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Karneval oder lieber keinerAuf St. Pauli nachmittags halb drei

Liegt es am Wind oder am norddeutsch-kühlen Kopf, dass die Corona-Inzidenz in Hamburg eher niedrig ist? Oder schlicht an der Abwesenheit von Karneval?

Kühles Wetter, kühler Kopf? Verkleiden kommt in Hamburg jedenfalls nicht in die Tüte Foto: Markus Scholz/dpa

D er lila Schal ist nix für dich, Georg-Ole, in Lila siehst du verkleidet aus, das bist einfach nicht du!“, sagt die Frau auf dem Flohmarkt zu ihrem Mann.

Die Tochter sagt: „Ich find, der Schal steht Papa, Lila macht ihn irgendwie cool!“

„Dein Papa muss nicht mehr cool sein, und bei aller Liebe, er ist auch kein Feminist!“

„Lass Papa doch Lila anziehen, wenn es ihm Spaß macht!“

Verkleiden? Haben Ham­bur­ge­r:in­nen nicht nötig!

„Aber wir sind hier doch nicht beim Karneval, Inken-Luise!“

Eine Frau mischt sich ein: „Wenn man sich verkleidet, glaubt man, keiner und niemand kann einem was, das war ja das allzu Abenteuerliche an der jüngsten Kölner Maskerade!

Ein Mann vom Stand nebenan ruft:„So isses, keiner und kein Virus!“

Eine Frau mit Elbsegler ruft: „Vielleicht liegt es am Wind, dass wir hier oben besser dastehen, wir haben schon von der Natur her immer einen klareren Döts!“

Eine Frau mit fein frisiertem grauen Haar sagt: „Wir Hamburgerinnen haben es nicht nötig, uns zu verkleiden, uns geht es auch so gut genug, und wir wissen uns zu benehmen, das sieht man ja nu’ an den Inzidenzen!“

„Das ist jetzt aber ’n bisschen viel Hamburger Arroganz“, sagt eine andere.

„Distanz und hanseatische Reserviertheit sind die Gesundheitselixiere der Stunde, wir wissen eben von Haus aus, wie es geht!“

Ein Mann zieht seine verrutschte Maske ordentlich zurück über die Nase, ballt die Faust und ruft:

„Stimmt, jemand muss den Jecken da unten mal erklären, dass nun aber mal fix Schluss mit lustig sein muss!“

„Ein Jeck ist etymologisch gesehen schon auch ein Irrer!“

„Meint ihr, die Kölner fühlen sich uns genauso überlegen wie wir uns ihnen?!“

„Nee, dazu sind die meist viel zu besoffen und ganzjährig zu übertrieben gut drauf!“

„Eben, die haben das nämlich gar nicht nötig, sich besserwisserisch zu wichtig zu nehmen“, sagt ein junger Typ.

Lokalpatriotismus in der Krise gefragt

„Na, ein bisschen mehr Lokalpatriotismus wär’ schön in diesen harten Zeiten, mein Junge!“, sagt der Mann mit der Faust.

„So ein Mumpitz, als würd’ der was nützen!“

„Was kann uns jetzt noch nützen?“

„Der ausufernde Mummenschanz da unten sicher nicht!“

„Das muntere Volk in Köln weiß wenigstens noch zu leben!“

„Das isses ja, es geht grad um Leben und Tod!“

„Daran kann man doch nicht unentwegt denken!“

„Sollte man aber in diesen Zeiten!“

„Kommen ja auch wieder bessere.“

„Wer’s glaubt!“

„Heiter weiter ist jetzt sicher nicht die Lösung.“

„’ne fröhliche Psyche ist aber gut fürs Immunsystem!“

„Bei so einer Eso-Einstellung freut sich uns Virus!“

„Kontrollverlust ist nicht das beste Motto der Stunde!“

„Es gibt nichts Gutes, außer man lässt es!“

„Das Verkleiden sollte man derzeit unter allen Umständen lassen, denn davon wird man wahnwitzig und ist gar nicht mehr man selbst!“

„Verkleidet fühlt man sich wie unsichtbar.“

„Unsichtbar wie das Virus!“

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Jasmin Ramadan
Jasmin Ramadan ist Schriftstellerin in Hamburg. Ihr neuer Roman Roman „Auf Wiedersehen“ ist im April 2023 im Weissbooks Verlag erschienen. 2020 war sie für den Bachmann-Preis nominiert. In der taz verdichtet sie im Zwei-Wochen-Takt tatsächlich Erlebtes literarisch.
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