Kino-Film "Boxhagener Platz": So liebevoll wie "Good Bye Lenin!"
Matti Geschonnecks Heimatfilm "Boxhagener Platz" spielt 1968 in Berlin-Friedrichshain - und punktet mit Zeitkolorit, Berliner Originalen und komödiantischer Exploitation des Milleus.
Der TV-Regisseur Matti Geschonneck hat mit "Boxhagener Platz" einen Kinofilm gemacht, der an zwei zentralen Punkten nicht funktioniert. "Boxhagener Platz" spielt 1968 im Berlin-Friedrichshainer Kiez, in dem Geschonneck aufgewachsen ist. Allerdings sieht nichts nach Boxhagener Platz aus - eigentlich noch nicht mal nach Berlin. Weil in der Hauptstadt mittlerweile schon viel zu viel saniert ist, hat man in Leipzig, Halle und in den Babelsberger Studios gedreht. Und: "Boxhagener Platz" ist in seiner narrativen Grundstruktur ein Krimi - das Whodunnit um den Mord an Altnazi und Fischhändler Winkler interessiert aber allenfalls peripher, der Fall wird recht hölzern als Vorlage für die Vorführung von Stasi-Methoden und für die Exemplifizierung der inneren Zerrissenheiten eines überzeugten Linken im SED-Staat benutzt. Fehlanzeige also auch in Sachen Suspense. Was aber erstaunlicherweise dem Spaß, diesen Film zu sehen, nicht abträglich ist.
Denn der Film punktet mit dem, was man angesichts des Untertitels "Ein Berliner Heimatfilm" in Angstlust erwartet: Zeitkolorit, Berliner Originale, Berliner Schnauze, die komödiantische Exploitation des Milljöh-Charakters. In dieser Hinsicht hat "Boxhagener Platz" tatsächlich einiges zu bieten. Oma Otti (Gudrun Ritter) ist die Königin des Realitätssinns ("Mach den Faden von der Roulade ab, sonst kriegste noch Darmverschlingung."). Fünf Ehemänner hat sie schon beerdigt, der sechste liegt auch bereits im Sterben. Mit ihrem Enkel Holger, der bei der Oma dem Mief der elterlichen Wohnung, dem hilflos spießigen Vopo-Vater (Jürgen Vogel) und der trotzig Westfernsehen und Studentenunruhen verfolgenden Mutter (Meret Becker) entflieht, besucht sie regelmäßig ihre toten Männer auf dem Friedhof. Dort lernen die beiden den Ex-Spartakuskämpfer Karl Wegner (Michael Gwisdek) kennen, der sie mit schickem Dufflecoat, Spiegel und Lyrik in der Tasche sowie einem gewissen Verschwörergestus beeindruckt.
Otti verliebt sich, Holger dagegen wird von Wegners revolutionärem Geist angesteckt, was allerdings letztendlich nur dazu führt, dass er Wegner ins Gefängnis bringt. Aber wie gesagt: Der Plot ist nicht der Trumpf dieses Films. Was einen beim Zuschauen bei der Stange hält, ist die dichte Reihung liebevoll ausgestatteter Szenen, die "Good Bye Lenin!" locker das Wasser reichen können. Die rauchenden Kohleeimer am Straßenrand, der FDJ-Fanfarenumzug und der Friseursalon "Modische Linie". Aber hauptsächlich: die wirklich trefflich sitzenden Dialoge. Die notorische Meret Becker, die schlecht gelaunt in der Rolle von Holgers Mutter überzeugt. Und natürlich Gudrun Ritter, von der man schlichtweg nicht genug kriegt, wie sie als Otti in Filzpantoffeln männerweise und alltagsklug durch ihr gar nicht so graues DDR-Leben wieselt.
Natürlich: Eine ganze Reihe Pointen sollte man lieber nicht aus dem Film herauslösen - die Ost-Weihnachtsbäume sind krumm, der West-Weihnachtsbaum macht zunächst ordentlich was her, verliert aber über Nacht alle Nadeln… Als Milieu-Komödie ist "Boxhagener Platz" trotzdem eine unterhaltsam runde Sache. Zumal der Film unter seinem leichtfüßigen Auftreten auch noch eine Bedenklichkeitsnotiz formuliert - und zwar in Richtung einer Linken, die ihrer historischen Aufgabe damals wie heute nicht nachgekommen ist. Da kann Wegner seine immer enttäuschten kommunistischen Träume noch so sehr an die West-Studenten heften, Ottis Skepsis behält das letzte Wort: "Wat, an die ollen Jungs mit die langen Haare?" KIRSTEN RIESSELMANN
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