Kinder des Klimawandels: Erst das Klima, dann Papas Auto
"Climate Natives" sind hineingeboren in das Untergangsszenario einer sich erhitzenden Welt. Sie suchen nach Ansätzen, umweltschonend zu leben und nehmen Klimaschutz selbst in die Hand.
"Digital Natives" steht inzwischen für die Generation junger Menschen, die mit digitalen Technologien aufgewachsen sind. Ein Leben ohne Internet und Handy können sie sich nicht vorstellen; sie fühlen sich in der Welt der Pixel zu Hause. Die Kinder des Internet sind auch die Kinder des Klimawandels, quasi die "Climate Natives": Sie wurden hineingeboren in das Untergangsszenario einer sich erhitzenden Welt. Erderwärmung, CO2-Emissionen und erneuerbare Energien sind für sie keine Fremdwörter. Ganz selbstverständlich suchen Schüler bei "Jugend forscht" deshalb nach Ansätzen, umweltschonend zu leben. Sie nehmen den Klimaschutz selbst in die Hand.
Am Humboldt-Gymnasium in Berlin-Tegel brüten etwa zwölf Schüler über einer scheinbar gewöhnlichen Jalousie. Die Nachwuchsforscher wollen diese Jalousie aufrüsten und Solarzellen auf die Lamellen montieren. "Die Sonne muss natürlich scheinen", erklärt Projekt-Sprecher Luca Tilly, "aber wenn wir Glück haben, können wir so Energie in einem Akku speichern und die Wärme der Sonne nutzen."
Dass die Neuntklässler für das Klima forschen, hat zwei Gründe. Klar, einerseits orientieren sich Luca Tilly, Timon Lützow und Jonas Richter am Markt: "Umweltsachen kommen immer gut im Wettbewerb an", sagt Timon und grinst: "Vielleicht können wir die Jalousie ja irgendwann in die Produktion geben." Neben Träumen vom Profit sehen sich die 13-Jährigen aber auch in einer besonderen Rolle. "Bei unseren Eltern war Klimawandel ja noch überhaupt kein Thema - wir wachsen jetzt aber damit auf", sagt Luca. "Wir sind die erste Generation, auf uns kommt es an, weil wir auch die Folgen zu spüren bekommen."
Solche Sätze allein hören sich fast nach heldenhaften Klimarettern an, würden den Ansatz der Jungs aber nicht genau beschreiben. "Ich bin echt kein Öko wie manch anderer", stellt Luca lachend klar. "Mit dem Fahrrad zum Handball fahren ist zwar kein Problem", setzt er an. Sein Freund Jonas vollendet den Gedanken: "Aber wenn ich später mal eine Menge Geld verdienen sollte, würde ich bestimmt nicht auf ein schönes großes Auto verzichten."
Ihre Eltern oder Großeltern für schmelzende Gletscher und steigende Meeresspiegel verantwortlich machen wollen die drei deshalb nicht. Die Frage, ob sie mit dem Klimawandel nicht die Rechnung ihrer Eltern bezahlen, stellen sich Luca, Jonas und Timon so nicht. Für die drei Forscher ist der Klimawandel einfach da - die Frage, wer ihn verursacht hat, spielt keine Rolle.
Es ist wohl eine Eigenschaft der "Climate Natives", Klimawandel als selbstverständlich zu akzeptieren. Was nicht bedeutet, die Folgen zu verdrängen. Denn "jeder macht, was er kann", gibt sich Luca bescheiden - und denkt an die Solarzellen auf der Jalousie.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Anbrechender Wahlkampf
Eine Extraportion demokratischer Optimismus, bitte!
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei