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Kinder haften doch nicht für ihre ElternErmessensspielraum bei „falschen Libanesen“

Chance für Kurden

Das Oberverwaltungsgericht (OVG)Bremen hat in der vergangenen Woche eine bemerkenswerte Kehrtwende vollzogen: Erstmals seit Beginn der Kampagne des Innensenators gegen so genannte „falsche Libanesen“ hat das Gericht entschieden, dass Kinder von mit türkischen Papieren eingereisten Kurden aus dem Libanon für die Doppelidentität ihrer Eltern nicht unbedingt mit ihrer Ausweisung büßen müssen.

Eine Gruppe von rund 500 Menschen war Ende der 80-er Jahre vor dem libanesischen Bürgerkrieg nach Bremen geflohen. In der Türkei, aus der ihre Vorfahren stammten, hatten sie sich die nötigen Reisedokumente besorgt, hier aber unter ihren libanesischen Namen Asyl beantragt. Das flog vor zwei Jahren auf. „500 falsche Libanesen“ wollte der damalige Innensenator Bernt Schulte (CDU) abschieben.

Einer von ihnen ist Abdallah El-Bedewi, oder Abdullah Babayigit, wie er für die deutschen Behörden seither heißt. Die Eltern des Tankstellenbetreibers aus Hemelingen sind schon in die Türkei abgeschoben worden, im Mai wurde der dreifache Familienvater selbst in Abschiebehaft genommen – obwohl für Frau und Kinder kein Abschiebetitel vorliegt. Zu Unrecht, wie erst jetzt das OVG entschied, denn El-Bedewi hat einen Antrag auf Anerkennung nach der Altfallregelung von 1999 gestellt. Der wurde zwar abgewiesen, aber ein Widerspruch des 23-Jährigen ist bis heute nicht beschieden. So lange aber ist die Abschiebung nicht vollziehbar, so das OVG in seiner Entscheidung vom 11. Juni (AZ: 1 B 228/02).

Die Aussichten El-Bedewis sind nämlich nach Ansicht des Gerichts gar nicht schlecht: Die „positiven Erteilungsvoraussetzungen“ Aufenthaltsdauer und Integration erfüllt er spielend und den Lebensunterhalt für seine Familie bestreitet er ebenfalls. Innensenator Kuno Böse (CDU) hatte bisher stets bedauernd darauf verwiesen, auch in diesem „Einzelfall“ seien ihm dennoch die Hände gebunden: Durch das Passvergehen seiner Eltern fehle dieRechtsgrundlage für die Anerkennung.

Damit befand Böse sich im Einklang mit der bisherigen Verwaltungsrechtssprechung: Die Gerichte hatte in ähnlichen Fällen immer entschieden, selbst minderjährige Kinder müssten sich das strafbare Handeln ihrer Eltern „zurechnen“ lassen. Im Fall El-Bedewis, der mit sieben Jahren nach Deutschland gekommen war, argumentiert das Gericht jetzt genau andersherum: „Die Täuschung seiner Eltern begründet nach dem Wortlaut der Altfallregelung nicht zwingend den Ausschluss aus der Regelung“, heißt es in der Begründung. Und noch mal ganz deutlich: „Dass der Antragsteller das Verhalten seiner Eltern nicht gegenüber der Ausländerbehörde aufgedeckt hat, kann ihm als eigener Ausschlussgrund kaum vorgehalten werden.“

Damit liegt der schwarze Peter bei Böse, dem das Gericht ins Stammbuch geschrieben hat: „Insoweit besteht – für den eng begrenzten Personenkreis, der Merkmale erfüllt wie der Antragsteller – jedenfalls ein Handlungsspielraum, in dessen Rahmen die Widerspruchsbehörde nach sachgerechten Kriterien über die Einbeziehung oder Nichteinbeziehung zu entscheiden hat.“

Jan Kahlcke

Kommentar: Seite 21

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