Kanzlerkandidaten der SPD: Sie lieben ihren Nächsten
Offiziell reden Sigmar Gabriel, Frank-Walter Steinmeier und Peer Steinbrück über "Europa in der Krise". Tatsächlich geht es aber darum, wer der beste Kanzler wäre.
Es geht hier nicht um so etwas Profanes wie die Macht in der SPD, daran wollen sie keinen Zweifel lassen. Es geht um die Zukunft des Projekts Europa. Fast eine Stunde lang reden Sigmar Gabriel, Frank-Walter Steinmeier und Peer Steinbrück über die Geschichte Europas, die Ursachen der Währungskrise und die Details von Umschuldungs- und Refinanzierungsplänen. Die Mienen sind so ernst wie die Lage, Sachlichkeit ist oberstes Gebot.
Dann endlich kommt das Thema auch offiziell zur Sprache, das die Massen von Fotografen, Fernsehteams und Korrespondenten in die Bundespressekonferenz gelockt hat: Der erste gemeinsame Auftritt der drei potenziellen SPD-Kanzlerkandidaten. "Sonst hätten Sie ja sofort gefragt, warum einer von uns nicht dabei ist", antwortet Gabriel offen auf die Frage, warum sie zu dritt auf dem Podium sitzen.
Die Anwesenheit von Peer Steinbrück, der formal einfacher SPD-Abgeordneter ohne Amt in Partei oder Fraktion ist, erklärt Gabriel damit, dass dieser in der Bevölkerung "höchstes Vertrauen" genieße und in der Vergangenheit bewiesen habe, dass er "Krisen handeln" könne.
An dieser Stelle muss Steinbrück, der ansonsten seinen typischen Gesichtsausdruck mit zusammengekniffenen Lippen präsentiert, zum ersten Mal lächeln. Denn sein zentraler Nachteil beim Kampf um die Kanzlerkandidatur ist bisher der fehlende Rückhalt in der Partei. Nachdem er sich selbst als Kandidat ins Gespräch gebracht hatte, waren die Reaktionen aus der Führung eher verärgert. Wenn er nun vom Vorsitzenden nicht nur eingebunden, sondern öffentlich geadelt wird, kann er das als klaren Punktsieg verbuchen.
Auch sonst verläuft die Veranstaltung in Steinbrücks Sinn: Er bekommt die meisten Fragen gestellt, hat die meiste Redezeit, stahlt die meiste Fachkenntnis aus. Und er spielt erfolgreich mit seinem Image als der bessere Krisenmanager, erinnert an die Zeit als "Frau Merkel und ich" noch mutige Politik machten.
Kanzlercasting vor der Hauptstadtpresse
Doch auch die beiden anderen Kandidaten bemühen sich beim öffentlichen Casting vor der Hauptstadtpresse, ihre Stärken zu betonen und ihre Defizite zu widerlegen. Gabriel, der vor allem wegen seines unseriösen Image als wenig chancenreich gilt, gibt den verantwortungsvollen Staatsmann: Er legt die Stirn in tiefe Sorgenfalten, beklagt den Mangel an Mut zu unpopulären Entscheidungen und bietet der Kanzlerin großzügig die Zusammenarbeit an. "Innenpolitischer Streit darf die europäische Zukunft nicht gefährden", sagt Gabriel, der sonst keinen innenpolitischen Streit auslässt.
Steinmeier wiederum verstärkt sein Bild als der seriöse Vermittler, der - gerade im Gegensatz zum oft grimmigen Steinbrück und polternden Gabriel - für eine verbindliche und freundliche Lösungsorientierung steht. Inhaltlich punkten kann er am Montag nicht wirklich, doch zur Sorge besteht für ihn kein Anlass: Denn er weiß, dass er in Umfragen mit Steinbrück etwa gleichauf liegt - und weit vor Gabriel. Wenn er nichts falsch macht, könnte es darum trotzdem auf ihn zulaufen, weil er in der Partei den stärkeren Rückhalt hat.
Auf gegenseitige Angriffe verzichten die drei Kandidaten im Saal der Bundespressekonferenz völlig.
Im Gegenteil: In fast jedem Statement finden sich lobende Worte für die beiden anderen. In ihrem Versuch, trotz bestehender Unterschiede Einigkeit zu verbreiten, erinnern sie dabei ein wenig an eine andere SPD-Troika: 1994 kämpften Rudolf Scharping, Oskar Lafontaine und Gerhard Schröder gemeinsam und gegeneinander um die Macht im Land.
Kanzler blieb damals übrigens ein gewisser Helmut Kohl.
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