, dass er selbst Opitz als seinen Nachfolger bei seiner Vermieterin vorgeschlagen habe. Nur sei für ihn jetzt die Zeit, dass ein Anderer sein Kino weiterbetreiben möge, noch nicht gekommen. Seitens der Hausverwaltung des Cosima bekommt die taz noch einmal bestätigt: „Der Kinostandort war nie gefährdet. Das Cosima soll auf jeden Fall erhalten werden. Dies war auch Herrn Bellmann zu jeder Zeit bekannt.“ Und: „Herr Bellmann hat Herrn Opitz selbst als Nachfolger vorgeschlagen. Er selbst war auch lange an gemeinsamen Gesprächen beteiligt, sogar aktiv und initiativ.“
Leises Zurückrudern
Bei der SPD Friedenau wurde nach dem Plot Twist still und heimlich die Presseerklärung mit den salbungsvollen Worten über Solidarität „während der schlimmsten Krise dieses Jahrhunderts“ und so weiter wieder von der Homepage genommen. Özdemir hat fast alle seiner Postings zum Fall Cosima-Filmtheater auf seiner Facebook-Seite gelöscht. Und auch alle von den empörten Friedenauern, die ihm ihre Meinung gegeigt hatten.
Wenn man sich jetzt mit Opitz unterhält, wirkt der verhältnismäßig tiefenentspannt. Was schon eine Leistung ist, wenn man bedenkt, was ihm alles vorgeworfen wurde: Mobbing, Missbrauch von Spendengeldern, schamloses Ausnutzen der prekären Situation eines Kollegen.
Herr Özdemir habe sicherlich Gutes im Sinn gehabt, glaube er, nur habe er sich bei seinen übereifrigen Aktionen nicht besonders geschickt angestellt und „seine Sorgfaltspflicht vernachlässigt“. Zu dem Gezerre über die Nachfolge-Regelung mit Noch-Cosima-Betreiber Bellmann sagt er, erste Gespräche über eine gütlich organisierte Übergabe des Kinobetriebs habe es schon vor vielen Jahren gegeben. „Wir waren uns eigentlich auch immer symphatisch, waren sogar leicht befreundet, würde ich sagen, und sind mehrere Male gemeinsam essen gegangen.“
Eine konkrete Übergabe des Cosima sei dann vergangenes Jahr zu Beginn des ersten Lockdowns vereinbart worden. „Die Eigentümerin kam für ein weiteres Treffen Anfang Juli extra aus Heidelberg angereist, auch um mich kennenzulernen. Eine nette Dame, der es sehr wichtig ist, dass das Kino erhalten bleibt. Da machte Bellmann aber plötzlich eine Kehrtwende und meinte, er wolle so lange weitermachen, bis er nicht mehr könne. Und das mit 81 Jahren. Das wollte die Vermieterin dann aber nicht mehr.“ Deswegen auch die Kündigung an Bellmann.
Zig Anfragen der taz beim Bezirksverordneten Özdemir, sich bitte noch einmal zu äußern zu der Aufregung in Friedenau, die er mitzuverantworten hat, bleiben unbeantwortet. Der Mann ist einfach abgetaucht, auch eine Form von Krisenmanagement. Aus dem Kreisverband der SPD Tempelhof-Schöneberg ist zu vernehmen, dass die ganze Sache Herrn Özdemir inzwischen leid tue. Eine offizielle Stellungnahme jedoch gibt es keine. Wegducken und aussitzen scheint die Strategie zu sein, um den Kandidaten für das Abgeordnetenhaus zu schützen.
Dabei würde man gern in das Drehbuch für das Drama „Kino-Zoff in Friedenau“ schreiben: Beim Happy End räumt der Politiker seinen Fehler ein, entschuldigt sich öffentlich und gewinnt so seine Glaubwürdigkeit zurück.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
SPD im Vorwahlkampf
Warten auf Herrn Merz