Kandidaten-Check: „Verschratung in der SPD"
Gespräch mit Wolfgang Wieland (Grüne) über die politische Lage in Berlin nach der Rücktrittserklärung des Regiererenden Wowereit.
taz: Herr Wieland, nach SPD-Fraktionschef Raed Saleh und Parteichef Jan Stöß hat nun Stadtentwicklungssenator Michael Müller seinen Hut für die Wowereit-Nachfolge in den Ring geworfen. Hat Sie das überrascht?
Wolfgang Wieland: Das hatte sich angedeutet. Für Müller ist es ja auch die letzte Chance, wenn er noch eine größere Rolle in der Berliner Politik spielen will.
Machen wir einen Kandidaten-check. Was sagen Sie zu Saleh?
Das wäre eine hollywoodreife Karriere: vom Flüchtlingslager über die Frittenbude auf den Stuhl des Regierenden Bürgermeisters. Die Frage ist, ob die Bevölkerung einen Bürgermeister akzeptiert, dessen Aussprache bisweilen etwas eigenartig ist. Das Gegenargument wäre Schwarzenegger. Er hat es mit seinem deutschen Akzent auch zum Gouverneur von Kalifornien gebracht.
Kaum jemand kennt die Berliner Landespolitik so wie der 66-jährige Grüne Wolfgang Wieland. Er saß von 1987 bis 2004 im Abgeordnetenhaus und stürzte 2001 mit SPD und PDS die Große Koalition. Im rot-grünen Übergangssenat war er Justizsenator, musste den Posten aber nach einem halben Jahr räumen, weil die SPD mit der PDS koalierte. Von 2005 bis 2013 saß der Innenpolitiker im Bundestag. Dort war er auch Mitglied im NSU-Untersuchungsausschuss.
Wie sehen Sie Stöß?
Diesen Typus hatten hatten wir im Wesentlichen schon: Jurist, offen schwul, aber ohne Hüftschwung wie Wowereit und deutlich weniger farbig.
Und Müller?
Wowereits Schildknappe. Ein braver, grundsolider Arbeiter. Müller hat uns Grüne jedes Mal an Wowereits Seite abserviert.
Das tragen Sie ihm nach?
Ja. Wir Berliner Grüne haben in 30 Jahren parlamentarischer Existenz lediglich zweieinhalb Jahre Regierungstätigkeit vorzuweisen. Wowereit hat dreimal Koalitionsverhandlungen mit uns platzen lassen, größtenteils unter Vorwänden. Wir weinen ihm keine Träne nach und werfen seinen potenziellen Nachfolgern auch vor, dass ihr Hauptmanko ihre Wowereit-Hörigkeit ist.
Was für politische Unterschiede sehen Sie bei Saleh, Stöß und Müller?
Das Problem bei den Kandidaten der SPD war schon immer, dass sie sich nicht hart gegeneinander abgrenzen. Man kann sich doch nicht nach dem Motto der SPD – „Wir schreiten Seit an Seit“ – hinstellen und sagen: Nun guckt mal, wer der Schönste von uns dreien ist.
Welchem Kandidaten trauen Sie am ehesten ein rot-grünes Regierungsbündnis zu?
Da sehe ich keinen Unterschied. Wenn die Wahlergebnisse entsprechend sind, werden alle drei bereit sein, ein rot-grünes Bündnis einzugehen. So ist es inzwischen ja in vielen Bundesländern. Diese Wowereit’sche Urangst vor den Grünen war ja schon fast pathologisch.
Wie fanden Sie Wowereits Abschiedsvorstellung letzten Dienstag im Roten Rathaus?
Das war mal wieder richtiges Wowereit-Theater. Sonnyboymäßig. Die Hauptbotschaft: Mir geht’s gut. Und mit dem Flughafen, das war nun leider ein Malheur. Dass der Rücktritt zwei Jahre zu spät kommt, kann er nicht wiedergutmachen. Und dass er nicht sofort geht, sondern sich noch eine Frist bis Dezember nimmt, ist auch wieder so eine Wowereit-Frechheit. Dass sich ein SPD-Landesvorstand das gefallen lässt und nicht sagt: Mein Lieber, du gehst sofort, wir klären die Nachfolgefrage innerhalb weniger Tage – das zeigt, wie weit der Verschratungsprozess in der SPD in 15 Jahren Wowereit fortgeschritten ist.
Die Genossen können sich offenbar nicht so schnell auf einen Kandidaten verständigen.
Meine Güte! 2001 haben sich Wowereit und Strieder auch geeinigt, wer als Regierender Bürgermeister antritt. Es wird Wowereits Verdienst bleiben, dass er den Sprung gewagt hat und zusammen mit uns Grünen und der PDS Eberhard Diepgen und den in die Bankenaffäre verstrickten CDU-Senat gestürzt hat. Dazu waren Momper, Böger und wie sie alle heißen nicht in der Lage.
