Karriere in der Energiepolitik: Charmantes Schlitzohr mit Kalkül

In drei Jahrzehnten entwickelte Johannes Kempmann sich vom führenden Anti-AKW-Aktivisten zum Präsidenten des Verbands der Energiewirtschaft.

Früher war er hier noch mit dabei: Sitzblockade in Gorleben. Bild: dpa

BERLIN taz | Er redet und redet, gestikuliert, charmiert mit Worten, will sein Gegenüber für sich und seine Position einnehmen – fast wie damals bei der Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg.

Vor dreißig Jahren im Büro der zärtlich „BI“ genannten größten deutschen Anti-AKW-Gruppe war der Widerstand gegen die ersten Atommülltransporte nach Gorleben Hannes Kempmanns Thema. Heute dagegen beschreibt der 60-jährige Energiemanager, der sich längst Johannes nennt, die Schwächen der Energiewende.

Seit Juni ist der einstige BI-Pressesprecher Präsident des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) – und vertritt für den Dachverband der Strom-, Gas- und Wasserbranche auch die Interessen der deutschen AKW-Betreiber. Zudem ist der diplomierte Stadtplaner Technischer Geschäftsführer der Städtischen Werke Magdeburg (SWM). Zuvor war er Grünen-Abgeordneter in Niedersachsen, Aufbauhelfer im Nordirak und Geschäftsführer der Energieagentur Sachsen-Anhalt.

Für den weiten Weg vom führenden Anti-AKW-Aktivisten zum Präsidenten der Energiebranche brauchte Kempmann drei Jahrzehnte. Dabei habe er sich persönlich verändert, „aber nie eine wirkliche energiepolitische Wende vollzogen“. Der Konflikt um die Atomenergie sei entschieden.

„Jetzt geht es um ihre Abwicklung,“ so der BDEW-Präsident. Einige AKWs seien bereits abgeschaltet, für die übrigen gebe es einen Stilllegungsfahrplan. „Der BDEW hat nach Fukushima einen tragfähigen Branchenkompromiss zum Ausstieg erreicht, dem sich dann auch die Betreiber der Atomkraftwerke angeschlossen haben.“

Der Weg ins Wendland

Kempmann wurde in München geboren, hat an der TU Berlin sein Ingenieursdiplom gemacht. Lüchow-Dannenberg lernte er als Auswärtiger bei Protestaktionen kennen – und ließ sich dort nieder. Von 1983 bis 1986 war er Pressesprecher und Vorstandsmitglied der BI. In diese Zeit fallen die ersten Transporte von schwachradioaktivem Müll – und der gescheiterte Versuch der niedersächsischen Regierung, bei Dragahn westlich von Dannenberg eine Wiederaufarbeitungsanlage anzusiedeln.

Gorleben sieht Kempmann auch heute als ungeeignet für die Endlagerung an. Der BDEW befasse sich mit dem Thema jedoch nicht, betont dessen Präsident. Dafür sei die Endlagerkommission des Bundestages zuständig. Aber Kempmann sagt auch: „Meine ganz persönliche Meinung ist: Die Geologie des Salzstocks hat sich in den letzten 30 Jahren nicht geändert und es gibt gute Gründe zu sagen, dass er nicht geeignet ist.“ Das Endlagersuchgesetz lobt der BDEW-Präsident: „Damit sind die Weichen gestellt, das Problem auf dem richtigen Weg anzugehen.“

1982 trat Kempmann den Grünen bei, war aber zunächst wenig aktiv. Sein Einzug in den Landtag in Hannover im Jahr 1986 sei vor allem auf seine BI-Arbeit zurückgegangen, sagt der BDEW-Präsident heute. Dort gab es damals zwei Fraktionen, wie sich die heute 90-jährige BI-Gründerin Marianne Fritzen erinnert. Und Kempmann war Wortführer des aktivistischen Flügels.

Vor der ersten Atommülllieferung nach Gorleben rief die BI zur Menschenkette auf. Einen Blockadeaufruf dagegen fürchtete man wegen juristischer Konsequenzen. Pressesprecher Kempmann bekannte sich dennoch zur „Wendlandblockade“, bei der erstmals die Straßen nach Gorleben abgeriegelt wurden. „Hannes ist ein charmantes Schlitzohr, er hatte schon immer seinen eigenen Kopf“, meint Fritzen heute rückblickend.

Zu BI-Zeiten verfolgte der BDEW-Präsident das Ziel, „den politischen Preis, den die Atommafia für die Einlagerung von Atommüll zahlen muss, so hoch wie möglich zu treiben“. Dazu wollte Kempmann „über einen möglichst langen Zeitraum Unruhe in der Region“ schaffen, wie er 1984 in einem Offenen Brief an Anti-AKW-Gruppen schrieb.

Ziel: „Unruhe schaffen“

„Unruhe entsteht durch verdeckte, nächtliche Aktionen, durch bewusste Regelverletzungen vieler Menschen und durch ganz legale Protestaktionen, wie es z. B. eine Menschenkette darstellt.“ Der heutige BI-Sprecher, Wolfgang Ehmke, hat seinen Vorgänger denn auch als „unglaublich mutig“ in Erinnerung. Allerdings habe Kempmann auch nie ein Hehl daraus gemacht, „dass er sich mit der BI-Pressearbeit bei den Grünen in Position bringen wollte“.

