piwik no script img

Kerem Schamberger und FacebookDas Rätsel um die verlorenen Follower

Facebook erklärt den mysteriösen Followerschwund auf der Seite des linken Aktivisten mit deaktivierten Accounts. Das wirft neue Fragen auf.

Die Erklärung von Facebook hinterlässt Fragen Foto: dpa

Facebook hat den Fall Kerem Schamberger, dessen türkeikritischem Account auf mysteriöse Weise etwa 5.000 von rund 20.000 Followern abhanden gekommen sind, für beendet erklärt. Einem Bericht von Netzpolitik.org zufolge äußerte Facebook gegenüber dem Blog, die interne Untersuchung des Falles sei abgeschlossen.

Eine nicht genauer genannte Anzahl an Stichproben unter den verschwundenen 5.000 Accounts habe ergeben, dass nur ein sehr kleiner Teil der Follower Kerem Schamberger aus eigenem Willen entfolgt habe. So laute die Erklärung Facebooks, heißt es auf Facebook Netzpolitik.org. Der wesentliche Teil der Accounts sei wegen „Verstößen gegen die Geschäftsbedingungen“ von Facebook deaktiviert worden. Das sei nicht auf Initiative des Unternehmens geschehen, sondern weil die betroffenen Accounts gemeldet worden seien.

Diese Stellungnahme wirft allerdings neue Fragen auf.

Denn der Aussage von Facebook stehen die Berichte mehrerer Facebook-Nutzer gegenüber, die der taz vergangene Woche gesagt hatten, sie folgten dem Profil von Kerem Schamberger gegen ihren Willen nicht mehr. Ihre Accounts wurden aber nicht deaktiviert. Ihm lägen inzwischen 40 bis 50 Rückmeldungen dieser Art von ehemaligen Followern vor, sagte der Medienwissenschaftler und linke Aktivist Schamberger der taz. 20 dieser unfreiwillig entfolgten Accounts habe er Facebook gemeldet. Das Unternehmen habe ihm gegenüber dementiert, dass die betroffenen Accounts entfreundet oder entfolgt wurden.

„Blumige Ausreden“

Damit steht Aussage gegen Aussage. „Facebook wirft eine neue Nebelkerze, um das im Sande verlaufen zu lassen“, kommentiert Schamberger die Äußerungen des Unternehmens. Die Behauptungen seien schwer nachvollziehbar und nicht unabhängig überprüfbar. „Facebook müsste offenlegen, warum die Follower verschwinden. Aber das Unternehmen verweigert sich und denkt sich blumige Ausreden aus, um davon abzulenken, dass es keine Transparenz gibt“, kritisiert er.

Unklar ist auch, gegen welche Richtlinien der Gemeinschaftsstandards die laut Facebook deaktivierten Accounts verstoßen haben sollen – und von wem sie gemeldet wurden. Ein möglicher Verstoß könnte neben Hate Speech und Nacktbildern auch die Unterstützung von Organisationen sein, die Facebook als „Gefährliche Organisationen“, einstuft. Welche Organisationen das sind, veröffentlicht das Unternehmen nicht.

Fragt man Kerem Schamberger, so ist sein Fall ein „eklantantes Beispiel dafür, dass Facebook gegen prokurdische und kritische Seiten vorgeht“. Sein Vorwurf: Das Unternehmen orientiere sich an den Vorgaben der Türkei. Er hält es auch für denkbar, dass hinter der Sache eine konzertierte Aktion von Anhängern der türkischen Regierungspartei AKP steckt. Der Verdacht lässt sich schwer überprüfen, weil sich Facebook dazu nicht äußert.

Ärgerliche Intransparenz

Das Facebook-Profil des prokurdischen Aktivisten ist nicht das einzige, das in den vergangenen Monaten rasant Follower verloren hat. Auch Spiegel-Redakteur Hasnain Kazim, der ebenfalls sehr aktiv auf Facebook postet, hat festgestellt, dass die Zahl seiner Follower „dramatisch runterging“: in ungefähr zwei Monaten von 30.000 Followern auf 26.000 Follower. Selbst das Blockflöten-Video des Journalisten, das in den sozialen Medien auf außerordentliche Resonanz stieß, habe den Verlust von Followern nur leicht ausgeglichen, berichtet Hasnain Kazim der taz.

