: Kein Allheilmittel
LOHN UND BROT (2): Kombilöhne machen Sinn und sollten gezielt eingesetzt werden. Aber zu einem echten Abbau der „Teilzeitmauer“ bedarf es zudem einer Strukturreform
Es ist höchste Zeit, dass die rot-grüne Koalition den Arbeitsmarkt zu einem zentralen Politikfeld macht. Aber hektische Aktivitäten würden im Wahljahr zu keinem großen Erfolg mehr führen. Denn problematisch ist nicht nur der „Niedriglohnsektor“, sondern die Gesamtstruktur der sozialen Sicherung. Zudem muss in der gegenwärtigen Diskussion um Niedrig- und Kombilöhne sorgfältig differenziert werden zwischen verschiedenen Typen von Arbeitslosen und Nichterwerbstätigen. Wenn man genau hinschaut, stellt man nämlich fest, dass es in der Debatte nicht nur um mehr Arbeitsplätze geht, sondern auch um eine bessere soziale Absicherung von Teilzeitbeschäftigten.
Nehmen wir eine erste Gruppe: die allein erziehenden Arbeitslosen. Ihnen bringt der Kombilohn wenig, weil er nicht das größte Problem löst: die Kinderbetreuung. Die wirksamste Hilfe wäre für sie, wenn Deutschland besser mit Krippenplätzen versorgt wäre und es in allen Kindergärten und Grundschulen ein Mittagessen gäbe.
Völlig anders stellt sich die Situation der Langzeitarbeitslosen dar: Weil sie oft schlecht qualifiziert sind, finden sie nicht nur sehr schwer einen Arbeitgeber – ihr Nettoeinkommen als Erwerbstätige wäre auch kaum höher als ihre Sozialhilfe. Deswegen sollen Kombilöhne – wie das „Mainzer Modell“ – das Erwerbseinkommen von Langzeitarbeitslosen aufstocken, um die Arbeitsaufnahme attraktiver zu machen.
Doch auch das allein reicht nicht: Zudem müsste auch der Arbeitgeber eine Lohnsubvention erhalten, damit sich eine zusätzliche Neueinstellung rechnet. Da Unternehmen zudem die Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit von Langzeitarbeitslosen sehr skeptisch einschätzen, wäre es noch besser, wenn sie in staatlich geförderten Leiharbeitsfirmen beschäftigt würden, die sie an „echte“ Arbeitgeber ausleihen. Der hat dann weniger Scheu, die Beschäftigung eines Langzeitarbeitslosen zu riskieren. Er kann ihn ja wieder „loswerden“.
Einer dritten Gruppe – den Kurzzeitarbeitslosen – könnte mit den Kombilöhnen am meisten geholfen werden, weil sie von potenziellen Arbeitgebern längst nicht so skeptisch gesehen werden wie Langzeitarbeitslose. Sie aber sind bisher nicht für eine solche Förderung vorgesehen. Es ist immerhin schon ein Fortschritt, dass die Grünen bei ihrem Koalitionspartner SPD durchsetzen konnten, zumindest zu prüfen, ob die Kombilöhne nach dem Mainzer Modell bereits nach sechs Monaten Arbeitslosigkeit gezahlt werden können – und nicht erst nach einem Jahr. Sicherlich bestünde die Gefahr von Mitnahmeeffekten, da es sich für Arbeitslose und ihre künftigen Arbeitgeber lohnen würde, nicht nach zum Beispiel fünf, sondern erst nach sechs Monaten einen neuen Job anzutreten. Aber Mitnahmeeffekte sind beim ursprünglichen Vorschlag der Grünen, Beziehern von Einkommen zwischen 325 und 870 Euro einen Zuschuss zu zahlen, noch viel größer und überhaupt nicht zielgerichtet.
Nehmen wir das Beispiel der ehemaligen 630-Mark-Jobs: Wenn Teilzeitbeschäftigte – oft sind das Ehefrauen, Studenten oder Rentner – sich gegenwärtig auf 325 Euro Monatseinkommen beschränken, dann zahlen sie keinerlei Sozialbeiträge. Wenn sie keine weiteren Einkünfte haben, entfällt zudem die Lohnsteuer. Wer aber 326 Euro verdient, der zahlt die vollen Sozialbeiträge – das sind 66 Euro Arbeitnehmerbeiträge – zusätzlich zur Lohnsteuer. Daher wollen viele nicht mehr als 325 Euro verdienen. Sie sind im Segment der 325-Euro-Jobs „gefangen“ und erwerben keine vollen Sozialversicherungsansprüche. Die Grünen haben daher dafür gekämpft, die Sozialbeiträge bis zu einem Einkommen von etwa 870 Euro zu erstatten. Dadurch sollte die 325-Euro-„Mauer“ eingerissen werden. Was wäre aber das Ergebnis?
