Kanadas Premierminister: Trudeau versucht Befreiungsschlag

Kanadas bedrängter Premier will mit dem Ausschluss zweier Ex-Ministerinnen den Skandal überwinden, der seine Wiederwahl im Herbst gefährdet.​

Kanadas Premierminister Justin Trudeau während seiner Rede vor den Liberalen am Dienstag

In der Krise: Kanadas Premierminister Justin Trudeau Foto: Chris Wattie/Reuters

Vancouver taz | Seit Wochen befindet sich Kanadas Premierminister Justin Trudeau in der Defensive. Dem einstigen politischen Senkrechtstarter setzt eine Justizaffäre schwer zu. Gut ein halbes Jahr vor den Parlamentswahlen steht seine politische Zukunft mehr denn je infrage. In vielen Umfragen ist seine liberale Partei mittlerweile deutlich hinter die oppositionellen Konservativen zurückgefallen.

Am Dienstag versuchte Trudeau den Befreiungsschlag: Bei einer Sondersitzung der Regierungsfraktion in Ottawa schloss Trudeau zwei seiner ehemaligen Ministerinnen aus der liberalen Partei aus. Sowohl Ex-Justizministerin Jody Wilson-Raybould wie auch die frühere Schatzkanzlerin Jane Philpott müssen die Liberalen verlassen und dürfen im Herbst nicht erneut für die Partei des Premiers antreten.

Das Vertrauensverhältnis zu beiden Ex-Ministerinnen sei irreparabel zerstört, sagte Trudeau in einer mit Spannung erwarteten Ansprache. Sie wurde mit tosendem Applaus vieler liberaler Abgeordneter quittiert. Nicht wenige von ihnen müssen im Herbst in ihren Wahlkreisen akut um ihre Wiederwahl fürchten, sollte es Trudeau nicht bald gelingen, den Skandal wirksam einzudämmen.

Die beiden Ex-Ministerinnen waren im Winter aus Protest gegen Trudeau und das aus ihrer Sicht schlechte Krisenmanagement der Regierung von ihren Ämtern zurückgetreten. Sie waren aber bislang in der Fraktion verblieben.

Trudeaus Gegenspielerinnen

Bei Auftritten im Parlament wie auch bei Interviews hatten sie Trudeau seitdem immer wieder unter Druck gesetzt und dabei die Öffentlichkeit größtenteils auf ihrer Seite gehabt.

Die Politikerinnen werfen Trudeau vor, dieser habe die Unabhängigkeit der Justiz gefährdet. Wilson-Raybould fühlte sich während ihrer Zeit als Justizministerin und Chefanklägerin monatelang unter Druck gesetzt, in einem Korruptionsverfahren auf Geheiß Trudeaus zugunsten des Baukonzerns SNC-Lavalin zu intervenieren. Nachdem sie sich geweigert habe, sei sie auf einen anderen Posten versetzt worden.

Das Unternehmen mit Sitz in Montreal soll zwischen 2001 und 2011 Schmiergelder in zweistelliger Millionenhöhe an die Familie des libyschen Machthabers Gaddafi gezahlt haben. 2015 wurde der Konzern wegen Korruption angeklagt. Der Prozess hat noch nicht begonnen. Bei einer Verurteilung droht dem Unternehmen in Kanada der Ausschluss von öffentlichen Aufträgen.

Trudeau hatte die Vorwürfe stets abgestritten und die Diskussionen um SNC-Lavalin als normale politische Vorgänge bezeichnet, bei denen es ihm um den Erhalt von Arbeitsplätzen gegangen sei.

Saubermann-Image befleckt

Politisch schädlich sind die Vorwürfe dennoch, denn sie laufen seinem Saubermann-Image zuwider, mit dem er 2015 angetreten war. Auch sein Image als selbst erklärter „Feminist“ hat gelitten.

Trotzdem hatte Trudeau lange gezögert, die beiden Ex-Ministerinnen aus der Partei auszuschließen. Lange musste er befürchten, dass ihm dann weitere Abgeordnete den Rücken zukehren würden, und er womöglich seine Parlamentsmehrheit verlieren könnte.

Tatsächlich hat im Zuge der Affäre mittlerweile eine weitere Abgeordnete die Fraktion verlassen und sitzt seitdem als Unabhängige im Unterhaus.

Zu einem Wendepunkt kam es in der letzten Woche, als bekannt wurde, dass Wilson-Raybould während ihrer Zeit als Justizministerin ein vertrauliches Gespräch mit einem ranghohen Regierungsbeamten zum Thema SNC-Lavalin heimlich aufgezeichnet hatte. Am Freitag hatte sie das 17 Minuten lange Band im Zuge der parlamentarischen Ermittlungen gegen Trudeau an das Unterhaus übergeben.

Umstrittenes Tonband

Mit dem Tonband wollte Wilson-Raybould zeigen, wie sie seinerzeit gedrängt worden war, auf eine Einstellung des Korruptionsverfahrens hinzuwirken. In Teilen der liberalen Partei hatten die Bänder jedoch einen gegenteiligen Effekt. Viele Abgeordnete sahen darin einen eklatanten Vertrauensbrauch, darunter auch Parlamentarier, die den beiden Ex-Ministerinnen bislang wohl gesonnen waren.

In den letzten Tagen waren die Rufe prominenter Parteifreunde Trudeaus lauter geworden, die einen Rauswurf der beiden Politikerinnen gefordert hatten. Transportminister Marc Garneau hatte die Aufzeichnungen als inakzeptabel und alles andere als ehrenhaft bezeichnet. Andere Abgeordnete hatten ihren Parteikolleginnen offen Verrat vorgeworfen und ihren Rückzug eingefordert.

Dem bedrängten Premier dürfte der Ausschluss innerparteilich erst einmal etwas Luft verschaffen. Ob ihm das bei der kanadischen Öffentlichkeit gelingt, steht auf einem anderen Blatt. In ersten Reaktionen äußerten viele Bürger am Mittwoch in sozialen Medien ihr Unverständnis über den Rauswurf. Oppositionsführer Andrew Scheer betonte, der Premier versinke immer tiefer in dem Skandal.

Wilson-Raybould tweetete nach ihrem Rauswurf, sie habe sich nichts vorzuwerfen. „Ich habe die Wahrheit gesagt und werde das auch weiterhin tun.“ Ex-Ministerin Philpott nannte den Ausschluss zutiefst entmutigend. In der neuesten Umfrage des angesehenen Ipsos-Instituts sind Trudeaus Liberale auf 30 Prozent zurückgefallen, die Konservativen dagegen liegen bei 40 Prozent.

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