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Kindeswohl statt Bootcamp-Terror„Kinder brauchen eine Ombudsstelle“

Nach Schließung der „Friesenhof“-Heime: Schleswig-Holsteins Sozialministerin Kristin Alheit (SPD) will Heime künftig besser regulieren.

Kristin Ahlheit will die Betreiberrechte ans Kindeswohl anpassen, statt wie bisher umgekehrt. Foto: Carsten Rehder (dpa)

taz: Frau Alheit, am Donnerstag beschließt der Kieler Landtag einen Untersuchungsausschuss zur Friesenhof-Affäre. Eins scheint nicht mehr strittig: Sie haben vor Mai 2015 nichts von Problemen im Friesenhof gewusst.

Kristin Alheit: Das ist richtig.

Am 3. Juni wurden die Heime geschlossen. Angenommen, Sie wären früher informiert gewesen, was hätte das am Ablauf geändert?

Ich hätte früher Rückendeckung für ein mutigeres und forciertes Vorgehen der Heimaufsicht zum Schutz der Jugendlichen gegeben. Seit 2007 schickt das Jugendamt vor Ort in Dithmarschen keine Kinder mehr dort hin, erst in 2014 gab es Kontrollen und härtere Auflagen erst 2015.

47, ist Ministerin für Soziales, Gesundheit, Wissenschaft und Gleichstellung in Schleswig-Holstein. Zuvor arbeitete die SPD-Politikerin als Juristin in der Hamburger Finanzverwaltung und war von 2008 bis 2012 Bürgermeisterin der Stadt Pinneberg.

Im Juni wurde die Sache publik und prompt folgte die Schließung. War das eine politische Entscheidung?

Nein. Die zeitliche Abfolge ist anders. Es war nicht so, dass es öffentlich wurde und dann wurde geschlossen, sondern die rechtlichen Voraussetzungen lagen zu diesem Zeitpunkt vor, weil der Schutz der Jugendlichen in der Einrichtung nicht mehr gewährleistet war. Es stimmt, es gab schon seit 2007 Hinweise, dass es da auch schwierig ist. Das hat aber 2014 eine andere Qualität bekommen. Die Beschwerden hatten eine andere Häufung.

Die Betreiberin klagt. Mit Chancen?

Unserer Ansicht nach lagen die Schließungsvoraussetzungen vor. Wir sind zuversichtlich, dass das Gericht das bestätigt.

Die Vorwürfe der Mädchen gehen über Anschreien, stundenlanges Aussitzen, Strafsport, Entwürdigung. Wo liegt die Grenze? Darf man Kinder zum Sport zwingen?

Jugendhilfe soll Kinder selbstständiger machen, sie befähigen selbstverantwortliche junge Erwachsene zu werden. Das ist die Orientierung. Alles, was die Würde dieser Jugendlichen angreift und was dem nicht dient, das darf nicht sein. Was das im Konkreten ist, sollte Politik nicht im Detail entscheiden.

Also dürfen Pädagogen Liegestütze zur Pflicht machen?

Wenn es um Entwicklung geht und nicht um Umerziehung, dann ist nach dem, was ich der Fachdebatte entnehme, ein breites Spektrum an Ansätzen möglich. Ob das auch Liegestütze beinhaltet, müssen Fachleute entscheiden.

Sie haben einen Entwurf für eine Verordnung „zum Schutz von Kindern und Jugendlichen in Einrichtungen“ vorgelegt. Unter anderem wollen Sie Kontaktverbote an die Zustimmung eines Familiengerichts knüpfen.

Wichtig ist, dass Einrichtungen so etwas nicht alleine entscheiden. Es soll ein Familiengericht mitentscheiden, um auszuschließen, dass sachfremde Erwägungen eine Rolle spielen. Dabei muss man den Einzelfall angucken. Bei dem einen Kind kann dies völlig überflüssig sein, für das andere kann eine Trennung aus seinem Milieu sinnvoll sein.

Ihr Entwurf regelt auch, dass Minderjährige abschließbare Schränke haben sollen. Heimbetreiber nennen das bürokratisch. Bleibt‘s dabei?

