Karlsruhe entscheidet über Regelsatz: Vorsorge für Hartz-IV-Urteil

Viele Hartz-IV-Empfänger fordern derzeit die Jobcenter auf, ihre Bescheide zu überprüfen. Sie hoffen auf Nachzahlungen durch ein Urteil des Verfassungsgerichts am Dienstag.

Viele Arbeitslosengeld-II-Empfänger hoffen auf eine rückwirkende Erhöhung ihrer Bezüge. Bild: dpa

Am Dienstag entscheidet das Bundesverfassungsgericht darüber, ob die Höhe des Hartz-IV-Regelsatzes mit dem Grundgesetz übereinstimmt. Erwerbslosenvereine und Sozialinitiativen rufen jetzt Hartz-IV-Empfänger dazu auf, bei den Jobcentern ihre Bescheide überprüfen zu lassen. Sie hoffen darauf, dass das Bundesverfassungsgericht entscheidet, dass der Regelsatz zu niedrig ist, und dass sie dann rückwirkend Nachzahlungen bekommen. Ob diese Hoffnungen berechtigt sind, könnte die Auslegung einer Sonderregel entscheiden.

"Die Überprüfungsanträge sind das einzige Mittel, rückwirkende Ausgleichszahlungen zu bekommen, sollten die Verfassungsrichter entscheiden, dass der Regelsatz zu niedrig ist", sagte Brigitte Vallenthin von der Hartz-IV-Plattform. Im Internet, mit Presseerklärungen und mit einer Ausstellung zum Countdown bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts hatte die Initiative für die Überprüfungsanträge geworben. Laut Vallenthin hat die Initiative viele Betroffene erreicht: "Das Schneeballsystem hat auf jeden Fall eingesetzt, Sozialanwälte verteilen die Anträge und die Besucherzahl auf unserer Homepage hat sich verdreifacht."

Bei der Bundesagentur für Arbeit (BA) hat man ebenfalls gemerkt, dass immer mehr Überprüfungsanträge eingehen, und Ende Dezember eine interne Weisung rausgegeben, diese abzulehnen. Selbst wenn Karlsruhe entscheiden sollte, dass der Regelsatz zu niedrig berechnet ist, rechnet die Bundesagentur nicht damit, dass es rückwirkende Nachzahlungen geben wird. "Es gibt ein geltendes Gesetz, nach dem wir handeln. Wenn das Urteil auf Grundlage des Grundgesetzes lautet, dass der Regelsatz neu berechnet werden muss, wird das erst ab Urteilsspruch gelten - nicht rückwirkend", sagte BA-Sprecherin Adriana Galunic. Einzig die Politik könne entscheiden, ob es rückwirkende Nachzahlungen geben wird. "Das würde dann für alle gelten und automatisch durchgeführt, nicht auf Basis von Überprüfungsanträgen", erläuterte Galunic.

Dieses geltende Gesetz, auf das sich die BA bezieht, ist eine Sonderregelung. Sie verfügt, dass ein Verwaltungsakt, wenn er für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt wird, nur für die Zeit nach dem Urteilsspruch aufgehoben werden kann, nicht aber rückwirkend.

Soll heißen: Rückwirkende Nachzahlungen sind nicht möglich, selbst wenn das Verfassungsgericht entscheidet, dass der Hartz-IV-Regelsatz zu niedrig berechnet ist.

Den Erwerbslosenvereinen ist diese Sonderregel durchaus bekannt. Sie setzen aber auf ein Urteil des Bundessozialgerichts von 2007, das ebendiesen Paragrafen kritisierte. Er diene ausschließlich den Interessen der Arbeitsagentur und solle diese von einer "massenhaft rückwirkenden Korrektur von Verwaltungsakten" entlasten, so das Gericht.

"Viele Sozialrechtsanwälte kennen dieses Urteil nicht und die Arbeitsagentur will es nicht wahrhaben, weil sie Panik vor Nachzahlungen hat", sagte ein Sprecher des Vereins ARCA Soziales Netzwerk aus Eschwege. Für ihn sei das Urteil des Bundessozialgerichts ein Beweis dafür, dass sich Behörden nicht gegen Fehler schützen könnten, auch nicht mit Sonderregelungen.

Marcus Howe, Richter am Sozialgericht Berlin, weist darauf hin, dass das Bundessozialgericht die Sonderregelung nur in diesem einen Fall anders ausgelegt hat. "Dass dies übertragbar ist, halte ich für fragwürdig", sagte Howe.

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