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KampfpresseÜberall Schmutz

Jan Feddersen
Kommentar von Jan Feddersen

Die Homosexuellen und ihre Medien: "Gigi", ein Heft aus Berlin, wütet seit 50 Ausgaben erwartbar gegen vieles

Jack Gold Quentin Crisp (John Hurt in "'The naked civil servant") war der erste Engländer, der sich in seinem Land zur Homosexualität bekannte. Bild: dpa

P latz für Periodika anspruchsvollerer Art ist in der Medienmarktnische für Homosexuelle kaum mehr vorhanden, den Claim haben Gratisblätter untereinander abgesteckt.

Die Siegessäule in Berlin: Eine Illustrierte, die ihre Funktion als Terminführer für das queere Lokalgeschehen erfüllt. Redaktionelles wird als glaubwürdigkeitsstützendes Dämmmaterial genommen. Immerhin sucht sich das L.mag zu etablieren, ein Magazin für Lesben und ihre Freunde, auch profiliert sich die hochglänzende Zeitschrift Männer aktuell als Medium im Hier und Jetzt - nicht nur des Pornografoiden. Eine Art queere Emma - sie bliebe chancenlos, die Kundschaft kennt keine Qualität mehr und sucht sie nicht.

Immerhin sind Medien wie die FAZ oder die taz grundsätzlich geneigt, schwullesbische Themen zu würdigen. Ein Medium aber sucht seit 1999 diese Nische als Marktlücke zu nutzen, und das ist die Gigi, dem Eigenbekenntnis nach eine "Zeitschrift für sexuelle Emanzipation". Jüngst ist das 50. Heft erschienen - und dass es so aussieht wie eine mittelgut layoutete Schülerzeitung aus dem Altfränkischen, muss nicht Kritik wecken. Es ist gewiss hart, ein solches Projekt ehrenamtlich zu betreiben und dennoch nicht allein als schlecht geleimte Zeitung zu erscheinen.

2001 wurde die Gigi mit einem Sonderpreis des Verbands schwuler und lesbischer JournalistInnen ausgezeichnet, und das erschien auch sinnvoll, denn dieses Blatt ist tatsächlich originell. Als Erfolg gerade für die laufende Nummer mag gelten, dass es gelang, die Deutsche Aids-Hilfe e. V. zu zwei ganzseitigen Farbanzeigen zu überreden - und trotzdem im Blatt unverhohlen für die Selbstdarstellungswünsche Pädosexueller Partei zu ergreifen. Das zeugt womöglich auch vom Solidaritätsmut der Akquirierenden, eventuell auch von Ahnungslosigkeit. Chapeau allenthalben den Männern und Frauen, die dieses Blatt journalistisch beatmen. Weshalb aber als Aufmacher ein sieben Jahre alter Aufsatz des Sexualwissenschaftlers Volkmar Sigusch ausgesucht wurde, bleibt rätselhaft.

Die Gigi ist leider insofern ein überraschungsarmes Medium. Man hat, aus den wesenden Resten der Linken kommend, viel gegen Bürgerrechtlichkeit, wütet gegen den Lesben- und Schwulenverband, gegen das "System" überhaupt. Gigi ist ferner gegen den "Mythos der Zweigeschlechtlichkeit", außerdem jedoch ganz Mainstream im Allerlei linksliberaler Weltbefindlichkeit (Rassismus usw., den man natürlich überall wähnt). Im Grunde entdeckt die Redaktion gern überall Verschwörung, Unreinheit und Schmutz, der nicht ins Auge fällt, außer der, eben, Gigi: ein Siegessäulchen wie Wachtturm für sexuelle Zwischenstufler. Glückwunsch!

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Jan Feddersen
Redakteur für besondere Aufgaben
Einst: Postbote, Möbelverkäufer, Versicherungskartensortierer, Verlagskaufmann in spe, Zeitungsausträger, Autor und Säzzer verschiedener linker Medien, etwa "Arbeiterkampf" und "Moderne Zeiten", Volo bei der taz in Hamburg - seit 1996 in Berlin bei der taz, zunächst in der Meinungsredaktion, dann im Inlandsressort, schließlich Entwicklung und Aufbau des Wochenendmagazin taz mag von 1997 bis 2009. Seither Kurator des taz lab, des taz-Kongresses in Berlin,und des taz Talks, sonst mit Hingabe Autor und Interview besonders für die taz am Wochenende. Interessen: Vergangenheitspolitik seit 1945, Popularkulturen aller Arten, besonders des Eurovision Song Contest, politische Analyse zu LGBTI*-Fragen sowie zu Fragen der Mittelschichtskritik. RB Leipzig-Fan, aktuell auch noch Bayer-Leverkusen-affin. Und er ist seit 2011 mit dem in Hamburg lebenden Historiker Rainer Nicolaysen in einer Eingetragenen Lebenspartnerschaft, seit 2018 mit ihm verheiratet. Lebensmotto: Da geht noch was!

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