Kaum Gas aus Norwegen und Katar: Ausweichländer sind am Limit
Am Weltmarkt zusätzliches Gas zu finden, könnte für Deutschland zum Problem werden. Norwegen und Katar winken schon mal ab.
Auch aus Katar kommen schlechte Nachrichten: Energieminister Saad Sherida al-Kaabi berichtete in einem Interview mit dem Handelsblatt, die Produktion des Landes sei bereits zu 100 Prozent verkauft, alles sei vertraglich gebunden. Das „umlenkbare Volumen“ könnte lediglich etwa 10 bis 15 Prozent betragen.
Auch Norwegens Regierungschef Jonas Gahr Støre erklärte bereits im Mai: Mit rund 10 Milliarden Kubikmetern im Monat liefere Norwegen aktuell seine „volle Produktionskapazität“. Fast die gesamte Menge wird exportiert: 5 Prozent in Form von Flüssiggas, 95 Prozent durch die insgesamt 8.000 Kilometer langen Pipelines nach Deutschland, Großbritannien, Belgien und Frankreich.
Mit Inbetriebnahme der neuen Baltic Pipe nach Polen im Spätherbst kommt zwar eine Leitungskapazität von jährlich bis zu 10 Milliarden Kubikmetern hinzu. Doch deren Gas werde vorwiegend auf Kosten der anderen Pipelines gehen.
Verpresst
Im laufenden Jahr exportierte Norwegen bereits 5 Prozent mehr als im Schnitt des Jahres 2021 – damals kamen knapp 24 Prozent der EU-Erdgasimporte aus Norwegen und etwa 43 Prozent aus Russland. Zeitweise ließe sich die Produktion laut dem staatlichen Energiekonzern Equinor allenfalls um rund 1 Prozent steigern: Die Öl- und Gasförderung hängt auf vielen Feldern in der Nordsee zusammen. Ein Teil des Gases muss dort zur Ölförderung wieder in die Bohrlöcher verpresst werden. Diese Menge könne man zur Erhöhung der Gasproduktion verringern, was dann aber wiederum die Ölproduktion vermindern werde.
Auch Katar sei am Limit seiner Produktionsmöglichkeiten, sagt Thomas O’Donnell, Experte für das globale Energiesystem, der taz. „Erst wenn sie ein neues Gasfeld – das North Field vor der Küste Katars – entwickelt haben, können sie zusätzliches Gas fördern.“ Damit könne aber erst in zwei bis vier Jahren gerechnet werden.
Etwa 80 Prozent von Katars Gasexporten gehen nach Asien, gebunden in langjährigen Verträgen. Bisher liefert Katar etwa 5 Prozent des gesamten Gasbedarf Europas, das meiste davon nach Italien und Großbritannien, das zeigen Daten des Finanzdienstleisters S&P Global.
Spot auf den Spotmarkt
Nicht das gesamte Gas, dessen Bezahlung nach Katar fließt, wird künftig aus Katar kommen. Gemeinsam mit dem US-Konzern Exxon Mobile entwickelt es Golden Pass LNG, ein Verarbeitungs- und Exportterminal für US-Gas an der texanischen Küste. Erdgas wird in den USA meist durch Fracking gewonnen – ein Prozess, der wegen seiner hohen Umweltbelastung in der Kritik steht.
Aus diesem Projekt könne voraussichtlich ab 2024 Gas geliefert werden, schreibt Golden Pass auf seiner Webseite. Es sei „für den europäischen Markt prädestiniert“, so al-Kaabi im Handelsblatt.
Vor allem die USA böten Gas am sogenannten Spotmarkt an, also außerhalb langjähriger Verträge, sagt O’Donnell. Dessen Preise sind aber sehr wechselhaft und statt von vertraglichen Konditionen vor allem von Nachfrage und Angebot abhängig. Am Weltmarkt zusätzliches Gas zu finden, ist eines von zwei Probleme, denen sich Deutschland gegenübersieht: Man muss es auch bezahlen zu können.
Eine kurzfristige Lösung können also weder Norwegen noch Katar anbieten. Norwegen hat derzeit selbst ernste Energiesorgen. „Wir müssen uns auf einen schweren Winter vorbereiten“, erklärte Støre am Montag. Nicht nur wegen der europäischen Energiekrise – im Wasserkraftland Norwegen wird infolge schneearmer Winter und der schlimmsten Trockenheit seit 140 Jahren das Wasser knapp. Die Anfang der 2000er Jahre als Reservekapazität gebauten Gaskraftwerke lohnten sich nicht und wurde schon vor Jahren stillgelegt und teilweise wieder abgerissen.
Die Strompreise könnten „vollkommen durch die Decke gehen“, warnt Energieminister Terje Aasland: Es könne sogar zu Stromknappheit und Rationierungen kommen. Vor einigen Jahren gab es die Idee, Norwegen könne eine europäische „Strombatterie“ werden. Nun braucht das Land jede Kilowattstunde selbst.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren
Grünes Wahlprogramm 2025
Wirtschaft vor Klima
Tod des Fahrradaktivisten Natenom
Öffentliche Verhandlung vor Gericht entfällt
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Parteiprogramme für die Bundestagswahl
Die Groko ist noch nicht gesetzt
Foltergefängnisse in Syrien
Den Kerker im Kopf