Es ist ein Entwurf, die Endfassung kann ich nicht vorweg nehmen. Aber ein Ziel ist, dass Kinder und Jugendliche in Einrichtungen ihre Dinge sicher verwahren können. Was zum Beispiel auch gegeben ist, wenn sie ihr Zimmer abschließen können.

Die Heimaufsicht soll schon viel früher fachliche Bedenken gegen den Friesenhof gehabt haben, sich aber in dem Dilemma gesehen, dass eine Schließung juristisch schwierig sei. Sind gesetzliche Änderungen nötig?

Landesjugendämter brauchen bei Beschwerden mehr Handlungsmöglichkeiten. Auch die Frage des Entzugs der Betriebserlaubnis muss eindeutiger geregelt werden. Da sind wir uns in der Koalition in Schleswig-Holstein und auch auf Bundesebene einig. Alle Länder sagen, dass die Heimaufsicht weitere Befugnisse braucht, damit konsequenter zu Gunsten der Kinder gehandelt werden kann.

Das hörte man schon 2013 bei der Schließung der Hasenburg Heime. Nun prüft bis Ende 2015 eine Bund-Länder Arbeitsgruppe Vorschläge. Das klingt zögerlich. Ist es der Politik wirklich ernst? Oder immer nur dann, wenn es einen Skandal gibt?

Nein. Alle wollen das vernünftig regeln. Das wird nicht verzögert.

Einige Heime haben interne Beschulung. Ist dies ein Risikofaktor? Kinder, die nicht mal zur Schule gehen, haben keine alternativen Kontakte um sich zu artikulieren.

Heimbeschulung ist im Ausnahmefall sinnvoll, wenn Kinder sonst nicht beschulbar sind. Aber das muss mit dem Ziel erfolgen, das Kind baldmöglichst an eine Schule zu bringen, und nicht als Teil des Apparates Heimeinrichtung.

In der Kritik stehen auch sogenannte Phasenmodelle. Gerade die führten in der Praxis zur Einschränkung von Freiheitsrechten.

Phasenmodelle sind nicht per se zu verurteilen. Es kann Jugendliche geben, denen so ein Rahmen hilft. Aber die Rechte der Kinder und Jugendlichen dürfen nicht eingeschränkt werden.

Ein Heidelberger Rechtsinstitut hat zu ihrem Entwurf einen Ergänzungspassus vorgelegt. Heime, die im Laufe des Betriebs zunehmend von Freiheitsentzug Gebrauch machen, sollten diese Änderung dem Landesjugendamt melden und dafür die Betriebserlaubnis einholen. Ist das ein Einfallstor für geschlossene Heime?

Es ist andersrum. Nach geltendem Bundesrecht können die Länder geschlossene Unterbringung mit richterlicher Genehmigung nicht verbieten, wenn ein Träger das anbieten will. Der Vorschlag legt mit einer spezifizierten Betriebserlaubnis die Hürde höher als sie jetzt ist

Wenn jetzt ein Träger sagt: ja, Freiheitsentzug kommt bei uns vor, wir melden das und fordern die Betriebserlaubnis, dann hat Schleswig-Holstein ein geschlossenes Heim?

Die Bundesgesetze sind so, dass man es im Moment nicht verwehren könnte.

Nicht per Landesgesetz?

Nein.

Die Opposition hat scharf kritisiert, dass Sie nichts wussten. Haben Sie noch Spaß am Amt?

Ich weiß nicht, ob hier Spaß die richtige Kategorie ist. Aber ich bin motiviert, die Rechte von Kindern und Jugendlichen in Einrichtungen zu stärken.

Zum Beispiel wie?

Wir sind wie gesagt auf Bundesebene aktiv. Und ich möchte eine Ombudsstelle einrichten, an die sich Kinder und Jugendliche in Einrichtungen wenden können, die sich eindeutig einsetzt und positioniert. Obwohl ja das Jugendamt im Sinne der Kinder arbeitet, wird es nicht als die Stelle empfunden, an die man sich wendet. Da brauchen wir eine politische Entscheidung, was den Haushalt angeht. Ich möchte damit 2016 an den Start gehen.

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