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Kenia nach ethnischen SäuberungenKeine Fernfahrer für den Fisch

In Kenias Westprovinz Nyanza haben Luo-Oppositionsmilizen alle angeblich regierungsnahen Ethnien verjagt. Nun bricht die Wirtschaft zusammen, weil es zum Beispiel keine Fernfahrer mehr gibt.

KISUMU taz Es ist still in Dunga. Friedlich plätschert das Wasser des Victoriasees am Ufer des kleinen Fischerdorfs. Seit Jahrzehnten hat sich nichts geändert: Wie ihre Väter fahren die Fischer in leckenden Holzbooten hinaus, die Straße zum Hafen ist voller Schlaglöcher. Einen Kühlraum gibt es immer noch nicht. Die Nilbarsche und Tilapias müssen schnell verkauft werden, weil sie sonst verderben durch Hitze und Fliegen.

So still wie jetzt dürfte es aber nicht sein. Der Fischverkauf ist zusammengebrochen, und das liegt nicht an den Fischen. "Es gibt reichlich Fisch im See, aber zu wenig Kunden", erzählt der Fischer Dominic Atendo, während er einen Nilbarsch inspiziert. "Ich verkaufe an den örtlichen Markt, aber nicht mehr in andere Teile des Landes."

Fischerei ist in der Provinz Nyanza im Westen Kenias eine der wichtigsten Einkommensquellen. Der Fisch wird nicht nur in Kenia konsumiert, sondern auch exportiert. Aber die meisten Lastwagenfahrer hier sowie die Mehrheit der Spediteure, die den Fisch auf den Weltmarkt bringen können, sind Kikuyus, das Volk von Präsident Mwai Kibaki. Nyanza ist hingegen das Siedlungsgebiet des Luo-Volks von Oppositionsführer Raila Odinga. Seit den Wahlen von Ende Dezember, bei denen Kibaki den Sieg trotz Fälschungsvorwürfen für sich beanspruchte, haben wütende Luos aus der Provinz Nyanza alle Kikuyus vertrieben.

Dominic Atendo trauert nicht um die Kikuyus und andere Völker, die Kibaki gewählt hatten. Die wirtschaftlichen Folgen akzeptiert der Fischer. Jedenfalls vorläufig. "Wir müssen warten, bis Luos das Transportwesen übernommen haben. Aber es soll schnell geschehen. Ich verdiene nicht genug, um meine Familie zu ernähren."

Der holländische Fischfabrikant Pals Wegener transportiert Fisch aus Nyanza nun mit dem Flugzeug. "Sehr teuer!", ärgert er sich. "Jetzt haben wir aber einen muslimischen Chauffeur gefunden. Er kommt mit dem Kühlwagen aus Mombasa." Das liegt am anderen Ende von Kenia. Aber Muslime werden in Nyanza toleriert, denn sie wählten Odinga.

Die ethnischen Säuberungen in Kenia haben Völkerwanderungen ausgelöst. Überlandstraßen sind voller offener Lastwagen, hoch beladen mit Menschen und ihrem Hausrat. In Nyanzas Provinzhauptstadt Kisumu herrscht gespannte Ruhe. Die Straßen sind voller Menschen, Polizei ist kaum zu sehen. Frauen verkaufen Gemüse, Männer bieten gebrauchte Handys an. Aber die Lage kann sich schnell ändern. Als vorige Woche zwei Parlamentarier der Opposition in anderen Landesteilen ermordet wurden, waren die Straßen Kisumus ganz schnell leer. Innerhalb von Minuten nach Bekanntwerden der Nachricht errichteten junge Männer Barrikaden, die Polizei reagierte mit Tränengas. Solche Krawalle dauern meist bis tief in die Nacht. Am nächsten Morgen verlassen Einwohner vorsichtig ihre Häuser, in der Hoffnung auf einen normalen Tag.

Aus Sicht der Luos ist die Vertreibung der Kikuyus endgültig. "Ich mache mir keine große Sorgen über das Verschwinden der Kikuyus aus unserer Wirtschaft", erzählt Paul Otieno, ein Finanzexperte. "Im Gegenteil, es schafft neue Chancen für Luos. Wir müssen von vorn anfangen." Die Luos seien in Kenia immer benachteiligt gewesen. "Es ist besser, wenn wir getrennt leben", sagt Otieno. "Wir haben viele qualifizierte Menschen."

Joshua Nyamori, ein junger Berater von Oppositionschef Odinga in Kisumu, ist optimistisch angesichts der Folgen. "Die formelle Wirtschaft in Nyanza ist klein im Vergleich mit der informellen. Auf den Märkten war schon immer ein großer Teil der Verkäufer Luos. Die Fahrradtaxifahrer waren immer nur Luos. Auch werden die viele Kenianer asiatischer Herkunft, die hier schon seit hundert Jahren leben, in den ehemaligen Kikuyu-Geschäften einsteigen."

Aber vielen Betriebe asiatischstämmiger Kenianer wurden ebenfalls von Oppositionsanhängern ausgeraubt und zerstört. "Am liebsten möchte ich weg von hier. Aber wohin? Vorläufig mache ich nur ein kleines Geschäft auf, ich muss erst mal sehen wie die Lage sich entwickelt", erzählt ein Inder, der eine große Bäckerei hatte, die völlig geplündert wurde.

Aber die langfristigen wirtschaftlichen Folgen sind düster. Diesen Monat hätte der Ausbau des kleinen Flughafens von Kisumu auf internationale Maßstäbe beginnen sollen - daraus wird erst mal nichts. Die Regierung dürfte vorläufig die Region vergessen. Investoren sind eingeschüchtert durch die Gewalt von Arbeitslosen aus den Armenvierteln, die immer noch nicht völlig unter Kontrolle ist. Ehe jemand Geld in die Provinz steckt, wollen sie sehen, ob Nyanza nicht von Kenias Landkarte fällt.

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