Der ehemalige Türkei-Korrespondent von Spiegel Online kann sich diese Entwicklung nicht erklären. Er kontaktierte Facebook, nach Prüfung des Falls teilte das Unternehmen mit, es können den Verlust der Follower nicht nachvollziehen.

Schamberger Vorwurf, es handle sich dabei um eine Zensur türkeikritischer Seiten und Inhalte, schließt Kazim sich nicht an. „Zum einen bin ich nicht ausschließlich türkeikritisch, zum anderen betrifft es auch andere Accounts, die nichts mit Türkeikritik zu tun haben“, sagt er am Telefon. „Es ist allerdings ärgerlich, dass Facebook nicht erklären kann, woran das liegt. Diese Intransparenz ärgert mich.“

Währenddessen geht der Followerschwund auf Kerem Schambergers Seite weiter; trotz der öffentlichen Aufmerksamkeit, die er infolge der Berichterstattung bekommen hat. Der Aktivist will sich nicht mit der Antwort von Facebook zufrieden geben. „Wir machen weiter, bis wir wissen, was da los ist“, sagt er.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • Facebook möchte Umsatz generieren. Auch in der Türkei.

     

    Facebook möchte nicht dort abgeschaltet oder gar vom Sultan und seinen Schergen als "Terroristenfreund" eingestuft werden.

     

    Facebook ist ein privatwirtschaftliches Unternehmen und gar nicht an Menschen- oder Freiheitsrechten, an Gerechtigkeit und Rechtsstaatlichkeit interessiert. Das ist nicht ihr Business.

     

    Facebook ist nur ein riesiges Werbeunternehmen, und es richtet sich konsequent nach denen, die den größten nachteiligen Einfluss auf ihren Geschäftserfolg nehmen könnten, sollten deren Forderungen und Erwartungen nicht erfüllt werden.

     

    Auf der einen Seite könnte ein türkeikritischer Account 5.000 Follower mehr haben, auf der anderen Seite könnte Facebook 80 Mio türkische Nutzer weniger haben.

     

    Facebook trifft keine - ich wiederhole: KEINE! - moralischen entscheidungen, sondern geschäftliche. Weil es ein Unternehmen ist und nicht "die Wohlfahrt".

     

    Ich bin nicht bei Facebook und ich werde es niemals sein. Was hier aber fehlt wäre eine europaweite Initiative, die es allen öffentlichen, staatlichen Stellen, Institutionen und Behörden, allen Körperschaften des öffentlichen Rechtes, allen Parteien VERBIETET, dort einen Account zu betreiben.

     

    Facebook ist für'n Arsch und gehört ins Klo gespült.

  • Ach bei Facebook weiss doch die rechte nicht was die linke tut.

    Teil des Geschäftsprinzips, um nirgends nicht haftbar gemacht werden zu können.

    Ich habe z.B. ein kleines Gewerbe welches (leider auch) auf Facebook vertreten ist (sein muss, die jungen Leute, ne?!).

    Also: ein, zwei Monate konnte ich auf "Face" Anzeigen schalten.

    Ja, hatte Widerhall, es kamen mehr Kunden.

    Nach ein paar Wochen hiess es plötzlich von Seiten Face dass Produkte wie die meinen "leider nicht auf Face beworben werden" könnten.

    So weit, so ärgerlich.

    Aber posten darf ich auf Face weiterhin.

    Und bei jedem Post schlägt mir das System mehrfach vor, ich solle es doch bitteschön bewerben.

    Nö Leute. Klar, für die Jungen muss ich diesen Mist mitmachen, aber generell: die spinnen und sind blöd wie Stulle. Also die von Face mein ich.