Kennzeichnung von Siedlungsprodukten: Wein vom Berg des Segens
Produkte aus dem Westjordanland sollen nicht als „Made in Israel“ deklariert werden, fordert die EU. Siedler hoffen auf einen Werbeeffekt – oder fürchten Boykott.
ARIEL taz | Abed Bani Nimra präpariert Klodeckel mit Styroporpuffern für die Verpackung, damit sie beim Transport keinen Schaden nehmen. Seit sieben Jahren arbeitet der palästinensische Familienvater bei Lipski-Plastik im Industriegebiet Barkan, unweit der israelischen Siedlung Ariel.
„Ein palästinensischer Betrieb wäre mir natürlich lieber“, sagt Nimra, aber in Salfit, seinem Heimatort, werde die Arbeit viel schlechter bezahlt als bei den Siedlern. Rund 3.000 Palästinenser verdienen ihren Lebensunterhalt im Industriegebiet Barkan. Wenn es einen Boykott gibt, „sind sie die Ersten, die den Preis dafür zahlen“, meint Nimras Chef Ofer Alter, Direktor der Plastikfabrik.
Mit Sorge verfolgt Alter die Debatte der EU-Staaten über eine einheitliche Kennzeichnungspflicht von Produkten aus israelischen Siedlungen. Geplant ist kein Boykott, sondern lediglich eine Aufschrift, die klarmacht, wo die Ware herkommt. Als „Product from Israeli Settlement“ zeichnet der holländische Einzelhandel die israelische Importware aus dem Westjordanland aus, anstatt mit dem irreführenden „Made in Israel“, das in den meisten EU-Staaten noch üblich ist. Der politisch wache Käufer soll künftig die Wahl für oder gegen Produkte aus Siedlungen haben.
Die Zollbehörden unterscheiden bereits seit Februar 2005 nach der Herkunft der Produkte: Die Vergünstigungen, die Israel durch das Assoziierungsabkommen mit der EU genießt, gelten „nicht für Waren aus den seit 1967 unter israelischer Verwaltung stehenden Gebieten“.
Israels Behörden müssen jeweils Postleitzahl und Ort angeben, in dem „die Urspungseigenschaft verleihende Herstellung stattgefunden hat“, so die Vereinbarung zwischen der EU und Israel.
Bislang etikettieren nur Großbritannien, die Niederlande und Dänemark Siedlungsprodukte gesondert. Bis Ende 2013 sollen alle EU-Mitglieder erklären, wie sie die Vorschrift umsetzen, forderte jüngst EU-Kommissarin Catherine Ashton.
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Streit ums Land
Seit Dienstag verhandeln Israels Justizministerin Zipi Livni und der palästinensische Vermittler Saeb Erikat in Washington über einen Weg zum Frieden. Vor drei Jahren waren die letzten direkten Gespräche gescheitert. Besonders kompliziert ist die Frage, welche der 1967 von Israel besetzten Gebiete die Palästinenser zurückerhalten.
Nach Ansicht von Israels Premier Benjamin Netanjahu sollen wichtige Siedlungen bei Israel bleiben. Einige seiner Koalitionspartner sind allerdings prinzipiell gegen eine Zweistaatenlösung. Für die Palästinenser gehört grundsätzlich das Westjordanland, Ostjerusalem und Gaza zu einem künftigen eigenen Staat.
Ob Boykott oder Warenkennzeichnung – für die Unternehmen in Barkan fühlt sich beides wie eine Bestrafung für ihre Standortwahl an. Fabrikdirektor Alter findet das ungerecht. Gerade hier kämen die beiden Völker auf gleicher Ebene zusammen. „Die Arbeiter bekommen denselben Lohn und genießen dieselben sozialen Rechte“, sagt er. Egal ob Israeli oder Palästinenser „beide haben gleiche Aufstiegsmöglichkeiten“. Nur auf dem Parkplatz zeigt sich der Unterschied, denn während die Palästinenser aus Sicherheitsgründen ihre Autos an der Einfahrt zum Industriegelände abstellen müssen, fahren ihre israelischen Kollegen direkt bis zur Produktionshalle vor.