Mit deren Landtagsabgeordnetem habe man gut zusammengearbeitet – und Kempmann sei auch heute noch willkommen. „Auch ein BDEW-Präsident darf unserer Arbeit Respekt zollen. Er kann jederzeit wieder in die BI eintreten“, so Ehmke.

Als Abgeordneter suchte Kempmann aber auch die Verständigung mit den AKW-Betreibern. Die erste rot-grüne Regierung Niedersachsens verhandelte 1992/1993 mit Energiewirtschaft und Bundesumweltministerium über einen Ausstiegsfahrplan. Dafür wurde er in Partei und BI gescholten.

„Schon damals brachten wir zu Papier, was die rot-grüne Bundesregierung im Jahr 2000 als Energiekonsens realisierte“, so der BDEW-Präsident, „aber alle wollten den Sofortausstieg und fanden alles andere schlecht.“ Gute Politik bedeute eben auch, den richtigen Zeitpunkt zu erwischen.

Technische Integration als Ziel

Dann lernte der Landtagsabgeordnete Kempmann den irakischen Kurdenführer Massud Barsani kennen. 1994 schied er aus dem Parlament aus– und begann, für eine von ihm selbst mitgegründete Hilfsorganisation im Nordirak zu arbeiten. Mit Hilfsgeldern von EU, UNO und USA half er beim Aufbau von Dörfern, Schulen und Kliniken.

„Ich saß in den kurdischen Bergen und erhielt die Anfrage, ob ich nicht als Geschäftsführer der Energieagentur Sachsen-Anhalt nach Magdeburg gehen wolle“, erinnert sich der heutige BDEW-Präsident. Von der Energieagentur des damals rot-grün regierten Bundeslandes in die Geschäftsführung der Städtischen Werke Magdeburg war es für einen vormaligen Abgeordneten nur ein kleiner Schritt.

An die BDEW-Spitze habe man ihn aufgrund seiner 20-jährigen Erfahrung in der Energiewirtschaft gewählt, sagt Kempmann. Zudem habe der Verband wieder einen Präsidenten gesucht, „der von den unterschiedlichen Strömungen und Interessen der Energiewirtschaft eher unabhängig ist und bei der Konsensfindung helfen kann“. Der BDEW will die gesamte Branche vertreten, umwirbt mittlerweile auch die Erzeuger erneuerbarer Energien.

Deren technische Integration sei das große Ziel, sagt der BDEW-Präsident: „Darum ist es richtig zu sagen, der Verband ist offen für euch, und das ist er auch.“ Es gehe aber nicht um Vereinheitlichung der Verbändelandschaft. Niemand müsse für Mitarbeit im BDEW seinen bisherigen Verband verlassen.

In den Netzausbau investieren

Der neue Verbandschef formuliert auch Forderungen an die Erzeuger von Strom aus Wind. „Das Thema ’Produce and Forget‘ hat sich erledigt. Ich kann nicht mehr einfach einen Windpark bauen und erwarten, dass es 20 Jahre lang irgendwie Geld dafür gibt“, sagt er.

Immer mehr Erzeuger von Strom aus erneuerbaren Quellen verstünden, „dass es nicht mehr reicht, eine möglichst hohe EEG-Vergütung zu fordern“. Stattdessen müssten alle Stromerzeuger „gemeinsam Lösungen für die immensen Probleme entwickeln, die die fluktuierende Energie der Erneuerbaren in den Netzen bereitet“.

Beim Netzausbau“ sieht Kempmann denn auch „riesigen Handlungsbedarf. Binnen zehn Jahren seien 25 Milliarden Euro zu investieren, um die Netze für die Erneuerbaren fit zu machen – ansonsten werde die Energiewende scheitern. „Die Bundesnetzagentur darf nicht mehr das Ziel verfolgen, ausschließlich die Netzkosten zu senken“, verlangt der BDEW-Präsident.

Netzkosten sind nicht alles

Wegen der Einspeisung erneuerbaren Stroms müssten die Verteilnetze Pufferbatterien und regelbare Ortsnetz-Trafos erhalten. Auch das koste Geld. Kempmann fordert zudem umgehend eine gesetzliche Neuregelung für die Kraft-Wärme-Kopplung (KWK).

Die Anlagen, die zugleich Strom und Wärme erzeugen, seien zwar klimapolitisch erwünscht, rechneten sich wegen der gesunkenen Strompreise aber nicht mehr. Abschalten könne man KWK-Anlagen im Winter auch nicht, da man so vielen Haushalten gleichzeitig die Heizung abdrehen würde.

Anders als die grüne Partei sieht der BDEW-Präsident im neuen EEG-Gesetz „viele richtige Ansätze“. Dadurch werde an Land keine Windkraftanlage weniger gebaut. Man müsse mit den Einspeisevergütungen nach unten kommen. Den Grünen gehört Kempmann weiter als einfaches Mitglied an. „In der Energiepolitik bin ich nicht immer mit allem einverstanden, aber vieles andere bei den Grünen finde ich gut“, so der Exsprecher der BI.

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