■ Querspalte: Keiner liebt mehr schriftlich
Während in Mittelengland ein schwerer Wirbelsturm die auf einer Farm herumlaufenden Schweine „wie Streichhölzer“ durch die Luft warf und in Nordindien ein Verbot des öffentlichen Urinierens erneut gescheitert ist, hat der Ueckermünder Hobbyforscher Eckard Dollase ganz andere Sorgen: Niemand schreibt mehr Liebesbriefe. Weil alle Hingeschmachteten nur noch telefonieren, legt keiner mehr schriftliches Zeugnis seines hormonellen Notstandes ab.
Dollase hat ein „Aktionsbündnis“ aus dem Boden gestampft und ruft alle wohlmeinenden Deutschen auf, ihm ihre brünftigsten Niederschriften zu überlassen. Nur: Seit Beginn der Aktion sind ganze 100 amouröse Briefchen eingetroffen, von denen die meisten auch noch Schrott sind à la „Die Sehnsucht reißt mein Herz in Stücke, du bist der Traum von meinem Glücke“. Herr Dollase ist deshalb ziemlich unfroh. „Offenbar haben einige Hemmungen, weil sie nicht glauben, daß ihre Zeilen anonym bleiben.“ Das ist nicht in Ordnung, den ostdeutschen Retter eines Kulturguts so vor seinem gähnenden Briefkasten sitzen zu lassen. Außerdem kriegen prämierte Einsender ein Essen zu zweit bei Kerzenschein spendiert.
Und die Aktion dient einer wunderbaren Sache. Dollase arbeitet mit einem Wuppertaler Software-Haus zusammen, welches aus 1.001 Briefen eine CD-ROM herstellen will: Deutschlands schönste Liebesbriefe! Dann genügt künftig ein schneller Mausklick, um sich die feurigsten Notate zusammenzustellen und per E-Mail – http//mausi.de – der Dame auf die Festplatte zu schicken. Immer wiederkehrende Wendungen wie „Ich liebe dich“ oder „Du fehlst mir so“ können übrigens als „ild“ oder „dfms“ in Kurzform eingetippt werden, die Software komplettiert dann den Satz.
Ob Herr Dollase der geeignete Kulturgutbewahrer ist, mag indessen angezweifelt werden. Besonders prämierungswürdig fand er die Zusendung „Ich möchte an deinem Busen rasten wie die Kuh am Futterkasten“. Manfred Kriener
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen