Kartenspiel über Stasi-Erstürmung: Der größte Aktenvernichter gewinnt
In Zusammenarbeit mit dem DDR-Museum und dem Stasi-Unterlagen-Archiv entstand aus einer historischen Broschüre ein Kartenspiel. Taugt das?
Wer schon immer einmal wissen wollte, wie es ist, in einen Modus aus Manipulation und totaler Kontrolle zu kommen, kann im Spiel für etwa 20 Minuten zum Stasi-Mitarbeiter mutieren. Dafür muss man sich nicht in verstaubte Uniformen puppen oder seine Nachbarn abhören, sondern so tun, als würde man Dokumente aller Art vernichten, um sich so vor der kritischen Masse der Bürgerbewegung zu schützen.
Was makaber klingt, ist für die Entwickler Michael Geithner und Martin Thiele-Schwez eine bewusste Entscheidung gewesen. Ihre Firma Playing History erfindet Spiele auf Basis historischer Ereignisse. In Zusammenarbeit mit DDR-Museum und Stasi-Unterlagen-Archiv entstand aus einer historischen Broschüre das Kartenspiel.
Zum 30. Jubiläum der Eroberung der Stasi-Zentrale in Lichtenberg wird es ab nächste Woche, Mittwoch im Shop des DDR-Museums verkauft. Aus der Perspektive des Bösewichts zu spielen sei spannender, sagen die Spielemacher: Was haben die Täter getan und warum? Was wurde am Ende vernichtet? „Nur weil ich etwas spiele, heißt es nicht, dass ich alles lustig und gut finde“, so Geithner bei der Vorstellung am Donnerstag.
Durch die ungewohnte Rolle würden sich die SpielerInnen kritischer mit dem Thema auseinandersetzen, hofft er. Besonders SchülerInnen sollen so den Anreiz haben, zum Begleitheft zu greifen, in dem das DDR-Museum die historischen Hintergründe erklärt. „In der Broschüre würden sie vermutlich sonst nicht schmökern“, ergänzt Thiele-Schwez.
Alle Mitspieler sind bei der Stasi
Der Witz an dem Spiel: Alle Mitspieler sind bei der Stasi, deren GegnerInnen existieren nur als Spielkarten. Zieht man eine „kritische Karte“ wie Pfarrer, Jugendliche oder JournalistenInnen, gibt es einen Minuspunkt, das Bürgerkomitee oder die Friedens-und Menschenrechtsbewegung kosten Spielkarma.
Wenn fünf Gegner auf dem Tisch liegen, ist das Spiel für alle vorbei. Wer am Ende trotzdem die meisten Akten verbrannt oder geschreddert hat und die wenigsten Minuspunkte durch Gegner sammelt, gewinnt das Spiel – als Stasi-Mitarbeiter der letzten Stunde sozusagen.
Die Zielgruppe des Spiels darf die Stasi-Schlacht in Kartenform am Donnerstag direkt live testen. Etwa 15 SchülerInnen legen los. „Man will gewinnen, also clever seine Mitspieler abschalten und Gegner ablenken“, sagt die 17-jährige Anna-Maria. Außerdem rege das Spiel zum Nachdenken an. „Schon krass, was dort alles vernichtet wurde“, raunt ein anderer Spieler. Vor ihm liegen zwei Karten: ein Honecker-Porträt und Abhörprotokolle. Ein Dritter hat die einzige Nullerkarte im Spiel gezogen: eine Bananenschale.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Christian Lindner
Die libertären Posterboys
Außenministerin zu Besuch in China
Auf unmöglicher Mission in Peking
Olaf Scholz’ erfolglose Ukrainepolitik
Friedenskanzler? Wäre schön gewesen!
Rücktrittsforderungen gegen Lindner
Der FDP-Chef wünscht sich Disruption
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht