heute in bremen: „Karten sind immer politisch“
Iris Schröder ist Professorin für neuere und neueste Globalgeschichte in Erfurt.
Interview Selma Hornbacher-Schönleber
taz: Frau Schröder, Sie haben an der Ausstellung „Karten Wissen Meer. Globalisierung vom Wasser aus“ mitgearbeitet. Was haben Meereskarten mit Globalisierung zu tun?
Iris Schröder: Durch Karten haben wir eine Vorstellung von der Welt als ganzer, Karten führen uns die Welt als Möglichkeitsraum vor Augen und so sind sie massiv daran beteiligt, dass Globalisierung voranschreitet. Meereskarten sind hier zentral: Auf den Meeren formte sich die Welt zur Einheit – das ist das Leitmotiv unserer Ausstellung.
Und woran sieht man das genau?
Karten zeigen zum Beispiel den Wandel der weltweiten Verkehrsverbindungen: wie Distanzen schrumpfen, wie es möglich wird, relativ berechenbar von A nach B zu kommen. Karten veranschaulichen den Zusammenhang zwischen den Meeren und der Globalisierung. Und sie nehmen vorweg, was erst später benannt wird: den Weltverkehr. Der Begriff des globalen Weltverkehrs kommt in den 1880er-Jahren auf, aber Karten zeigen, dass es das Phänomen schon Jahrzehnte früher gab.
Wann und wo fängt Globalisierung an?
Lange hatte man die Annahme, die Verflechtung der Wirtschaft, die „McDonaldisierung“ der Welt habe in den 1970er-Jahren angefangen. Dabei ist das Phänomen vielschichtiger und wir sollten im Plural darüber sprechen: Globalisierungen sind bestimmt durch Vernetzungen, aber auch Verlagerungen von Verkehrswegen. Das gibt es schon lange. Je nachdem wie und wonach man schaut, muss man sagen: Es gab mehrere beobachtbare Globalisierungsschübe seit der Frühen Neuzeit, wenn nicht schon früher. Und die Frage ist auch, wo: Im Globalen Süden haben sich vielfältige Verknüpfungen und Verflechtungen ergeben, die als Globalisierungen bezeichnet werden sollten, aber die mit Europa nicht viel zu tun haben und die wir oft auch nicht gesehen haben.
Wer hat die Globalisierung von den Meeren aus vorangetrieben?
Ausstellung „Karten Wissen Meer. Globalisierung vom Wasser aus“, vom heutigen Montag bis zum 17. Oktober, immer montags bis freitags von 10 bis 18 Uhr im Haus der Wissenschaft, Sandstraße 4/5
Globalisierung ist nur denkbar, wenn wir über ihre Akteure nachdenken. Von Europa aus gedacht, treiben zunächst die britische Marine und Ozeanographen, die die Meere vermessen und verwissenschaftlichen, die Globalisierung voran. Aber noch davor gibt es bereits Kaufleute, Händler*innen, Migrant*innen, freiwillige und unfreiwillige, die die Meere befahren und die ihr Wissen auch mit zur Verfügung stellen für die neue Kartographie der Meere. Nur darf man nicht vergessen, dass es nicht nur aus freien Stücken Reisende, sondern auch Sklaven und Sträflinge gab, die regelrecht verfrachtet werden sollten.
Meereskarten sind also politisch?
Karten sind immer politisch. Sie bilden vermeintlich objektive Raumzusammenhänge ab. Aber genau genommen erzeugen Karten ihre eigenen Räume, indem sie sie modellieren – und das geschieht in politischer Absicht. Karten argumentieren, indem sie zeigen, wo der kürzeste Weg ist und natürlich haben sie im Zeitalter kolonialer Globalität auch die Idee nahegelegt, sich einen Landstrich, eine Insel, anzueignen – als Stützpunkt für die Flotte oder als Plantagenkolonie. So hängt Kartographie der Meere auch mit Kolonialismus zusammen.
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