Karriereende von Serena Williams: Die Größte geht
Serena Williams beendet ihre 27-jährige Laufbahn. Nicht nur im angeblich weißen Sport hat die Afroamerikanerin alles erreicht. Eine Hommage.
Die Welt des Tennissports, aus der sich Serena Williams nun zurückziehen wird, ist nicht mehr die Welt, in die sie eingetreten ist. Das liegt zu einem großen Teil an Serena selbst und an ihrer Schwester Venus. Und es ist nicht nur darin begründet, dass die beiden nicht weiß sind. Frauen sind mittlerweile insgesamt körperlich fitter und leistungsfähiger. Serena hat eine Marke gesetzt, an der niemand mehr vorbeikommt. Die heute 40-Jährige ist seit 37 Jahren in ihrem Sport, 27 Jahre lang war sie Profi. Nicht immer war sie hier willkommen, doch jetzt wird sie respektiert. Niemand bestreitet mehr ihr Können oder ihre Größe, Serena hat das Frauentennis verändert.
Ich gehöre noch zu einer älteren Generation, die die Williams-Sisters nicht singulär betrachtet und die sich nicht fragt, ob sie es ohne ihre Schwester Venus geschafft hätte. „Alles, was ich getan habe“, sagt Serena selbst, „tat ich wegen Venus“. Die ältere Schwester half ihr oft nach kritischen Pressekommentaren und wenn sich manchmal freundliche und meist unfreundliche Sportfreunde zu Wort meldeten. Die Schwestern berichteten von Umkleidekabinen, in denen niemand so aussah wie sie. Von den Blicken anderer Spielerinnen, die wahrscheinlich noch nie jemanden wie sie gekannt hatten. Und von einigen Gegnerinnen, die neidisch waren, weil die Williams-Sisters so viel Aufmerksamkeit bekamen. Venus spielte als Juniorin 63 Turniere und hat kein einziges verloren, Serena gewann von 52 Turnieren 50.
Venus Ebony Star Williams.Serena Jameka Williams. Beide wurden von ihren Eltern, Richard und Oracene Williams, dazu erzogen, eine positive Einstellung und ein unerschütterliches Selbstbewusstsein zu entwickeln, wie es Champions in allen Sportarten auszeichnet. Voller Selbstvertrauen traten die Schwestern im Alter von 11 und 12 Jahren in eine überwiegend weiße Tenniswelt ein, die sie keineswegs sofort aufnahm, sondern zunächst abwartete, ob die zwei wirklich etwas draufhaben.
Als die Schwestern im Alter von 11 und 12 Jahren interviewt wurden, kicherten sie noch, aber sie wollten unbedingt spielen, und vor allem wollten sie gewinnen. Wenn sie von Reportern auf ihr Selbstvertrauen angesprochen wurden, schimpfte Richard, sie hätten nicht begriffen, dass sie Kinder seien und sagten, was sie fühlten. „Sie hat Ihnen doch schon gesagt, was sie denkt. Jetzt lassen Sie es“, sagte er zu einem Reporter, der Venus immer wieder fragte, woher sie dieses Selbstbewusstsein nahm, all ihre Gegnerinnen schlagen zu können.
Bösartige Gerüchte
Eine große Schwester zu haben, bedeutete für Serena, dass sie nicht allein in diese Welt gehen musste. Serenas ersten Grand-Slam-Titel erkämpte sie sich 1999 bei den US Open gegen Martina Hingis, die die gesamte Energie bei ihrem harten Halbfinalsieg über Venus gelassen hatte. Übrigens, das Damendoppel am nächsten Tag gewannen die beiden Schwestern.
Serena Williams
Dieses Zusammenspiel von Venus und Serena ließ Gerüchte aufkommen, der Vater spiele die Töchter manipulativ gegeneinander aus. 2001, beim Turnier in Indian Wells, spitzte sich das zu. Serena und Venus sollten im Halbfinale gegeneinander antreten, doch Venus meldete sich nur wenige Minuten vor dem Spiel wegen einer Knieverletzung ab.
Als Richard und Venus den Court betraten, um sich Serenas Finale anzuschauen, wurden sie mit Buhrufen und Beschimpfungen empfangen. Serena berichtete, sie habe nach ihrem Sieg noch lange in der Umkleidekabine geweint. Die folgenden 14 Jahre boykottierten die Williams-Sisters Indian Wells. Das brachte ihnen Kritik ein. Andere schwarze Sportler, etwa der Wimbledonsieger Arthur Ashe oder der Baseballstar Jackie Robinson, hätten doch viel mehr einstecken müssen.
Ich verfolge den Tennissport seit meiner Kindheit, als jedes schwarze Kind in Amerika wusste, wer Althea Gibson war. 1958 gewann sie als erste Afroamerikanerin einen Grand-Slam-Titel. Ich sah sie spielen, wusste aber nicht, welche Demütigungen und Erniedrigungen sie ertragen musste: Man warf sie aus dem Speisesaal des Country Clubs in Forest Hills hinaus, wo sie gerade das Turnier gewonnen hatte.
Präsenter Rassismus
Ich aber sah nur eine schöne Frau, die aussah wie die Menschen in meiner Welt, und die sich mit einer außergewöhnlichen Anmut bewegte. Was ich nicht wusste, war, dass sie sich früh schon zurückzog und dass sie beinah selbst ihrem Leben ein Ende gesetzt hätte, weil sie nicht wusste, wie sie ihren Lebensunterhalt bestreiten sollte.
Wie präsent der Rassismus im weißen Sport Tennis war, wurde mir so richtig erst in den späten Sechzigerjahren bewusst, als Arthur Ashe seine ersten Erfolge feierte und 1968 die US Open gewann. Als der junge Ashe an Juniorenmeisterschaften teilnehmen wollte, wurde er zunächst abgelehnt. Seine Trainer, die seine Teilnahme durchsetzten, warnten den bescheidenen Ashe: Eine falsche Bewegung, ein Wutausbruch, ein Kritisieren einer Schiedsrichterentscheidung – alles könnte zu seinem Ausschluss führen. Entscheidungen gegen sich und für seine weißen Gegner müsse er immer respektieren.
Erst viele Jahre später räumte Ashe ein, dass er solche Vorstellungen, was guter Sportsgeist sei, als etwas zu arg empfunden hatte und dass er „24 Stunden am Tag gegen den Rassismus ankämpfte“, weil er wusste, dass es etwas gab, das er „umgehen“ musste. Es waren nicht nur Weiße, die gegen ihn standen, sondern auch die Erwartungen vieler Schwarzer.
Serena Williams hat häufig davon berichtet, wie ihre Eltern sie und ihre Schwester früh auf den Umgang mit Rassismus vorbereitet hatten. Sie brachten ihnen bei, dass „wir mit verschiedenen Dingen konfrontiert werden, mit denen andere Menschen nicht konfrontiert werden“. Das sei für sie in Ordnung gewesen, „weil wir wussten, dass wir darauf vorbereitet waren. Wir waren auf alles vorbereitet, was auf uns zukam.“ Sie sagte auch: „Ich musste die Leute zwingen, mich wegen meines Spiels zu sehen, und mein Spiel sprechen lassen.“
Unbedingter Siegeswunsch
Trotzdem erlebte sie Momente, in denen sie von der Ungerechtigkeit, die sie erlebte, schlicht überfordert war. „Bei Gott, ich schwöre, dass ich dir einen dieser verdammten Bälle in den Hals schiebe“, schrie sie eine Linienrichterin an, als diese höchst fragwürdig einen Fußfehler ausgerechnet in einer entscheidenden Phase eines Spiels glaubte erkennen zu müssen. Ihre Reaktion, so erklärte Williams später, hatte mit Rassismus zu tun und der Tatsache, dass von Frauen nicht erwartet wird, dass sie so für sich selbst einstehen, wie Männer es tun.
Vor kurzem habe ich mir Serenas US-Open-Match gegen Hingis von 1999 noch einmal angesehen. Sie war da ganz ruhig, hoch konzentiert, sogar noch nach einer Serie von Fehlern. Sogar beim erneuten Anschauen, 23 Jahre danach, machte mich das nervös, obwohl ich doch wusste, dass Serena damals gewonnen hatte. Ich habe diese Nervosität immer wieder erlebt, wenn ich sie live spielen sah: andauernd wieder Deuce, Einstand. Ständig diese Fehler, wenn sie gerade dabei war, ein Spiel oder einen Satzball zu gewinnen. Immer wieder am Rande einer Niederlage zu stehen, um sich dann wie durch ein Wunder zu befreien. Dieser unbedingte Wunsch zu gewinnen, brachte in Serena eine Wildheit zum Vorschein. Dann schlug sie plötzlich ein Ass nach dem anderen. Serena und Venus führten Aufschläge mit bis zu 190 Stundenkilometern ins Frauentennis ein. In solchen Momenten schaute die Welt voller Ehrfurcht zu. Serena war schlicht nicht berechenbar.
Zu Beginn der Karriere der Wiliams-Sisters war es keinesfalls ungewöhnlich, dass Fernsehkommentatoren ihre „Kraft“ und „Athletik“ gegen die „Intelligenz“ anderer Spielerinnen in Stellung brachten. Als könne man nicht zugleich athletisch und intelligent sein. Ständig wurde Serenas Körperlichkeit in den Mittelpunkt gerückt, eine Maskulinität bei ihr wurde suggeriert, und manchmal wurde ihr Körper offen rassistisch sexualisiert und mit tierischen Charakteristika kommentiert.
Es mangelt nicht an Ironie, dass heute keine Frau mehr Profitennis spielen kann, ohne sich dem extrem harten Training zu unterziehen, die das kraftvolle Spiel der Williams-Sisters ausmachen.
Zu Serenas unnachahmlichem Stil gehörten anfangs auch die Perlen, die sie sich als Teenager in ihre Zöpfe geflochten hatte und für die sie viel Kritik einstecken musste. Ihren Style werden wir schmerzlich vermissen: die gewagten Farben und Schnitte ihrer Outfits, von Bodysuits bis hin zu Tutus. Manchmal passten sie, manchmal nicht, aber bei aller Härte, mit denen sie auf dem Tenniscourt kämpfte, signalisierten diese Outfits immer viel Lust und Freude.
Unabhängig von der Debatte, wer nun „Greatest Athlete of all Times“ ist, ist Serena eine Frau, die mit ihrer Schwester tatsächlich davon überzeugt war, die Beste zu sein, wenn sie spielte. Die sich nicht schämte, dies laut zu sagen. Und die es mehr als einmal auch bewiesen hat. Gemeinsam brachten die Williams-Sisters dem Tennis ein größeres und auch diverseres Publikum, sie sorgten für höhere Werbeeinnahmen und größere und gerechtere Preisgelder für Spielerinnen. Es dürfte interessant sein zu sehen, ob sich zukünftige Spielerinnen mit ihnen messen können.
Nachdem ich mir unzählige Videos angesehen habe, ist das Bild von Serena, das mir im Gedächtnis bleibt, das einer 11-Jährigen, die 1992 auf die Frage, wem sie nacheifern wolle, geantwortet hat: „Ich denke, es wäre schön, wenn die Leute so sein wollen wie ich.“
Aus dem Englischen von Martin Krauss
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Fortschrittsinfluencer über Zuversicht
„Es setzt sich durch, wer die bessere Geschichte hat“