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Keine Gedenktafeln in der GedenkstätteEin kapitalistischer Diebstahl

Auf dem Sozialistenfriedhof in Lichtenberg wurde geklaut. Gedenktafeln von Rosa Luxemburg und anderen sozialistischen Größen sind verschwunden.

Die Gedenkstätte der Sozialisten ohne Gedenktafeln Foto: Leonore Kogler

Berlin taz | Normalerweise liegen um die große Granitstele mit der Aufschrift „Die Toten mahnen uns“ zehn metallene Gedenktafeln, die an sozialistische Berühmtheiten erinnern. Unter anderem Rosa Luxemburgs, Karl Liebknechts und Walter Ulbrichts wird dort gedacht. Normalerweise lautet hier das Schlüsselwort, denn diese zehn Metalltafeln sind seit Anfang der Woche verschwunden. Außerdem fehlen die Büste von Franz Carl Weiskopf und die Gedenktafel an seinem Grab. Weiskopf war ein wichtiger DDR-Schriftsteller.

Weiskopfs Grab und die Gedenktafeln gehören zum Zentralfriedhof Friedrichsfelde, der auch Sozialistenfriedhof genannt wird. Die zehn Gedenktafeln sind Teil der „Gedenkstätte der Sozialisten“, die 1951 eingeweiht wurde. Innerhalb der ringförmigen Backsteinmauer befindet sich eine Reihe von Urnengräbern. Die Gedenktafeln wurden vermutlich am Wochenende gestohlen, der Diebstahl am Montagnachmittag angezeigt.

Das Rondell um die Granitstele wirkt ohne Gedenktafeln und blühende Pflanzen ganz kahl. Zumindest gegen Letzteres können die Fried­hofs­gärtne­r:in­nen Abhilfe schaffen, die sich um die Gedenkstätte versammelt haben.

Einige Gärt­ne­r:in­nen sitzen auf der kleinen Stufe, strecken die Beine von sich und drücken Setzlinge aus ihren Plastikpackungen. Sie bepflanzen die Gräber neu, der Diebstahl hält sie nicht davon ab. „Das passiert ganz oft auf Friedhöfen, das ist gang und gäbe“, sagt eine von ihnen. Tatsächlich sind allein seit Dezember letzten Jahres fünf Bronzefiguren und eine bronzene Glocke von Berliner Friedhöfen verschwunden und noch nicht wieder aufgetaucht.

(K)ein politischer Hintergrund

Die Gär­te­r:in­nen erzählen, auch Laubpuster und Kreisschneider seien schon geklaut worden. Anders als Gartengeräte lassen sich die Gedenktafeln von Rosa Luxemburg und Walter Ulbricht sicher nicht ohne Weiteres auf Ebay verkaufen.

Es geht wohl weniger um finanzielle Sorgen als um ideologische Überzeugungen. Immerhin wurden alle zehn Tafeln um die Stele abgeräumt und die Büste von Weiskopfs Grab abgelöst, das sich ein gutes Stück vom Rondell entfernt befindet. Trotzdem geht die Polizei bisher nicht von einem politischen Hintergrund aus.

Der Weg zum Friedhof in Lichtenberg ist zurzeit ein bisschen unübersichtlich. Die Straße im Eingangsbereich wird entsiegelt. Überall stehen Bauzäune und Bagger, und einer der Eingänge ist abgesperrt. Wer auch immer sich am Wochenende den Weg durch die Bauzäune gebahnt hat, wusste, was er:­sie wollte. Und wenn es doch nur ein Haufen Metall war, der zu Geld gemacht werden soll. Aber ist das nicht auch ein politisches, ein kapitalistisches Interesse?

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