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Kenia-Koalition in BrandenburgRegieren in der Coworking-Space

SPD, CDU und Grüne betonen in Brandenburg 100 Tage nach dem Start ihrer Kenia-Koalition eine sehr vertrauensvolle Zusammenarbeit

So lachten die Kenia-Partner im November – und das tun sie auch nach noch ihren ersten 100 Tagen Foto: dpa

Brandenburg als Pannenland, weil etwa vor vielen Jahren die Idee mit dem Cargolifter – Zeppeline sollten Lasten befördern – nicht klappte? Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) kann da nur noch lächeln. „Wie viele Arbeitsplätze sollte das nochmal bringen?“ Jetzt würden da vier-, fünfmal so viele Leute im erfolgreicheren Nachfolgeprojekt von Tropical Island arbeiten. Äußerst entspannt wirkt Woid­ke jetzt, als er Anfang der Woche die ersten 100 Tage der rot-schwarz-grünen Kenia-Koalition bilanziert und dabei auch ganz generell auf sein Bundesland schaut. Das hat viel damit zu tun, dass die neuen Regierungspartner überraschend gut miteinander auskommen, und außerdem mit einem Wort mit fünf Buchstaben: „Tesla hat die Lampe auf Brandenburg gerichtet“, sagt Woid­ke über den Ansiedlungsplan des US-Elektro-Autobauers – „und zwar weltweit“.

Dabei hat das Kenia-Bündnis, erst das zweite bundesweit auf Landesebene, einen Jumpstart hinter sich. Kaum am 20. November gewählt, musste die neue Regierung mit den „Ende Gelände“-Protesten fertig werden, bei denen Tausende den Braunkohletagebau in der Lausitz besetzten, wenig später rollten Schweinepest und Vogelgrippe an. Und schließlich belasteten auch in Potsdam kurzzeitig missliche CDU-Reaktionen auf den Thüringen-Eklat die Koalition.

„Wir hatten keine 100 Tage Einarbeitungszeit“, sagt Michael Stübgen, der Innenminister und CDU-Landesvorsitzende, als die führenden Köpfe der Koalition bei Kaffee und Kuchen vor Journalisten bilanzieren. Für ihn selbst galt das umso mehr, als er bis zur Landtagswahl am 1. September davon ausging, weiterhin Bundestagsabgeordneter und Staatssekretär im Landwirtschaftsministerium zu sein. Doch dann drohte sich die CDU-Fraktion zu zerlegen, es brauchte einen neuen Verhandlungsführer, und Stübgen sprang ein.

Wie würden die Grünen mit ihrer zur Sozialministerin avancierten Spitzenkandidatin Ursula Nonnemacher damit zurechtkommen, die über die gemeinsamen Oppositionsjahre Vertrauen zum nun abgetretenen CDU-Fraktionschef Ingo Senftleben aufgebaut hatten? Wie sollte sich aber auch eine Zusammenarbeit mit Woidke gestalten, von dem es vor der Wahl hieß, er könne mit den Grünen überhaupt nicht?

Vertrauen als Basis

Schon als die drei Parteien ihren Koalitionsvertrag vorstellten, war von gewachsenem Vertrauen während der vorangehenden Verhandlungen die Rede. Für Woidke ist das auch in dieses Tagen der zentrale Faktor: „Ich bin überzeugt, dass hier die richtigen Menschen zusammenarbeiten“, sagt er, der ohnehin überzeugt ist: „Viel entscheidender als Programme sind die Personen.“

Diese Kollegialität geht so weit, dass Woidke in der Kaffee-und-Kuchen-Runde mit den Journalisten die neuen Posten der „Co-Ministerpräsidenten“ kreiert, die die Verfassung gar nicht vorsieht und mit denen er Stübgen und Nonnemacher beglückt. „Wir legen auf Dienstgrade hier nicht allzu viel Wert, wir gehen frei und offen miteinander um“, sagt Woidke angesichts überraschter Journalistenblicke. Nonnemacher, offiziell wie Stübgen Nummer zwei in der Regierung und Vize-Ministerpräsidentin, dreht das noch weiter und macht den Sitzungssaal des Kabinetts zur „Coworking-Space“.

Man ist per Du, von „Michael“ und „Ursula“ ist die Rede, man grinst und lächelt, und die drei wären Oscar-verdächtig, falls das bloß geschaupielert sein sollte. Als Stübgen auf eine Journalistenfrage aus dem CDU-Bundesvorstand erzählt, mittlerweise gebe es sieben Vorsitz-Bewerber, fragt Nonnemacher neckend: „Michael, sind die alle aus NRW?“

Gute Stimmung wird der Koalition am nächsten Tag auch die Landtagsfraktion der Linkspartei zugestehen, die bis Herbst zehn Jahre mit der SPD Brandenburg regierte und sich auch erst mit ihrer neuen Oppositionsrolle anfreunden muss. Die Inhalte aber können aus ihrer Sicht mit dieser Stimmung nicht mithalten, Rot-Schwarz-Grün habe weder Prioritäten noch eigene Projekte. „Die Kenia-Koalition hat die ersten 100 Tage verschlafen“, sagt Fraktionschef Sebastian Walter, „Wenn die nicht Tesla hätten, wüsste ich nicht, was die Hälfte des Kabinetts tun würde.“

Linksfraktion: Verschlafene 100 Tage

Auch wenn Walter mit seiner Kritik recht haben sollte, so sind die Wählerinnen und Wählern zumindest nicht merklich enttäuscht vom Start der neuen Regierung: In einer am Donnerstag veröffentlichten Umfrage (siehe Kasten) schneiden die drei Bündnispartner zusammen genauso stark ab wie in der vorangehenden vor exakt 100 Tagen.

