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Kanzler entdeckt sein Herz für Globalisierungskritiker

Auf einem SPD-Wirtschaftsforum findet Schröder warme Worte für Demonstranten. Den Protest als Modeerscheinung abzutun wäre „töricht“

BERLIN taz ■ Nach den Grünen hat jetzt auch Gerhard Schröder die Globalisierungskritiker entdeckt. Auf einem Wirtschaftsforum der SPD in Berlin fand der Bundeskanzler reichlich freundliche Worte für den friedlichen Protest von Göteborg bis Genua und zeigte sich offen für eine Diskussion über die so genannte Tobin-Steuer. Die rituelle Ablehnung von Gewalt trat diesmal in den Hintergrund seiner Rede.

Stattdessen porträtierte Schröder die Demonstranten als „engagierte Jugendliche, die nicht nachlassen, uns zu ermahnen, dass auch wirtschaftliche Entwicklung in großen Dimensionen einen sozialen und ökologischen Sinn haben muss“.

Die Protestbewegung gegen die Auswüchse der Globalisierung erfährt damit eine Anerkennung durch die offizielle Politik, wie sie noch bei den ersten gewalttätigen Zusammenstößen am Rand des WTO-Treffens von Seattle 1999 kaum möglich schien. Auch die Grünen waren erst vor kurzem nach der wiederholten Kritik des Ex-Studentenführers Daniel Cohn-Bendit hin aus ihrer Gleichgültigkeit gegenüber der Globalisierungskritik erwacht. Beim SPD-Chef und angehenden Wahlkämpfer Schröder mag dabei die Einsicht eine Rolle gespielt haben, dass die Furcht vor der Globalisierung auch das Kernmilieu der Sozialdemokraten erreicht hat. „Seit einiger Zeit bemerken wir eine Unruhe, eine Sorge bei vielen Menschen, die uns nicht gleichgültig lässt“, sagte Schröder gestern.

Die Proteste als „Modeerscheinung“ von einigen „Uneinsichtigen“ abzutun wäre „töricht“, meinte der Bundeskanzler. „Die vielen Aktiven zum Beispiel aus kirchlichen Gruppen oder Dritte-Welt-Initiativen, die eine unkontrollierte Herrschaft der internationalen Finanzmärkte und Großkonzerne befürchten und für globale Gerechtigkeit und Solidarität eintreten – das sind ja keineswegs nur Spinner.“ Auch die Kritiker wüssten aber, dass sich die Globalisierung nicht aufhalten lasse. In Anlehnung an den lang geschmähten Exfinanzminister Oskar Lafontaine plädierte Schröder für „mehr Politik“, um die globalen Veränderungen demokratisch zu gestalten. Der Kanzler pries Europa als Modell, um einen Ausgleich zwischen Wirtschaft, Ökologie und sozialer Gerechtigkeit zu erzielen. Zur verstärkten Zusammenarbeit der Europäer „gehört auch die gemeinsame Diskussion darüber, wie wir mit bestimmten Entwicklungen im grenzüberschreitenden Kapitalverkehr umgehen wollen“.

Es folgte Schröders bisher deutlichste Unterstützung der Tobin-Steuer auf internationale Finanztransaktionen, benannt nach dem Wirtschaftsnobelpreisträger Tobin. Er wisse um die Einwände gegen die Tobin-Steuer, sagte Schröder, „aber wir wissen auch um Schwachstellen im Weltfinanzsystem“. Deshalb wünsche er sich eine Diskussion: „Mag auch die eingängige Formel ‚Spekulation finanziert Entwicklung‘ zu kurz greifen, so möchte ich mit unseren europäischen Partnern sehr wohl darüber reden, wie wir auf die relative Verselbständigung spekulativer Finanzströme reagieren wollen. Und da ist die Tobin-Steuer ein Instrument – aber eben nur eines.“ PATRIK SCHWARZ

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