Kaschmir-Konflikt eskaliert: Schlimmste Unruhen seit sechs Jahren
Seit Wochen gibt es im indischen Teil Kaschmirs blutige Proteste gegen die Regierung in Delhi. Regierungschef Modi reagiert hilflos und desinteressiert.
Seit im Juli der Rebellenführer Burhan Wani von indischen Sicherheitskräften erschossen wurde und 20.000 Menschen im Protest zur Beerdigung kamen, hat es mehr als 65 Tote und 2.000 Verletzte im Kaschmir-Tal gegeben – die schlimmsten Unruhen seit sechs Jahren. Dabei hatten sich die Probleme im indischen Bundesstaat Jammu und Kaschmir lange angekündigt.
Wie der Tod des 22-jährigen Wani zeigt, ist in Kaschmir eine neue Generation von Rebellen aus der Mittelschicht herangewachsen. Sie haben die Nase voll von Arbeitslosigkeit und Polizeischikane, während der Rest Indiens auf Wachstumskurs zu sein scheint.
Doch die von der hindunationalistischen Bharatiya Janata Partei (BJP) geführte Regierung in Delhi ließ Situation schleifen. Ein Politikstil, der sich seit Modis Amtsantritt 2014 auch in anderen Situationen zeigt: Lokale Gewaltausbrüche, etwa über das Schlachten von Kühen oder Quoten für Jobs im Staatsdienst, werden so lange beobachtet, bis Modi versucht, sie durch persönliches Bedauern zu „lösen“.
Die Methode verspricht im Fall Kaschmirs besonders wenig Erfolg, da es hier mit dem Nachbar Pakistan einen Spieler gibt, der kein Interesse daran hat, die Situation auf sich beruhen zu lassen. Seit der Unabhängigkeit und Teilung Britisch-Indiens 1947 erheben Pakistan und Indien Anspruch auf Kaschmir. Beiden Atommächte haben seitdem zwei Kriege darum geführt.
Pakistan unterstützt Widerstandsgruppen
Die Region wurde geteilt, nachdem Kaschmirs Maharadscha seinerzeit beschloss, trotz mehrheitlich muslimischer Bevölkerung dem säkularen Indien beizutreten. Pakistan besetzte darauf Teile von Kaschmir und will bis heute die Zugehörigkeit Kaschmirs durch einen Volksentscheid lösen, wie 1948 vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen gefordert.
Doch daran gibt es international wenig Interesse, auch weil viele der im indischen Teil Kaschmirs operierenden Widerstandsgruppen, die von Pakistan unterstützt werden, islamistische Ziele verfolgen. Burhan Wanis Gruppe Hizbul Mujaheddin wird auch von der EU und den USA als Terrororganisation eingestuft.
Nach Dekaden der Gewalt sind viele Kaschmiri von Pakistans eigennütziger Hilfe wie von Indiens Ignoranz gegenüber ihren Sorgen und Nöten frustriert und würden am liebsten von beiden Ländern unabhängig sein.
Doch wie die indischen Analysten Samir Saran und Ashok Malik jüngst schrieben, ist der „internationale Appetit für Experimente mit Selbstbestimmung so gering wie nie seit dem Ersten Weltkrieg“. Seit Modis Regierungsübernahme hat sich zudem die Sicht durchgesetzt, dass Indien gegenüber Pakistan und allen Formen des von Islamabad gestützten Terrorismus klare Kante zeigen muss.
In Srinagar, Hauptstadt des indischen Bundesstaats Jammu und Kaschmir, regiert ebenfalls Modis BJP, wenn auch in Koalition mit der „Jammu und Kaschmir Demokratischen Volkspartei (JKPDP)“ geführt von Ministerpräsidentin Mehbooba Mufti – einer traditionellen Partei mit wenig Resonanz bei der Jugend.
„Indien muss mehr Optionen aufzeigen können und mehr Leute erreichen“, fordern Saran und Malik, die Delhi eine „faule Politik“ vorwerfen. Es reiche nicht, sich nur auf „lokale Eliten und einige wenige Familien“ zu verlassen, für die „Netzwerke in Delhi“ wichtiger seien als Rückhalt in der lokalen Bevölkerung.
Teilung anerkennen
Viele Beobachter glauben daher, die BJP müsse zur Politik ihres früheren Ministerpräsidenten Atal Bihari Vajpayee zurückkehren. Dieser stand 2004 mit Pakistan damaligen Militärdiktator Pervez Musharraf kurz vor einer Lösung für Kaschmir. Sie sah vor, die Teilung anzuerkennen, Kaschmir weitgehend zu entmilitarisieren und den Kaschmiri auf beiden Seiten mehr Selbstbestimmung und Reisefreiheit zu gewähren.
Doch Vajpayee wurde 2004 abgewählt. Indiens früherer Geheimdienstchef A. S. Dulat, der unter Vajpayee für Kaschmir zuständig war, hat kürzlich über diese Jahre ein Buch geschrieben. Er glaubt noch immer, dass es „zum Miteinanderreden“ keine Alternative gibt.
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