Die Firma Lipski-Plastik hat Erfahrung damit, welche Folgen ein Boykott haben kann. Bis vor drei Jahren noch ging rund die Hälfte der Produktion ins Westjordanland, dann machte Salam Fajad, ehemals palästinensischer Ministerpräsident, dem Geschäft ein Ende. In eigener Person verteilte er Flugblätter, die die Namen der Siedlerunternehmen auflisteten und appellierte an sein Volk, sich dem Kauf der Besatzungsware fortan zu verweigern. „30.000 Klospülungen pro Jahr haben wir ins Westjordanland verkauft“, jammert Alter, „und heute? Nichts. Nicht eine einzige Klospülung.“
Bloß keinen Boykott
Der Betrieb trotzt dem palästinensischen Boykott und hält sich mit alternativen Absatzmärkten über Wasser. Bis zu 15 Prozent der Produkte werden heute ins Ausland verkauft, außerdem erweiterte Lipski-Plastik das Angebot auf Wäschekörbe und Plastikstühle. Besonders erbost zeigt sich Fabrikdirektor Alter darüber, dass das palästinensische Konkurrenzunternehmen Royal Hebron ungestört das eigene Badezimmerzubehör auf den israelischen Handel bringen darf. „Warum kann der bei uns verkaufen und ich nicht dort?“, fragt er und setzt hinzu, dass seine palästinensischen Mitarbeiter den höchsten Preis zahlen werden, wenn eines Tages Entlassungen anstehen. „Die Israelis können sich irgendwo anders eine neue Stelle suchen, aber bei den Arabern gibt es keine Jobs.“
Zwischen 20.000 und 30.000 Palästinenser arbeiten in den Fabriken der Siedler, bauen neue Siedlerhäuser oder mauern an der Trennanlage, die sich durch ihre Felder, Städte und Gärten zieht. Mit der Besetzung sind viele Arbeitsplätze verbunden und gleichzeitig ist sie der Grund dafür, dass die palästinensische Arbeitslosigkeit seit Jahren steigt. Überall dort, wo Israel Land annektiert, kann sich keine palästinensische Wirtschaft entwickeln.
In einem Anfang des Jahres verfassten Bericht machen die in Jerusalem stationierten EU-Diplomaten „die Baumaßnahmen und Kontrollposten“ mit für die Stagnation verantwortlich und empfehlen, „direkte Investitionen“, die in die Infrastruktur und Dienstleistungen der Siedlungen fließen, zu verhindern.
Die Botschaft der Diplomaten lässt die Regierung in Jerusalem aufhorchen. Vor allem Zipi Livni, Justizministerin und Beauftragte für Friedensverhandlungen, bereitet der sich verschärfende Ton in Europa Kopfschmerzen. Israel werde zunehmend als „kolonialistischer Staat“ empfunden, deshalb wird ein Boykott „nicht mit den Siedlungen enden, sondern früher oder später ganz Israel erreichen“, fürchtet sie. Damit würde das palästinensische Beispiel Schule machen, denn Fajad erweiterte seinen anfänglichen Aufruf, keine Produkte aus Siedlungen zu kaufen, jüngst zu einem grundsätzlichen Boykott gegen Israel.
Kopfschmerzen
Laut der Zeitung Ha’aretz erwägen führende europäische Banken die Sperrung von Anleihen israelischer Unternehmen, die geschäftliche Verbindungen zu Firmen in den besetzten Gebieten unterhalten. „Das Ausmaß der Gefahr für die israelische Wirtschaft ist kaum überzubewerten“, warnte die Zeitung jüngst in einem Leitartikel. Der einzige Weg, den drohenden Boykott aufzuhalten, seien Verhandlungen.
Nichts anderes verfolgt US-Außenminister John Kerry, dessen Pendeldiplomatie von bewundernswerter Geduld geprägt ist und von leeren Händen – die 500 Millionen US-Dollar-Wirtschaftshilfe für die Palästinenser ausgenommen. Die Regierung im Weißen Haus zeigt sich nicht bereit dazu, Kerrys dringendem Anliegen Nachdruck zu verleihen. Wirtschaftliche Sanktionen gegen Israel kommen für US-Präsident Barack Obama nicht in Frage. Erst jüngst warnte Kerry, dass „gewaltbereite Extremisten das Vakuum füllen werden, das durch das Versagen der Führungen zurückbleibt“.
