Kein Schutz im Klassenraum: Ohne Maske im Hotspot
Das Land Bremen hat eine extrem hohe Zahl an Corona-Neuansteckungen. Aber der Senat weigert sich, Klassen zu verkleinern.
BREMEN taz | Seit Montag vergangener Woche trägt die zwölfjährige Tochter von Rebecca Halter im Unterricht eine Maske. Keine geblümte aus Stoff, sondern einen weißen FFP2-Mund-und-Nasenschutz, der nicht nur andere vor Ansteckung schützt, sondern auch die Trägerin selbst.
„Das gab erst mal Tränen“, sagt Halter, die eigentlich anders heißt. Ihre Tochter habe Angst vor Hänseleien gehabt. Aber es stand ein Besuch bei den kranken Großeltern an, so hat es die Lehrerin den Mitschüler*innen der Siebtklässlerin am Gymnasium Horn erklärt. Die Hänseleien blieben aus, andere tragen jetzt auch Maske.
Ihre Tochter werde die Maske weiter tragen. „Da sitzen 30 Kinder auf engem Raum“, sagt Halter, „ich weiß nicht, wie ich uns sonst vor Ansteckung schützen kann.“ Sie könne nicht verstehen, dass der Unterricht in Bremen normal weitergeht, obwohl die Stadt mit einem Inzidenzwert von 228,9 einer der Hotspots der Republik ist. Dieser Wert gibt die Anzahl der Neuansteckungen über eine Woche gerechnet auf 100.000 Einwohner*innen an.
In anderen Bundesländern wie Schleswig-Holstein gibt es bei der Überschreitung eines Inzidenzwertes von 50 Maskenpflicht in den Klassenräumen auch in Grundschulen, in Niedersachsen ab der fünften Klasse – oder wenn es einen Coronafall an einer Schule gibt. In Bremen hingegen sind Masken nur in der Oberstufe auch im Unterricht vorgeschrieben.
Wie schlecht soll es noch werden?
Dabei hatte Bildungssenatorin Claudia Bogedan (SPD) am 29. Oktober angekündigt, dass „weitere Verschärfungen, wenn sich die Lage insgesamt weiter verschlechtert, nicht auszuschließen“ seien. Dazu gehöre „neben einer Ausweitung der Maskenpflicht in der Sekundarstufe 1 als Ultima Ratio auch Halbgruppenunterricht“.
Doch nur zwei Tage später hatte Bogedans Parteifreund Bürgermeister Andreas Bovenschulte in seiner Regierungserklärung Halbgruppenunterricht eine Absage erteilt. „Wer halbe Klassen fordert, schafft nicht nur ein Betreuungsproblem – er fordert im Ergebnis auch halb so viel Bildung.“
Rebecca Halter, die Mutter der Siebtklässlerin, fragt sich, wie die Bildungssenatorin „schlecht“ definiert. Denn am 29. Oktober hatte der Inzidenzwert in der Stadt Bremen bereits bei 179,5 gelegen – also drei Mal so hoch wie der Wert, ab dem das Robert-Koch-Institut Mundschutz auch in Klassenräumen empfiehlt sowie das Verkleinern von Klassen. „Und seitdem ist es ja nicht besser geworden“, sagt Halter.
An anderen Schulen wie der Gesamtschule Mitte streiten Eltern per Mail, ob die bisherigen Studienergebnisse dafür sprechen, dass Schulen eine Rolle im Infektionsgeschehen spielen. Manche fordern die Abschaffung des Schulzwangs: Sie wollen ihre Kinder freiwillig zu Hause behalten.
Auch viele Lehrer*innen sind wütend, dass der einzige Schutz, den die Bildungsbehörde in Schulen angeordnet hat, das regelmäßige Lüften ist – und die Maskenpflicht für Oberstufenschüler*innen. „Das Problem ist nicht, dass Bremen die Schulen unbedingt offen halten will, das tragen wir mit“, sagt Natascha Mazurski vom Personalrat Schulen. „Aber angesichts dieser Fallzahlen kann man doch nicht einfach so weitermachen.“
Viele Lehrer*innen würden sich eine Maskenpflicht für Schüler*innen wünschen, wenigstens ab der fünften Klasse. Denn in den 83 Grundschulen Bremens gab es mit Stand vom Freitag Meldungen über gerade einmal neun positiv getestete Kinder an acht Schulen, in den 81 weiterführenden und berufsbildenden Schulen waren es 111. Die tatsächliche Anzahl kann höher sein, da es derzeit länger dauert, bis Testergebnisse vorliegen.
Dabei sei das Tragen von Masken für die Lehrer*innen vermutlich anstrengender als für die Schüler*innen, sagt Natascha Mazurski. Lehrer*innen müssten ja die ganze Zeit „gegen die Maske anreden“. Eine Lehrerin, die anonym bleiben will, berichtet, sie unterrichte nur noch mit einer FFP2-Maske – und sei am Wochenende völlig erledigt.
Mindestabstand? Keine Chance
Weil Masken zwar in vielen gesellschaftlichen Bereichen, wo weniger gesprochen wird, eine gute Lösung sein können, im Unterricht aber weniger praktikabel sind, fordern Personalrat und die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) den Unterricht in kleineren Gruppen, wie es ihn im Mai und Juni nach dem Lockern des ersten Lockdowns bereits gab.
Denn in den Klassenräumen ließe sich der Mindestabstand von 1,50 Metern kaum einhalten, sagt Personalrätin Mazurski. „Wenn Sie von dem einen Schüler Abstand nehmen, sitzen Sie damit quasi dem nächsten schon wieder auf dem Schoß.“ Und im Unterrichtsgeschehen sei es immer wieder nötig, Schüler*innen auch einmal näher zu kommen, allein, um etwas zu erklären.
Doch es sieht nicht danach aus, als würde Bremen seine Linie verlassen. Die Sprecherin der Bildungssenatorin sagte auf Nachfrage der taz, der Senat bereite Maßnahmen vor, die aber nicht pauschal gelten würden, sondern abhängig seien von der Situation vor Ort. Zudem sollen Schulen mehr individuelle Freiheit bekommen. Eine Ausweitung der Maskenpflicht sei nicht angedacht.
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