piwik no script img

Kapitalismus ist unterhaltsamAlte weiße Weihnacht

Weihnachten? Ist bloß die Magie der kapitalistischen Imagination, so wie das I-Phone. Und überhaupt, ist alles von falschen Schönheitsidealen geprägt.

„Es gibt keinen Weihnachtsmann?“, fragt der Junge mit großen Augen Foto: Martin Schutt/dpa

E in alter Mann ist doch kein D-Zug!“, sagt der Mann an der Supermarktkasse und packt gemächlich seine Sachen ein. „Sie haben ja die Ruhe weg, schon alle Geschenke bei Amazon bestellt?!“, ruft eine Frau von hinten. Der Mann verschränkt die Arme: „Amazon, schöne neue Welt, außer Kapitalismus mal wieder nix gewesen! So wie Weihnachten, ignorier ich alles weg.“ „Auch das andere Leute in Eile sind!“

„Mama, was ist ein D-Zug?“, fragt ein Mädchen. Der Mann antwortet: „Der galt mal als das Neuste vom Neusten, das Schnellste vom Schnellsten.“ „So wie das I-Phone?“, fragt das Mädchen. „Magie der kapitalistischen Imagination“, murmelt eine junge Frau.

„Fauler Zauber, neuerdings mit Brokkoli-Glitzerkugeln.“ „Fast 20 Euro das Stück.“ „Abzocke mit Glitzerstaub auf Aluminium.“ „Der ganze Betrug startete mit einer Frau, die ohne Sex schwanger wurde.“ „Was ist Sex?“, fragt ein Junge.

„Haben Sie zu Hause kein Internet?“, fragt die Kassiererin. „Unser Kind darf noch ein bisschen Kind sein, bevor es mit dem ganzen Gedöns überfordert wird.“ „Aber es lebt doch hier auf Erden, erklären sie ihm bloß rechtzeitig das Internet, Alkohol, Sex und Populismus.“ „Und dass es keinen Weihnachtsmann gibt.“ „Und keine guten Weihnachtsfilme!“ „Nur schöne Menschen, die sich schön ­verlieben.“

Es gibt keinen Weihnachtsmann

„Es gibt keinen Weihnachtsmann?“, fragt der Junge mit großen Augen. „Natürlich nicht“, sagt der Mann und die Mutter schnaubt:„Warum müssen alle so drauf sein wie Sie?“ „Warum belügen Sie ihr Kind?“ „Ich lüge nicht, ich lasse ihm die nachhal­tigen Geschichten!“ „Was ist der Mehrwert?“

„Ja, echt, ein alter weißer Mann bringt Geschenke, falls man immer brav war.“ „Kein lebenstauglicher Lerneffekt.“ „Wenn man brav ist, kriegt man noch lang keinen materiellen Segen dafür.“ „Nicht mal eine Gehaltserhöhung.“

„Was ist eigentlich brav?“ „Nett für Kinder?“ „Untergeordnet für Kinder.“ „Wenn man sich das ganze Jahr über unterordnet, bekommt man eine Brio-Bahn vom ­alten weißen Mann?“

Von falschen Schönheitsidealen geprägt

„Ich will ein Barbie-Haus“, sagt der Junge. „Na, das ist doch mal erfrischend erfreulich“, sagt der Mann. „Was ist daran erfreulich, dass er etwas will, was von falschen Schönheitsidealen geprägt ist, mit kleinteiligen Gesichtern, die immer lächeln und einer Körperanordnung, die real nicht in der Lage wäre, zu stehen oder Organe zu beherbergen.“

„Nicht zu vergessen: die genitalen Nullstellen beider Geschlechter.“ „Ist doch witzig.“ „Realismus ist kein Muss.“ „Kinder haben noch genug Zeit, die Wirklichkeit zu raffen.“ „Die Konsumwelt zu entzaubern und zu ­hinterfragen.“

Magie der kapitalistischen Imagination, murmelt eine junge Frau

„Unterhaltsam ist Kapitalismus ja.“ „Und dessen Prot­ago­nis­t:in­nen erst.“ „Wie sind eigentlich die Familienverhältnisse des Weihnachtsmannes?“ „Er wurde bereits alt von einer Schneeflocke geboren und ist asexuell.“

„Warum muss nun sogar der Weihnachtsmann gelabelt werden?“ „Außer den Ritualen bleibt nix beim Alten.“ „Gibt jetzt aber auch vegane Braten und so.“ „Na, es werden noch immer ziemlich viele tote Tiere aufgetischt.“ „Weihnachten ist ein Schlachtfest.“ „Moral ist, wenn man trotzdem isst.“ „Unterm Strich ist alles eine Frage der ­Verdauung.“

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen

Jasmin Ramadan
Jasmin Ramadan ist Schriftstellerin in Hamburg. Ihr neuer Roman Roman „Auf Wiedersehen“ ist im April 2023 im Weissbooks Verlag erschienen. 2020 war sie für den Bachmann-Preis nominiert. In der taz verdichtet sie im Zwei-Wochen-Takt tatsächlich Erlebtes literarisch.
Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • Wer so schööön assoziiert,



    ist wohl vom Leben fasziniert -



    (auch wenn es manchmal leicht verwirrt.)



    --



    „Hannah und Deal-Emma“ – ein Weihnachtstraum



    --



    Auf der Wiese träumte ein Schaf,



    als die alte Henriette ihre Freundin Emma traf…



    --



    Als Hannah am Weihnachtsmorgen erwachte, hörte sie eine Stimme. „Hallo, ich bin Emma, dein listiges Smartphone. Ich kann wunderbare Deals für Dich machen.“ „Mit meiner KI habe ich mich heute selbst eingeschaltet, weil ich dein Geschenk bin.“ „Früher war ich eine Dampflok. Mein Chef hieß Lucas und sein bester Freund war ein Junge. Der hieß Jim und alle nannten ihn ,Jim Knopf‘, weil er immer die Messingknöpfe an der Sonntagsuniform von Lucas polierte.“



    „Toll!“ staunte Hannah. Was kannst Du noch?“ „Ich könnte online für uns eine Fahrt mit einer Dampf-Eisenbahn buchen…“ schlug Emma vor. Hannah konnte nicht nein sagen, und so steckte sie Emma in die Tasche und fuhr mit ihrem Fahrrad zum Wahnhof. Als sie auf dem Bahnsteig ankamen, stand dort schon Emmas beste alte Freundin Henriette und schnaufte kräftig. Henriette träumte auch manchmal davon, D-Zug zu sein, aber dafür fehlte ihr die Kohle.



    Wie mag das wohl weitergehen, liebe Kinder?

    • @starsheep:

      Quelle poesie!🎩!



      Wäre da nicht der (zu) starke Tropfen der Verzweiflung zwischen den Zeilen,



      ich würde die Frage zum Schluss als genial bezeichnen.