Kandidat über OB-Wahl in Hannover: „Ich bin keine Kandidatin“
Belit Onay will Oberbürgermeister in Hannover werden. Der Grüne erzählt von seinem Matheabitur, autofreien Städten und Gendertrouble in seiner Partei.
Herr Onay, Sie wollen im Herbst bei vorgezogenen Wahlen Oberbürgermeister von Hannover werden, nachdem der bisherige OB und SPD-Mann Stefan Schostok wegen zu viel gezahlter Gehälter zurückgetreten war. Wie gut waren Sie früher in Mathe?
Belit Onay: Mathe war mein Abi-Prüfungsfach, das Ergebnis war nicht so schlecht. An die Note erinnere ich mich aber leider nicht mehr.
Sie werden, falls Sie Oberbürgermeister werden, also sauber rechnen.
Das Problem mit den illegalen Mehrzahlungen im Rathaus ist nicht der Rechenfehler einer einzigen Person, sondern eine Frage von Good Governance, also von gutem Verwaltungshandeln. Da muss es bessere Kontroll- und Sicherheitsmaßnahmen geben, die transparent und für alle nachvollziehbar sind.
Die Grünen haben bei der Europawahl mit mehr als 31 Prozent der Stimmen CDU und SPD in Hannover weit hinter sich gelassen. Nun ist eine EU-Wahl keine örtliche OB-Wahl. Wie wollen Sie die Wählerinnen und Wähler bis Herbst bei der Stange halten?
Der hohe Zuspruch der Bevölkerung bei der EU-Wahl ist ein wichtiges Signal für uns sowie für unsere Themen. Das Ergebnis zeigt deutlich, was die Menschen in Hannover bewegt: Klimaschutz, Verkehrswende, eine solidarische, soziale, weltoffene Gesellschaft.
Mit welchen Themen wollen Sie insbesondere punkten?
Die globale Klimakrise haben wir kommunal mitzuverantworten. Und da müssen wir ansetzen. Ein Beispiel aus Verkehrspolitik in der Stadt: Wir müssen schauen, wie wir schnell mehr Platz für Fußgänger und Radfahrer hinbekommen. Für die Region Hannover heißt das: ein noch besserer ÖPNV.
Zugespitzt formuliert: Sie streben eine autofreie Innenstadt und eine größere Fußgängerzone an?
Unabhängig davon, ob jemand Autoliebhaber ist oder nicht, scheint jedem in Hannover klar zu sein, dass es eine breite Diskussion darüber geben muss, wie der wenige Platz in der Innenstadt besser verteilt werden kann.
Erwarten Sie, dass die Lobbyisten im Autoland Niedersachsen mit dem Produktionsstandort Wolfsburg Ihnen zustimmen?
Vielleicht stimmen sie nicht zu, aber sie werden sich mit Sicherheit an der Diskussion beteiligen. Ich sehe in der Automobilbranche eine Bereitschaft für Veränderung. Weil auch diese Branche erkannt hat, dass es so nicht weitergeht.
Anderes Thema: Wie viel Frau steckt in Ihnen?
Sie spielen auf die Frage an, dass sich die Basis eine Frau als OB-Kandidatin gewünscht hat?
Genau.
Ja klar, ich bin keine Kandidatin, sondern ein Kandidat. Aber die Frage beschäftigt mich sehr stark, ich kenne sie – ähnlich gestellt – bereits aus der Migrationspolitik. Doch Gleichstellungspolitik, welcher Art auch immer, darf nie nur das Anliegen einer bestimmten Anspruchsgruppe sein, sondern ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Ich selbst schreibe mir auf die Fahnen, gleichermaßen für Frauen und Männer Politik zu machen.
Die Neue Presse bejubelt Sie bereits als Feministen.
Als OB möchte ich Menschen, die nicht in jedem Fall die gleichen Chancen haben wie weiße, privilegierte Männer, stärker unterstützen. Das sind nicht nur Frauen, sondern auch Menschen mit Migrationshintergrund, mit Behinderungen, Kinder. Unabhängig davon stehe ich für mehr Frauen in Führungspositionen.
Die Mitglieder Ihrer Partei, die Sie am Mittwoch offiziell nominieren müssen, haben sich dezidiert eine Frau gewünscht. Erwartet Sie eine Geschlechterdebatte?
Ich scheue eine solche Debatte nicht. Unabhängig davon sind die Grünen in der „Frauenfrage“ gut aufgestellt: Die Ratsfraktionschefin in Hannover ist eine Frau, die Fraktionschefin in der Regionsversammlung und im Niedersächsischen Landtag ebenfalls. Wir haben die einzige grüne Bürgermeisterin der Stadt Hannover und eine grüne Wirtschafts- und Umweltdezernentin und Erste Stadträtin.
Die Ratsfraktionschefin Ihrer Partei, Freya Markowis, bedauerte, für das OB-Amt hätte sich keine hochkarätige Kandidatin gefunden. Mit genau diesem Argument hebeln manche Unternehmen die Frauenquote aus. Sind die Grünen auf diesem Niveau angekommen?
Bei der OB-Wahl handelt es sich um eine vorgezogene Wahl, und offensichtlich ist es für potenzielle Kandidatinnen und Kandidaten schwierig, sich so kurzfristig und spontan auf das OB-Amt vorzubereiten. Dieses Problem haben die anderen Parteien übrigens auch, das sieht man an deren Kandidaten.
Sie hatten keine Mühe, sofort einzuspringen?
Ich habe als ehemaliger Ratsherr und Hannoverscher Landtagsabgeordneter schon jetzt einen starken Bezug zu Hannover, kenne mich sehr gut aus mit den Problemen hier und bin hochmotiviert. Insofern war es für mich ein kleiner Schritt, mich als Kandidat zur Verfügung zu stellen.
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