Wowereit war damals SPD-Fraktionsvorsitzender, und Peter Strieder war Parteichef und Stadtentwicklungssenator.
Die haben sich geeinigt. Woanders geht das auch. Immer wenn die SPD eine Troika bildet – in diesem Fall ist es ja ein Trio –, muss man Hilfe rufen.
Sie spielen auf die Bundespolitik an.
Man weiß, wie das bei Scharping, Schröder, Lafontaine ausgegangen ist. Immer wenn die SPD eine Mitgliederbefragung macht, ist der Gewinner der Verlierer der nächsten Wahl. Scharping wurde bei der Mitgliederbefragung Spitzenkandidat. Bei der Bundestagswahl hatte er gegen Kohl keine Chance. Auch in Berlin war das so. Wer auch immer aus den Mitgliederbefragungen als Gewinner hervorging – Ingrid Stahmer, Klaus Böger oder Walter Momper –, war bei den Wahlen der Verlierer gegen Eberhard Diepgen.
Was wäre die sauberste Lösung?
Es gibt jetzt keine gute Lösung mehr. Es treten drei an, die es nicht geschafft haben, aus dem Schatten Wowereits herauszukommen. Die es nicht geschafft haben, ihn beizeiten zum Rücktritt zu drängen. Und er selbst macht sich darüber lustig, dass sie es nicht geschafft haben.
Grüne und Linke fordern Neuwahlen.
Das tue ich auch. Aber wir können sie nicht erzwingen, weil die CDU nicht mitmacht. Das wäre ja mal ein Bild: Grüne, Linkspartei, Piraten und Innensenator Henkel katapultieren die SPD aus dem Senat. Aber Franki springt nicht. Das ist völlig illusorisch.
Die Grünen sind mit Renate Künast bei den Wahlen 2011 ziemlich auf die Schnauze gefallen. Gibt es in der Partei eine Person, die im Wahlkampf punkten könnte?
Mein Job ist es nicht, wie bei einer Casting-Show den Dieter Bohlen zu spielen.
Sind Sie zufrieden mit der Performance der Berliner Grünen?
Ich war völlig unzufrieden mit dem letzten Wahlkampf. Das war eine Katastrophe. Für den nächsten Wahlkampf wird man daraus lernen. Man wird aufs Team und auf Themen setzen und nicht mehr mit einer Person allein agieren, auch wenn man eine Spitzenkandidatin aussucht.
Was sagen Sie zum Zustand der CDU?
Justizsenator Heilmann geht in den Machtkampf gegen Finanzsenator Nußbaum, wird von Wowereit wie ein Schuljunge vorgeführt und geschurigelt. Wirtschaftssenatorin Yzer vergrault einen Manager nach dem anderen. Innensenator Henkel nimmt Anlauf, den Oranienplatz zu räumen, und verkuscht sich dann wie ein Mäuschen ins Loch.
Zum Glück hat sich Henkel im Senat nicht durchgesetzt.
Natürlich. Ich finde die verkündeten Pläne der CDU wahrhaft nicht gut. Aber die Senatoren setzen sie alle nicht um. Sie kommen jedes Mal geschrumpft aus den Senatssitzungen raus. Mit so einem Personal kann eine Partei doch nicht den Führungsanspruch in Berlin erheben.
Der Zuchtmeister Wowereit geht ja nun. Wagen Sie mal eine Prognose: Wer von den drei SPDlern wird’s?
Mein Bauchgefühl sagt mir Michael Müller. Weil man bei Müller weiß, der kann’s. Er bekommt eine Senatsverwaltung in den Griff und wird auch eine Senatskanzlei in den Griff kriegen. Seine Strahlkraft ist deutlich verbesserungsbedürftig, das weiß er aber selbst.
Sie haben Wowereit 2001 in den Sattel des Bürgermeisters geholfen. Auch er soll anfangs blass gewesen sein. Stimmt das?
Er brauchte keine lange Anlaufphase, als er im Juni 2001 mit dem Misstrauensvotum ins Amt gekommen ist. Die Neuwahlen waren schon im Oktober. Er musste sich nicht lange reinfummeln. Nein. Er war von der ersten Minute an der Regierende Partymeister. Er ist von der ersten Minute an auf der Welle gesurft, die er ja nicht ausgelöst hat: Berlin jung. Berlin hipp. Berlin kreativ. Auf der Welle ist er so lange geritten, bis hier irgendwann die Infrastruktur zusammenbrach und die Bürger gemerkt haben: Ungewöhnlich viel funktioniert in dieser Stadt nicht.
Was meinen Sie?
S-Bahn-Krise, Holyday on Ice. Das hätte ihm ja schon damals fast das Genick gebrochen, dass die Eisbeseitigung nicht klappte und die Bahn nicht mehr fuhr. Wir Grünen haben ihm im Grunde genommen mit Renate Künast und einem miserablen Wahlkampf noch ein paar weitere Jahre geschenkt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen