Kampfradler in Städten: Weg da, ihr Arschlöcher!
Es ist Frühling – Zeit des Straßenkampfs. Radler brüllen Autofahrer an. Fußgänger beschimpfen Radfahrer. Aber woher kommt diese Aggression?
Und dann schreit da manchmal jemand auf einer Kreuzung mitten in der Stadt, als wäre das ein Fußballfeld, als wäre gerade jemand übel gefoult worden. Da schreit jemand so laut, dass sich alle nach ihm umdrehen.
„Hey!“, „Mann!“, „Bist du blind!“
Das schimpft jemand so sehr, dass er während eines Fußballspiels schon längst wegen Beleidigung vom Platz geflogen wäre. Rote Karte.
Empfohlener externer Inhalt
„Hey! Du Arschloch!“
Aber es gibt erst einmal keinen Schiedsrichter. Es gibt nur ein Auto, dass einen Radfahrer übersehen hat. Einen Radfahrer, der einen Fußgängern auf dem Gehweg fast über den Haufen gefahren hätte. Einen Fußgänger, der aus Versehen auf den Radweg gelaufen ist.
Die Titelgeschichte "Die Ampel ist rot. Ich trete!", ein Gespräch über Leben auf fernen Planeten mit einer Sternenforscherin und ein Interview über Uli Hoeneß mit dem Sozialethiker und Jesuit Friedhelm Hengsbach lesen Sie in der taz.am wochenende vom 27./28. April 2013. Außerdem: Hausbesuch - Die taz klingelt mal in Obersdorf. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im Wochenendabo.
„Hey! Du! Arschloch!“
Familienpapa als Wrestler
Es gibt beispielsweise diesen Mann mit dem Helm, der auf der Hamburger Reeperbahn gegen ein fahrendes Auto tritt, weil er den Eindruck hat, das sei ihm zu nahe gekommen. Er sieht aus wie ein Familienpapa, aber er benimmt sich wie ein Wrestler im Ring.
Von Kampfradlern hat Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer einmal gesprochen. Er meinte vor allem Radfahrer, die sich nicht an Regeln halten. 56 Prozent der Berliner fühlen sich von Radfahrern auf dem Gehweg bedroht.
Der ewige Winter ist vorbei. Und auf den Straßen von Berlin, Hamburg und München beginnt wieder das, was manche einen Krieg nennen. Mindestens einen Kampf. Auto gegen Fahrrad gegen Fußgänger. Wir gegen uns.
Spontan die Rollen zu wechseln und trotzdem das Aggressionslevel zu halten, fällt den meisten sehr leicht. Man kann am einen Tag als Radlerin ein Auto bespucken, weil es einem die Vorfahrt genommen hat. Am nächsten beschimpft man vom Auto aus die Radler-Idioten, die sich im Stau an einem vorbeidrängen.
Woher kommt diese Aggression?
Sind die Verkehrsplaner schuld, weil den Fahrradfahrern einfach nicht genug Platz eingeräumt wird, weil Radstreifen fehlen, weil Raum fehlt und weil so Stress entsteht?
Oder wächst die Wut jedes Einzelnen, weil es auch mal gut tut, sich ungezügelt aufzuregen? Weil man im Büro nicht wirklich brüllen konnte und im Fitnessstudio käme das abends auch komisch. Nicht jeder spielt Fußball oder macht Kickboxen.
Ein Kampfbegriff
Manche Kampfradler nennen sich stolz so, betreiben Blogs und sagen, sie würden ein höheres Ziel verfolgen: eine autofreie Stadt. Ohne Feinstaub. Ohne Hupen und Motorenlärm.
Auch sonntaz-Reporter Johannes Gernert nennt sich Kampfradler. Er versteht das aber nicht unbedingt als politischen Kampfbegriff. Er wundert sich eher ein wenig über die Wut, die ihn manchmal auf dem Rad packt. Deshalb hat sich auf die Suche nach den Ursachen gemacht.
Er hat sich für die neue taz.am wochenende auf den Stuhl eines Therapeuten gesetzt, einen Verkehrspsychologen konsultiert, einen Technikforscher befragt und seine Fahrt durch eine der fahrradunfreundlichsten Berliner Straßen gefilmt - an einem eher ruhigen Morgen. Vor allem hat er sich selbst beobachtet: Was mache ich da eigentlich?
Vielleicht ist ein Grund für den Ärger das Gefühl, den Autos und den Fußgängern überlegen zu sein, sagt der Verkehrssychologe JörgMichael Sohn in der neuen taz.am wochenende. Bis man merkt, dass man doch nicht so schnell vorwärts kommt. Weil ein Lieferwagen den Radweg blockieren.
„Hey! Mann!“
Weil Autos ohne zu gucken, rechts abbiegen.
„Du! Arschloch!“
Bis das Hochgefühl in Frust mündet.
Kennen Sie das? Oder regen Sie sich auch jeden morgen über diese Deppen auf dem Rad auf? Weil sie Ihnen vors Auto fahren? Weil die Sie anbrüllen, wenn Sie nur mal kurz über den Radweg laufen? Weil sie an Ihrer Haustür vorbeischießen ohne Rücksicht auf Verluste?
Das ist die völlig falsche Perspektive, finden Sie? Man müsste mal die Kommunalpolitiker konfrontieren, die die eigentlich Schuldigen sind, weil sie alles immer aus der Sicht der Autos betrachten? Wir freuen uns über ihre Meinung. Über Anekdoten. Oder Wutausbrüche. Diskutieren Sie mit – hier auf taz.de.
Die Titelgeschichte „Die Ampel ist rot. Ich trete“ lesen Sie am 27. April in der neuen taz.am wochenende.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich