Karneval der Kulturen: Viel mehr als nur Narren
Karneval kehrt die Machtverhältnisse um – als närrische Auszeit. Der Karneval der Kulturen muss mehr sein als das. Spaß machen darf er aber trotzdem.
Das Volk übernimmt die Macht, also diejenigen, die sonst nicht viel zu bestimmen haben: Das ist die Grundidee des Karnevals, wie er jedenfalls in Deutschland gefeiert wird. Dass die neuen HerrInnen, wenn ihnen die Rathausschlüssel übergeben werden, dabei mit Schellenmützen und bunten Phantasieuniformen als Närrinnen und Narren gekennzeichnet sind, dass die umgekehrten Verhältnisse „närrische Tage“ genannt werden, impliziert dabei aber sogleich, dass alles nur ein großer Witz ist, eine Auszeit: die Machtverhältnisse bleiben gleich.
Übertrüge man diese Idee eins zu eins auf Berlins Karneval der Kulturen (KdK), der vor 20 Jahren als Reaktion auf rassistische Gewalt gegründet wurde, müssten die TeilnehmerInnen ihn boykottieren. Doch in manchem passt das Bild durchaus: Auch bei dem Multikulti-Fest ging und geht es darum, denen eine Bühne zu bieten, die sonst wenig gehört werden. Das sollte allerdings keine Narrheit sein und nicht nur zu einem Kater, sondern zu gesellschaftlichen und politischen Veränderungen führen.
Den Kater haben die KulturkarnevalistInnen in den vergangenen Jahren hinter sich gebracht, als der KdK manches Mal vor dem Aus stand. Zunehmend hatten gerade langjährige Teilnehmergruppen die Lust verloren, sich einem Spektakel aufzuopfern, dass keinen politischen Sinn mehr zu haben schien.
Zumindest in dem Punkt haben sich die scheinbar Machtlosen in diesem Jahr tatsächlich Gehör verschafft. Der Karneval hat nun einen aus TeilnehmerInnen bestehenden Beirat, es gibt endlich Übungs- und Lagerhallen für die Umzugsgruppen und einen Träger, der sich mit der Grundidee der Multikulti-Veranstaltung selber identifiziert.
Damit ist es Berlins Multikulti-KarnevalistInnen tatsächlich gelungen, Machtverhältnisse zu ändern. Das ist gut. Ob damit auch die fortgeschrittene Kommerzialisierung des und das vielstimmige Gemecker über den Karneval gestoppt werden können, wird die Zukunft zeigen. Aber mal ganz ehrlich: Ist doch eigentlich auch egal.
Denn: Begreift man das Volksfest als Bühne all derjenigen, die mehr Partizipation an dieser Gesellschaft wollen, dann muss man auch ihre Entscheidung akzeptieren, wie sie sich auf dieser Bühne präsentieren möchten.
Dass VertreterInnen eines postkolonialen Diskurses mit hochpolitischen Performances auf dem Umzug entgeistert auf Trachten tragende Folkloregruppen schauen, die wiederum den hybriden Transkulturellen sprachlos gegenüberstehen – genau das bildet die Spannweite und Bandbreite des gesellschaftsgestaltenden Diskurses in Deutschland doch ab. Und warum sollte es nicht möglich sein, privat serbische Volkstänze zu tanzen und ansonsten über die Karriere des Begriffs „People of Colour“ zu promovieren?
Und mal ganz abgesehen davon: Karneval, die Zeit der Narren, ist eben einfach auch eins – ein großer Spaß. Kürzlich erzählten in dieser Zeitung vier syrische Flüchtlinge, die in Berlin arabischsprachiges Radio machen, dass sie in ihre allererste Sendung eine Live-Band eingeladen hatten: Die Leute sollten sich bei allem Stress einfach auch mal ein bisschen Spaß haben, entspannen können, lautete die Erklärung. Genau.
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