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Kaum einer hat mit Helmut Kohl so oft und so hart gerungen wie Wolfgang Schäuble. Jetzt führt der CDU-Vorsitzende den letzten Kampf gegen den Ex-Kanzler. Es sieht so aus, als würde Schäuble seinem früheren Freund Helmut unterliegen – wie immer ■ Von Jens KönigDer treu ergebene Verlierer

Fühlt sich Wolfgang Schäuble von Helmut Kohl geliebt?

Als Schäuble die Frage vor drei Jahren gestellt bekam, schwieg er eine ganze Weile, bevor er eine Antwort gab. Schließlich wich er der Frage aus. „Es ist eine emotionale Beziehung“, sagte er.

Stellte man Schäuble die Frage heute noch einmal, würde er vermutlich lügen. Ja kann er nicht sagen, nein will er nicht sagen. Und warum sollte gerade er, der Kopfmensch, in dieser Situation von Gefühlen reden, und dann noch von so großen?

Er kann doch nicht ausplaudern, dass er mit seinem Freund Helmut fertig ist. Er kann doch nicht zugeben, wie sehr es ihn ankotzt, dass der Alte gerade ihn, der öffentlich bekannt hat, Helmut Kohl nie zu bescheißen, jetzt beschissen hat. Der Ex-Kanzler verschwieg ihm, mehrere Tage lang das Protokoll der staatsanwaltschaftlichen Vernehmung des CDU-Wirtschaftsprüfers Horst Weyrauch besessen zu haben, zugespielt von seinem Vertrauten Hans Terlinden. Schäuble kann doch nicht offenbaren, wie tief es ihn verletzt, dass ausgerechnet der Mann, für den er in den vergangenen dreißig Jahren alles getan hat, ihn jetzt im Stich lässt.

Fühlt sich Schäublevon Kohl geliebt?

Lieber beißt sich Wolfgang Schäuble die Zunge ab. Er tut so, als sei das alles nicht passiert. Er zeigt nicht eine Sekunde lang, was in ihm vorgeht. Er, der trotz seiner Behinderung sonst so beweglich wirkt, der es versteht, mit Tonlagen, Gesten oder Bewegungen zu spielen, ist plötzlich ganz steif. Das Tischtuch zwischen ihm und Kohl sei nicht zerschnitten, sagt er, ohne mit der Wimper zu zucken. Es gäbe gar kein Tischtuch zwischen ihnen.

Liebt ihn Helmut Kohl?

Vielleicht war sich Wolfgang Schäuble Anfang 1997, als er die Frage nicht beantworten mochte, selbst nicht mehr sicher, ob sein einstiger Ziehvater Helmut Kohl ihn noch liebt. Der Kanzler zögerte mal wieder. Er wollte sich öffentlich nicht erklären, ob er noch einmal als Kanzlerkandidat antreten würde. Schäuble drängte ihn dazu, aber Kohl wusste zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr genau, ob sein Kronprinz ihm noch uneigennützig diente oder ob er nicht darauf aus war, ihn in eine Falle laufen zu lassen. Vielleicht wollte Wolfgang Schäuble aber auch einfach nur nicht wahrhaben, dass Kohl ihn immer noch mochte – obwohl sie schon längst zu erbitterten Rivalen geworden waren.

Die beiden verbindet schließlich eine Beziehung, wie es sie in der Parteienlandschaft der Bundesrepublik nicht noch einmal gibt. Sie kennen sich seit 30 Jahren. Unter den Mitstreitern Kohls war Schäuble derjenige, der ihm am nächsten stand. Kohl sah in dem zwölf Jahre Jüngeren schon frühzeitig jemanden, der ihm von seiner Herkunft und Veranlagung her ähnlich war. Schäuble kam, wie Kohl, aus kleinen Verhältnissen. Er hatte, wie Kohl, eine große Klappe, war sportlich und sehr ehrgeizig. Er wurde, wie Kohl, Klassensprecher und stieß mit 19 Jahren zur Jungen Union.

Schon damals bewunderte Schäuble Helmut Kohl, den jungen Ministerpräsidenten in Mainz. Mitte der 70er-Jahre gehörte er zur „Gruppe 76“, einer Riege junger CDU-Politiker, die den Pfälzer auf seinem Weg nach Bonn unterstützte und die auf Grund ihrer Bedingungslosigkeit als „Kampfgruppe Kohl“ verschrien war. Als sein großes Vorbild Bundeskanzler wurde, diente er ihm zuerst als parlamentarischer Geschäftsführer, dann als Kanzleramtsminister, später als Innenminister.

