■ Keiner verkörpert den Erfolg in den USA der Gegenwart wie der Selfmade-Milliardär Bill Gates. Keiner hat mehr Geld als der Chef von Microsoft. Doch nun hat ein Richter dem Software-Giganten „Missbrauch seiner Monopolstellung“ attestiert. Die Stimmung schlägt um.: Ist Bill Gates ein böser Mann?
Amerika hat ein gespaltenes Verhältnis zu seinen Geeks und Freaks. Nach dem Massaker von Littleton erschien der New Yorker mit einer Karikatur: Aus einem voll besetzten Kino voller wunderschöner junger Menschen – zur einen Hälfte Barbiefiguren, zur anderen Muskelpakete – schleichen sich, verlacht vom ganzen Saal, zwei Gestalten mit wirrem Haar und scheelem Blick.
So muss es den Außenseitern und späteren Killern von Littleton, so ähnlich muss es auch Leuten wie Steven Jobs und Bill Gates gegangen sein. Die Erfolgstories dieses Jahrhunderts erzählen nicht von Bilderbuchtypen in Sportdress, Zweireiher oder eng anliegendem Kleid, sondern von Außenseitern, Sonderlingen, Einzelgängern in Turnschuhen.
Sobald der Anpassungsdruck, wie er in Schule, Armee und in der Arbeitswelt großer Konzerne herrscht, weicht, entsteht jener Raum für Innovation, Originalität und Erfolg, den in diesem Jahrhundert Geeks und Freaks nutzten, um die Welt zu verändern.
Kaum jemand verkörpert diese Erfolgsstory wie Bill Gates. Letztes Maß des Erfolgs ist in Amerika nämlich nicht das Muskelpaket und der Weltrekord, sondern das Geld – und davon hat niemand soviel wie Gates.
Gates wurde darüber hinaus zur Ikone der Gegenwart. Kein Arbeitsplatz, kaum ein Haushalt, wo heute nicht mit dem Computer gearbeitet wird, und auf 95 Prozent von ihnen läuft Windows. Nachdem das Gerät lange als die undurchdringliche Domäne von Spezialarbeitern angesehen wurde, handhabt es heute jedermann. Nicht, dass das unbedingt Microsofts Verdienst gewesen wäre, den Umgang mit dem Computer erleichtert zu haben – den PC und das von jedem Laien handhabbare Betriebssystem entwickelten bekanntlich schneller Stephen Wozniak und Steven Jobs – auch sie Freaks – für Apple.
Egal, Bill Gates hat das Ding popularisiert – in der Autoindustrie war es ja nicht anders: White baute in Cleveland die schönsten Autos, populär und zum Alltagsgegenstand aber hat es Ford mit seiner Tin Lizzy in Detroit gemacht. Zum Erfolg gehört die Fähigkeit, Konkurrenten aus dem Felde zu schlagen, und mit harten Bandagen wird nicht nur im Sport, sondern auch in der Geschäftswelt gespielt – das nötigt Bewunderung ab.
Doch Bewunderung ist nur die Kehrseite des Hasses. Millionen sind dazu verurteilt, mit einem oft instabilen Betriebssystem zu arbeiten, und Millionen, die mit Windows beziehungsweise den dafür geschriebenen Anwenderprogrammen umgehen müssen, fühlen sich täglich weniger als Alpha-Männchen und mehr als Beta-Versuchskaninchen. Hunderte Anti-Bill-Gates-Seiten im Internet sprechen eine deutliche Sprache.
Und wie das mit Alltagsgeräten so ist: Jede Fährnis und jede Schwierigkeit, die einem im Alltag begegnet, lässt sich leicht auf das Instrument abwälzen, das einen an diese Schwierigkeiten bindet – in diesem Fall auf den Computer. Alle Unbill der Welt manifestiert sich als „unerlaubter Befehl“ oder „Systemfehler“.
Bill Gates, der Turnschuhmilliardär, nötigte den meisten Menschen – ob User oder nicht – gleichwohl Bewunderung ab. Das begann sich erst mit dem Beginn des Microsoftprozesses vor eineinhalb Jahren zu ändern.
Mit seinen Geschäftspraktiken konfrontiert, gebärdete sich Gates verstockter und windiger als der nach seinem Privatleben gefragte Bill Clinton. Die Nation sah in den Abendnachrichten die Videoaufzeichnungen eines Bill Gates, der sich an Gespräche mit Netscape und an inkriminierende E-Mails nicht erinnern konnte, einen Bill Gates, der sich doof stellte: „Was ist ein Browser?“, fragte er den vernehmenden Beamten des Justizministeriums auf den Krieg zwischen Netscapes „Navigator“ und seinem „Explorer“ angesprochen.
Noch einen Stein hatte Gates bis vor kurzem im Brett der amerikanischen Öffentlichkeit. Er gehörte nicht zu den Großunternehmern, die in Washington ihre Pläne und Ziele mit Partei- und Wahlkampfspenden durchsetzen. Doch mit dem Beginn des Prozesses begann sich das zu ändern. Microsoft wurde zu einem der großen Geldgeber der Republikanischen Partei und fing an, sich dafür einzusetzen, das Justizministerium und vor allem dessen Kartellabteilung zu verkleinern.
Wenn sonst keine von Microsofts Geschäftspraktiken den amerikanischen Sinn für Fair Play herausforderte, dieser Vorstoß tat es. Die Folge: Im Herbst stellte die U. S. Army ihr ganzes Computersystem von Windows auf Mac um, sie hatte die Hackerangriffe satt, und Windows ist leichter zu erhacken als Mac. In Utah stellte der Notrufdienst einer Gemeinde von Windows auf Linux um, einem alternativen Betriebssystem. Windows war zu oft abgestürzt, und man fürchtete um Menschenleben. Und jetzt, mit der massenhaften Verbreitung des World Wide Web, kommt die ganze Entwicklung von Applikationen, die nicht mehr für Windows geschneidert werden muss, sondern im Internet von jeder Plattform aus eingesehen und benutzt werden kann.
Sun Microsystems entwickelt eine der Office Suite von Microsoft vergleichbares Softwarepaket, das kostenlos ist. Office 2000 aber, das neue Softwarepaket von Microsoft, das auch auf großen Zentralrechnern laufen soll, ist derweil bereits um zwei Jahre verspätet. Ein Gerichtsurteil wird nicht vor Ende des Jahres fallen. Ob Gates nun böse ist oder nicht: Möglicherweise gehen auch einfach Konsumentenentscheidung und technische Entwicklung über Microsoft hinweg.
Peter Tautfest, Washington
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