Die vom Linksfraktionschef Kritisierten sehen das natürlich sowieso anders: Es habe sich „im Land viel bewegt“ (Woidke), alle wesentlichen Dinge aus dem Koalitionsvertrag seien „auf dem Weg“ (Stübgen), es sei gelungen, „Pflöcke einzuschlagen, die uns wichtig sind“ (Nonnemacher). Auf mehr Geld zur Krankenhausfinanzierung verweist die Grüne. Der CDUler wiederum lobt die neue „Task Force Abschiebung“.

Die Tesla-Ansiedlungsentscheidung prägt den Start der rot-schwarz-grünen Landesregierung Foto: dpa

Nicht nur auf Regierungsebene lobt man einander, sondern auch unter den drei Kenia-Fraktionen im Landtag, die zusammen 50 der 88 Abgeordneten stellen. Das klingt nach einer satten Mehrheit, aber schon bei der Wahl Woid­kes zum Ministerpräsidenten fehlten 3 Stimmen – mutmaßlich von der CDU-Fraktion, die auch weiterhin gespalten scheint in 9 eher liberale und 6 arg konservative Mitglieder.

Umso überraschender war es, wie schnell sich auch bei den Grünen die Protestwogen glätteten, nachdem sowohl Stübgen als auch CDU-Frak­tions­chef Jan Redmann nach dem Thüringen-Desaster dem Kurzzeit-Ministerpräsidenten Kemmerich zur Wahl gratulierten und es aus der Fraktion noch ganz andere Äußerungen gab. Man telefonierte und konferierte und nach zwei Tagen veröffentlichten die Koalitionspartner eine Erklärung, in der man gemeinsame Kante zur AfD zeigt. „Von daher gehe ich davon aus, dass hier für klare Verhältnisse gesorgt ist“, sagt die Grünen-Fraktionsvorsitzende Petra Budke, auch sie erst knapp 100 Tage im Amt.

Fraktionschef-Chat

Bei den drei Fraktionschefs ist man mit der bisherigen Zusammenarbeit „sehr zufrieden“, wie von Redmann zu hören ist, oder meint wie Budke: „Wir können sagen: Es funktioniert.“ Man müsse zwar noch Abstimmungsprozesse einüben, aber man sei mit viel Elan dabei – und für den ganz engen Austausch, so erzählt die Grüne es der taz, gibt es eine Chatgruppe der Fraktionsvorsitzenden.

Tesla, das Zauberwort mit den fünf Buchstaben, beherrscht nicht nur weiterhin die Agenda, sondern hatte für den Start der Koalition noch eine andere, bislang unbekannte Bedeutung: Woidke informierte Stübgen und Nonnemacher als seine mutmaßlichen Partner nämlich schon zu einem Zeitpunkt darüber, als weder die Ansiedlungsentscheidung bei dem US-Konzern noch die Regierungsbildung schon beschlossen waren. „Das war ein Risiko, das ich aber eingehen musste“ – er hielt das gerade den Grünen gegenüber, die den Umweltminister stellen würden, für notwendig. Dass von den Tesla-Plänen trotzdem nichts nach außen drang, bevor Unternehmenschef Elon Musk die Standortentscheidung am 12. November öffentlich machte, nahm Woid­ke als „ein erstes Vorzeichen“ für eine gute Zusammenarbeit.

Nonnemacher sieht vor diesem Hintergrund das Bündnis aus SPD, CDU und Grünen auch nicht im Fahrwasser der ersten Koalition dieser Zusammensetzung, die 2016 in Sachsen-Anhalt startete, dort allerdings unter CDU-Führung: „Kenia hat in Brandenburg einen guten Klang, anders als Kenia in Sachsen-Anhalt“, meint Nonnemacher. Dort gibt es wiederholt Auseinandersetzungen, und ausgerechnet kurz vor der Vereidigung von Kenia II in Potsdam schien Kenia I in Magdeburg nach einem CDU-Alleingang auf der Kippe zu stehen.

Dabei gibt es auch im Brandenburger Bündnis sehr unterschiedliche Auffassungen, vor allem in der Innenpolitik. Als Stübgen bei der Kaffee-und-Kuchen-Runde neben ihr den Start der „Task Force Abschiebung“ lobt, zuckt Nonnemacher mutmaßlich innerlich zusammen. „Aber wir sind im Gespräch“, sagt sie dazu. Erkennbar ist aber auch, dass sich die Grünen nicht verkämpfen und gerade erst Vereinbartes nicht gleich wieder in Frage stellen wollen. Fraktionschefin Budke sagt tags darauf dazu: „Die Task Force steht im Koalitionsvertrag drin – deshalb kann sie jetzt auch umgesetzt werden.“

Freie Wähler: „Wie in einer Wohngemeinschaft“

Für die Landtagsfraktion der Freien Wähler stellt sich die Koalition von außen betrachtet so dar: „Es fühlt sich an wie in einer Wohngemeinschaft, wo sich alle noch finden müssen – wer bringt den Müll raus, wer macht den Abwasch?“ Bei der SPD-Fraktion mag man diese Sichtweise gar nicht mal bestreiten: Ja, man müsse sich eingewöhnen – „aber wir sind uns immer einig, dass wir erst miteinander reden, bevor wir vor Mikrofone treten“.

Wobei man dann auch vor diesen Mikrofonen nicht alles schön reden will, was noch nicht läuft. Ja, es stimme beispielsweise, dass viele Züge weiter voll sind, trotz aller Ankündigungen der Koalition, das zu verändern. „Wir wissen das“, sagt Grünen-Fraktionschefin Budke, das erlebe sie ja selbst als Pendlerin. Aber bei neuen Zügen würden die Mühlen eben langsam mahlen – „das heißt aber nicht, dass wir da nicht dran sind“. Was wohl für vieles gelten soll.

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