Das Attentat 1990 kettete die beiden aneinander

Wolfgang Schäuble tat alles für seinen Chef. Er zog für ihn die Strippen, er half ihm in der Flick-Affäre, er schlug mit ihm den parteiinternen Aufstand von Geißler und Späth nieder, er trieb ihn, wenn Kohl mal wieder ein Problem aussitzen wollte, er managte für ihn die deutsche Einheit. Schäuble war Kohl ergeben bis zur Selbstverleugnung. Der Kanzler dankte ihm seine treuen Dienste. „Kohl vertraut niemandem blind, aber keinem so sehr wie Schäuble“, sagte Kohls Sprecher Andreas Fritzenkötter einmal.

Regelrecht aneinandergekettet wurden die beiden Machtmenschen durch das Attentat auf Schäuble im Oktober 1990. Als Kohl kurz nach dem Attentat Schäuble in der Freiburger Uniklinik am Krankenbett besuchte, kamen ihm die Tränen. Damals habe sich so etwas wie eine Vater-Sohn-Beziehung aufgebaut, meint der Stern-Reporter Hans Peter Schütz, der das Vertrauen von Schäuble besitzt, seit er zufällig dabei war, als der damalige Innenminister von einem Attentäter zum Krüppel geschossen wurde.

Kohl zeigte immer ganz offen, dass er sich um Schäuble besonders kümmerte, als der mit seinem Schicksal haderte. Zu den Sitzungen lief er wie ein Bodygard hinter dessen Rollstuhl her, nach Veranstaltungen im kleinen Kreis begleitete er den Freund persönlich zur Tür, nach Parteitagsreden von Schäuble stand er demonstrativ als Erster auf und klatschte, nach Auslandsreisen rief er ihn sofort an, wenn es sein musste auch nachts, um ihn zu informieren. „Ich kann und werde nicht vergessen, in welchem Maß er sich um mich gekümmert hat“, sagte Schäuble dem Stern einmal.

Diese Dankbarkeit hinderte Schäuble jedoch nicht daran, zum persönlichen Rivalen von Helmut Kohl zu werden. 1997/98, als der Kanzler immer schwächer wurde, forderte er ihn sogar zum Machtkampf heraus. Schäuble drohte an der Rolle, in die Kohl ihn gedrängt hatte, zu zerbrechen: hier der brillante, reformfreudige Vordenker, dort der ewige Kronprinz von Kanzlers Gnaden, der Prinz Charles der deutschen Politik, der nie zum Zuge kommen würde, und wenn, dann zu spät. Der Nebenkanzler widersprach dem Kanzler immer häufiger, auch öffentlich. In dieser Zeit wirkte Schäuble so, als hätte er sich von seinem Ziehvater emanzipiert.

Fühlte er sich von Kohl nicht mehr geliebt?

Das ist bei dem engen Verhältnis der beiden zueinander nicht so einfach zu beantworten. Es war stets ambivalent: Nähe und Distanz, Freundschaft und Kampf, Respekt und Verachtung, es war alles zugleich. Deswegen kann Schäuble sich nicht einmal heute von Kohl frei machen. Beziehungen schaffen Abhängigkeiten, lange Beziehungen schaffen starke Abhängigkeiten.

Der CDU-Chef wirkt bei der Aufdeckung des Parteispendenskandals unentschlossen. Einerseits will er eine neue, moderne CDU präsentieren, andererseits glaubt er, dieses Ziel nur mit und nicht ohne Helmut Kohl erreichen zu können. Wer Kohl kaputt macht, der macht die Partei kaputt – davon ist Schäuble überzeugt.

Er distanziert sich zwar vom Übervater der Partei, indem er dessen Führungsstil „patriarchalisch“ nennt und so den Unterschied zur CDU unter seinem neuen Vorsitzenden aufzeigt. Gleichzeitig aber fasst er Kohl, zumindest öffentlich, nur mit Samthandschuhen an. Druck auf den ehemaligen Parteichef übt Schäuble allenfalls hinter den Kulissen aus. Vor versammeltem Publikum „bittet“ er ihn höflich, die Namen der anonymen Spender doch öffentlich zu nennen. Bis heute ist er ihm gegenüber loyal. „Der frühe Schäuble hätte die Sache noch über die Person gestellt“, sagt einer, der den jetzigen Parteichef schon lange kennt. „Aber Ratzinger hat auch als Reformtheologe angefangen und ist jetzt die institutionalisierte Struktur des Vatikan.“

Wolfgang Schäuble laviert, verzögert, weicht aus. Er behandelt den Skandal wie ein Buchhalter. Er macht aus der Kohl-Affäre einen finanztechnischen Vorgang, um ihm die Emotionalität und die politische Dimension zu nehmen. Er lässt seine Generalsekretärin Angela Merkel nicht im Regen stehen, wenn sie die CDU zum klaren Bruch mit Kohl auffordert. Aber er unterstützt sie auch nicht offensiv. „Wir sind nicht immer einer Meinung, aber immer auf einem Weg“, nennt das Schäuble, um im nächsten Interview gleich süffisant festzustellen, dass Frau Merkel nun mal keine Juristin, sondern Physikerin ist; eine ausgezeichnete, wie er selbstverständlich hinzufügt.