Im gesamtnahöstlichen Kontext könnte ein Frieden zwischen Israel und den Palästinensern mit dahin wirken, dass im Ringen arabischer Staaten zwischen westlicher Moderne und islamistischer Tradition die Moderaten und die, die auf regionale Kooperation setzen, letztendlich die Oberhand gewinnen. „Ich denke, dass sich das Fenster für eine Zweistaatenlösung schließt“, sagt Kerry. „Ich glaube, wir haben noch ein, eineinhalb bis zwei Jahre, dann ist es aus.“
Die israelische Weinbäuerin Vered Ben Saadon glaubt, dass die Zweistaatenlösung schon jetzt nicht mehr relevant ist. „Wir leben so eng zusammen“, sagt die 36-jährige mehrfache Mutter und verschränkt die Finger, um ihren Gedankengang anschaulich zu machen. „Dieses Puzzle ist nicht mehr auseinanderzukriegen.“ Das sei auch gar nicht nötig. Beide Völker sollten zusammenleben. „Die Mutter im Nachbardorf will ihren Sohn nicht in den Märtyrertod schicken“, sagt sie. „Ich glaube an das Gute im Menschen.“
Wie der Zufall so spielte
Wie genau eine Lösung aussehen soll, weiß sie auch nicht. Wichtig sei, dass die Leute, die so nah beieinander wohnen, nur erst einmal miteinander redeten. „Ich bin sehr neugierig, die Frauen aus den Nachbardörfern kennenzulernen“, sagt sie. Aber ohne militärischen Schutz traut sie sich nicht zu den Palästinensern.
Vor 16 Jahren zog Vered jung verheiratet in den damals auch nach israelischem Recht illegalen „Siedlungsvorposten“ Rechalim in der Nähe von Ariel. Heute leben dort rund 250 überwiegend fromme Israelis. Eine Räumung steht von staatlicher Seite nicht mehr zur Debatte. Für die streng gläubige Jüdin Ben Saadon gaben vor allem ideologische Gründe den Ausschlag bei der Wahl ihrer Heimat.
Wie der Zufall günstig für sie spielte, landete sie auf einem für den Weinbau idealen Fleckchen Erde. „Tura“ ist das Markenzeichen für Ben Saadons Boutiquewein, den sie für umgerechnet stolze 20 Euro pro Flasche verkauft und der großen Nachfrage trotzdem kaum nachkommt. Die Wände im Empfangsraum zum Weinkeller sind voller Urkunden, die „Tura“ bei lokalen und internationalen Wettbewerben errang.
850 Meter über dem Meeresspiegel garantieren ihr fast jeden Winter Schnee, und auch im Sommer ist es hier oben vergleichsweise kühl. Optimale PH-Werte im Boden. Har Bracha heißt die Gegend offenbar nicht durch Zufall: „Berg des Segens“. Jedes Jahr werde ihr Cabernet sanfter und der Merlot trockener. Über 30.000 Flaschen soll der Weinberg im nächsten Jahr hergeben. Mehr als doppelt so viel wie in diesem Jahr. Auch der Absatz nach Europa und Kanada steigt.
„Aus Liebe zu Israel“
Von der Debatte in den EU-Staaten weiß die agile Weinbäuerin nichts, und von einem Boykott, denn sie für „komplette Blindheit“ derer hält, die von der Realität abgekoppelt sind, lässt sie sich nicht schrecken. „Aus Liebe zu Israel“ bestellten ihre frommen christlichen Kunden in Ungarn, gerade weil sie ihren Wein in einer Siedlung herstellt, die Flasche mit dem „Tura“-Schild.
Eine gesonderte Kennzeichnung verlangten bislang nur die Amerikaner. „Product of Shomron“ (Produkt aus Samaria), steht auf den Flaschen für den Export nach Übersee. „Mich stört das nicht“, sagt Ben Saadon. Jedes Jahr kommen 300 amerikanische Evangelisten nach Rechalim, „um uns ohne jede Bezahlung bei der Ernte zu helfen“. Der Standort „besetztes Land“ zahlt sich ordentlich aus für die Weinbauern.
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