Viele, die sich bislang mit 325 Euro beschieden haben, würden ihre Arbeitszeit etwas ausweiten, um mehr in der Tasche zu haben und zusätzlich einen vollen Sozialversicherungsanspruch fast geschenkt zu bekommen. Durch diese Dauersubvention würde Arbeitslosen aber nur nebenbei geholfen. Im schlimmsten Fall werden Arbeitsplätze noch knapper, weil viele 325-Euro-Jobs ein wenig ausgeweitet würden.
Deswegen gibt es Stimmen aus der CDU, die Niedrigverdienende nur dann subventionieren wollen, wenn sie nicht teilzeitbeschäftigt sind. Abgesehen davon, dass dies frauenpolitisch wohl kaum vernünftig wäre, würde der CDU-Vorschlag zu Missbrauch einladen. Denn es wäre dann lohnend, einen Teilzeitarbeitsplatz formal zu einem Vollzeitarbeitsplatz auszuweiten, damit der sich dadurch ergebende niedrige Stundenlohn subventioniert werden könnte.
Im Gespräch ist die Subventionierung von Teilzeitjobs nur deshalb, weil in Deutschland die Sozialversicherungspflicht an bestimmten Formen von Arbeitsplätzen (nämlich „abhängigen Beschäftigungsverhältnissen“) ansetzt und nicht an Personen. Dadurch gibt es die Versuchung, nicht sozialversicherungspflichte Beschäftigungsverhältnisse aufzuweichen. Überdies werden Nichterwerbstätigen, wenn sie verheiratet sind, mit der Hinterbliebenenrente und der kostenfreien Krankenversicherung soziale Sicherungsansprüche geschenkt. Kein Wunder, dass viele Ehefrauen nicht einsehen wollen, dass Vorsorge notwendig ist, und deswegen auf 325-Euro-Jobs ausweichen, die zudem steuerfrei sind. Dagegen schlägt die Lohnsteuer ab 326 Euro mit etwa 20 Prozent zu, wenn eine Ehefrau die ungünstigere Steuerklasse V wählt. Bei einer Scheidung kann sich der Verzicht auf reguläre Erwerbstätigkeit allerdings bitter rächen.
Im Grundsatz sollte jede erwachsene Person sozialversicherungspflichtig sein, um sich gegen die großen Lebensrisiken wirksam abzusichern. Dann würde jedem klar werden, dass Erwerbstätigkeit sinnvoll ist, um die persönliche Vorsorge zu finanzieren. Dies bedeutet: Wie im Ausland sollte die Sozialversicherungspflicht ab dem ersten Euro ansetzen. Die von den Grünen anvisierte Teilzeitmauer gäbe es dann genauso wenig wie die Scheinselbstständigkeit.
Durch eine Reform des Lohnsteuerabzugs sollten auch die exorbitant hohen Steuerabzüge für Ehegatten vermieden werden, die weniger verdienen als ihr Partner. Ehefrauen würden dann ihre Sozialversicherungsbeiträge selbst tragen. Durch diese Reformen würden allerdings viele Familien finanziell überfordert. Sie sollten durch staatliche Transferzahlungen unterstützt werden, die sich gleichermaßen an der Erziehung von Kindern und dem Haushaltseinkommen orientieren. Dadurch würden diejenigen Haushalte, die ohnehin schon ein überdurchschnittliches Einkommen haben, keine Zuschüsse bekommen.
Klar ist natürlich auch: Ein solches Konzept kann man nicht übers Knie brechen. Aber es sollte endlich einmal ernsthaft diskutiert werden. Denn Lohnsubventionen, die jedes niedrige Erwerbseinkommen aufbessern, sind zwar verlockend einfach, aber teures Stückwerk. Und das hilft nicht einmal denen, die hier und heute auf der Straße stehen.
GERT G. WAGNER
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