Man kann das Verhalten von Schäuble und Merkel als Spiel mit verteilten Rollen lesen: Er hält die Partei zusammen, sie fordert radikale Aufklärung. Man kann es aber auch genauso gut als Meinungsverschiedenheit deuten. Schäuble ist im Umgang mit seinem ehemaligen Freund vorsichtiger. Er könnte der Partei und der Öffentlichkeit nicht erklären, warum er Kohl heute stürzen will, wo er ihm doch selbst dann noch die Treue gehalten hat, als bereits keiner mehr an den Kanzler glaubte.

Unter Umständen weiß Schäuble, lange Jahre der zweitwichtigste Mann in der CDU, auch mehr von den dunklen Finanzgeschäften seiner Partei, als er zugibt. Er hat nicht ohne Grund gesagt, er könne keinen Eid darauf leisten, nie etwas von den schwarzen Konten des Vorsitzenden gehört zu haben.

Der Kampfmaschine Kohlist er nicht gewachsen

Entscheidend aber ist, dass Schäubles politisches Verhalten vom ganz privaten Psychodrama seiner Beziehung zu Kohl geprägt ist. Schäuble ist befangen im Umgang mit seinem Ziehvater. Er hat immer noch Respekt vor ihm, vielleicht sogar Angst. Er weiß, dass er den Koloss nicht stürzen kann.

Plötzlich kommen die alten Geschichten wieder hoch. In entscheidenden Momenten ist Wolfgang Schäuble immer zurückgezuckt. Als 1993 wieder einmal das Gerücht umging, Schäuble wolle den Kanzler beerben, weil er ihm den Wahlsieg nicht mehr zutraue, fuhr er ins Kanzleramt und sagte Kohl ins Gesicht, dass er ihn nicht stürzen wolle. „Wenn ich der Überzeugung wäre, Helmut Kohl träte im Interesse der CDU besser zurück“, fügte er später hinzu, „dann würde ich zu ihm hingehen und es ihm sagen.“ Aber genau das hat Schäuble nie getan.

Er war, besonders nach dem Attentat auf ihn, hart zu sich selbst und zu vielen anderen in der Partei. Nur vor einem war sein Respekt so groß, dass er sich ihm nie wirklich in den Weg stellte: Helmut Kohl. Dem Machtwillen des Kanzlers hat er sich immer gebeugt. Anfang 1997 ließ Schäuble in einem Gespräch mit dem Stern erkennen, er würde, wenn sich ihm die Kanzlerschaft böte, der Versuchung wahrscheinlich nicht widerstehen können. Kohl erregte das sehr. Schon eine Woche nach dem Interview aber kam Schäuble dem Wunsch des Kanzlers nach und ließ sich mit ihm ausgerechnet für den Stern im Kanzleramt fotografieren: der eine in Strickjacke, der andere im Pullover. Ein Bild voller Harmonie und Symbolik. Hier sitzen ein Herz und eine Seele zusammen.

Ein Jahr später wagte Schäuble einen erneuten Vorstoß. Er fuhr zum Kanzler, um ihn davon zu überzeugen, dass dieser für den Tag nach der Bundestagswahl den Wechsel zu ihm, zu Schäuble, bekannt geben möge. Mit dir verlieren wir, sagte er. Kohl war natürlich empört und lehnte sofort ab. Schäuble wird danach allein mit seinem Rollstuhl zur Tür gefahren sein.

Die Demonstrationen der Macht, die vielen Kränkungen und Verletzungen, die der Vater seinem Sohn über die Jahre zugefügt hat, wirken bis heute nach. Und Kohl scheint immer noch der Stärkere von beiden zu sein. Bis heute zwingt er Schäuble seinen Willen auf. Der neue Parteichef ist der Kampfmaschine aus Oggersheim nicht gewachsen.

Was wir gerade erleben, ist das Scheitern der ganz persönlichen Kohl-Bewältigung von Wolfgang Schäuble. Es war vor wenigen Wochen doch mehr als ein symbolisches Bild: Helmut Kohl, durch den Skandal in die Defensive geraten, trommelte wieder Vertraute zusammen, gab Interviews, trumpfte im Fernsehen auf. Der Alte lief zu gewohnter Form auf. Im selben Moment erlitt der ewige Kronprinz einen Schwächeanfall. Wolfgang Schäuble musste mit einer Gallenkolik ins Krankenhaus eingeliefert werden.

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