Kein Autoverbot im Abgeordnetenhaus: Dann eben per Volksentscheid
Das Landesparlament übernimmt den Gesetzentwurf der Initiative „berlin autofrei“ nicht. Die will ab Januar mindestens 175.000 Unterschriften sammeln.
taz | 2,5 Millionen wahlberechtigte Berliner können möglicherweise im nächsten September parallel zur Abgeordnetenhauswahl direkt darüber entscheiden, ob ihre Stadt innerhalb des S-Bahnrings weitgehend autofrei werden soll. Nachdem das Abgeordnetenhaus am Donnerstag einen entsprechenden Gesetzentwurf der Initiative „berlin autofrei“ nicht übernommen hat, lässt die Verfassung den Weg Richtung Volksentscheid zu. Dazu müssen binnen vier Monate 175.000 gültige Unterstützerunterschriften zusammen kommen. Deren Sammlung soll im Januar beginnen.
Nach Vorstellungen der Initiative sollen nach einer vierjährigen Übergangszeit Privatfahrten in der Innenstadt nur noch in Ausnahmefällen erlaubt sein. Als Gründe nennt der Gesetzentwurf die Belastungen durch Abgase, Feinstaub, Lärm und die Unfallgefahr. Wirtschafts- und Taxiverkehr soll weiter möglich sein, private Fahrten an 12 frei zu wählenden Tagen pro Jahr, die zuvor anzumelden sind.
Die Fraktionen von SPD, Grüne und Linkspartei sympathisierten am Donnerstag mit den Zielen des Volksbegehren, kritisierten aber – in unterschiedlichen Abstufungen – den vorgeschlagenen Weg dorthin. CDU und AfD hingegen lehnten den Vorstoß komplett ab und ordneten ihn als ideologisch getrieben ein.
Johannes Kraft (CDU) hielt der Initiative vor, Menschen auszuschließen und sich nur an die zu richten, „die fit und urban sind“. Denn die nächste Bus- oder Bahnhaltestelle könne ja über einen Kilometer entfernt sein. Wo das in der Berliner Innenstadt der Fall sein soll, ließ Kraft offen. Sein Schlusswort: „Ein autofreies Berlin durch Verbote wird es mit der CDU nicht geben.“ Ähnlich äußerte sich die AfD, die zudem die Krankenversorgung gefährdet sah. Der Gesetzentwurf hingegen nimmt explizit die Feuerwehr und rettungsdienstliche Fahrten von dem Verbot aus.
Angst vor Überlastung für die BVG
Trotz Lobs für das Ziel hielt der SPDler Tino Schopf das Anliegen vor allem nicht binnen vier Jahre nach Beschluss für umsetzbar. Er zitierte Angaben der BVG, wonach bei einem Verbot für Autofahrten 20 bis 30 Prozent mehr Fahrgäste in die Busse und Bahnen drängen, deren Zahl sich nicht so schnell anpassen lasse. Schopf will bessere Angebote statt Verbote – „wir brauchen keinen Kulturkampf gegen das Auto“.
Diese Wortwahl gab es bei der Linksfraktion nicht, wohl aber ebenfalls Zweifel daran, wie der öffentliche Nahverkehr die zusätzlichen Fahrgäste verkraften soll. Die Grünen vermieden eine konkrete eigene Festlegung und drehten die Nicht-Übernahme durch das Parlament ins Positive: Die Berliner könnten nun intensiv darüber diskutieren.
Grünen-Verkehrsexpertin Antje Kapek erinnerte dabei daran, dass das Landesverfassungsgericht das Anliegen überprüfte, keinen Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit sah und das Volksbegehren im Juni für zulässig erklärte. Kapek legte das so aus: „Es gibt kein Grundrecht auf Autofahren.“
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