Katalonien wählt: Wenn nichts mehr normal ist
An vielen Orten ist die Schlange der Wähler lang. Es zeichnet sich ein enges Rennen zwischen Befürwortern und Gegnern der Unabhängigkeit ab.
5,5 Millionen Katalanen sind an die Urnen gerufen, um über ein neues Autonomieparlament und damit über eine neue Autonomieregierung zu bestimmen. Nach dem verbotenen Unabhängigkeitsreferendum am 1. und der Ausrufung der Katalanischen Republik am 27. Oktober hatte die Regierung des Konservativen Mariano Rajoy in Madrid mit Hilfe des Verfassungsartikels 155 die katalanische Regierung unter Carles Puigdemont des Amtes enthoben, die nordostspanische Region unter Zwangsverwaltung gestellt und die Neuwahl angesetzt.
Laut Umfragen könnte es zu einer Rekordwahlbeteiligung von rund 82 Prozent kommen. Bei der letzten Autonomiewahl 2015 waren es 75 Prozent. Es zeichnet sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen dem Block der Befürworter und dem der Gegner der Unabhängigkeit ab.
„Normalität“ ist das Wort, das die Wähler in der Schlange am häufigsten benutzten. So auch Galán und García. „Wir wollen eine nicht normale Situation beenden“, sagt die jüngere der beiden Frauen. Sie meint damit die Zwangsverwaltung. Vertrauen haben sie in keinen der beiden großen politischen Blöcke, nicht in die Befürworter der Unabhängigkeit, die einst die Regierung Puigdemonts unterstützten, der erneut mit einer Liste mit dem Namen „Gemeinsam für Katalonien“ (JxCAT) antritt, und nicht in die Parteien, die den Paragrafen 155 und die Einheit Spaniens verteidigen.
„Die Nerven liegen blank“
„Wir wählen die da“, sagt García und deutet auf ein Wahlplakat von „Katalonien gemeinsam können wir“, ein Bündnis der Partei der Bürgermeisterin von Barcelona, Ada Colau, und der linksalternativen Podemos. Die „Comunes“ wie sie hier genannt werden, suchen einen dritten Weg zwischen einseitiger Unabhängigkeit und Zwangsverwaltung. Sie treten für eine Verfassungsreform ein, die ein Unabhängigkeitsreferendum ermöglicht und Spanien zum Bundesstaat macht.
Auch José, der seinen Nachnamen nicht verraten will, redet von „Normalität“. „Ich bin seit 1955 hier in Katalonien. So wie in den letzten Monaten habe ich das hier noch nie erlebt“, sagt der Mann, der einst auf der Suche nach Arbeit aus der Region Aragón kam. Er beschwert sich über „die ständigen Demonstrationen der Unabhängigkeitsbewegung“. Seine Stimme gibt er, auch wenn er das nicht explizit sagt, zweifelsohne einer der drei Parteien, die sich selbst als „Verfassungsblock“ bezeichnen – die in Madrid regierende Partido Popular (PP), die Sozialisten (PSC) und die rechtsliberalen Ciudadanos (C's), die ebenso wie die Republikanische Linke Kataloniens (ERC) darauf hoffen, stärkste Partei zu werden.
Und auch der 27-jährige selbstständige Grafiker Marc Pallas redet von „Normalität“. Er hofft darauf, dass die drei Unabhängigkeitsparteien, die ERC – die er wählen wird – Puigdemonts JxCAT und die antikapitalistische CUP, erneut die Parlamentsmehrheit erreichen. „Die Nerven liegen blank, wie beim Fußball“, sagt er. „Nur dass der Fussball eine Nebensache ist, und es hier um unser Leben, unsere Zukunft geht.“
Tragen der Farbe gelb verboten
Normalität ist ein hehrer Wunsch. Denn normal ist nichts bei dieser Wahl. Puigdemont ist mit vier seiner Minister nach Brüssel geflohen. Sie alle sind Kandidaten entweder für JxCAT oder ERC und können nicht zurück. Gegen sie wird wegen „Rebellion“, „Aufstand“ und „Veruntreuung“ ermittelt. Darauf stehen 55 Jahre Haft. Der ERC-Spitzenkandidat und einstige Vizeregierungschef Junqueras Oriol sitzt zusammen mit zwei weiteren Kandidaten wegen der gleichen Vorwürfe in Untersuchungshaft.
Die Wahlbehörde hat für Wahlhelfer das Tragen der Farbe gelb verboten. Denn eine gelbe Schleife ist das Symbol der Solidarität mit den „politischen Gefangenen“ und „Exilierten“.
15.000 Polizeibeamte sorgen für die Sicherheit der Wahlen, so viele wie noch nie. Und an der Grenze zu Frankreich wurden die Kontrollen verstärkt. Madrid fürchtet, dass Puigdemont überraschend aus Brüssel zurückkehren könnte.
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