Kampf um Kitaplätze: Jesus? Kommt nicht in die Krippe!
Hat das unter dreijährige Kind das falsche Geburtsdatum, wird es schwer mit dem Kitaplatz. Aber ohne Schleimspur geht beim Elterncasting ohnehin nichts.
BONN taz | Ganz schlecht ist es eben, wenn das eigene Kind im Dezember geboren wurde. Landauf, landab hört man: Wegen des Übergangs zu Ü3 und der Mischung der Gruppen wäre das "ein ganz schlechter Geburtsmonat". Eine ziemlich niederschmetternde und harte Botschaft, mit der einem die Leiterinnen Bonner Kindertageseinrichtungen für unter Dreijährige konfrontieren.
Das Kind ist gesund, es wächst und gedeiht, kann sich schon hochziehen und plappert lustig vor sich hin und von Omas über Freunde und Kollegen freuen sich alle - bis zu dem Tag, an dem man eine Bonner Kita aufsucht: Spätestens jetzt wird einem klar, dass man eigentlich alles falsch gemacht hat. "Was? 1. Dezember? Das ist aber ein gaaaanz schlechtes Geburtsdatum!" Okay, verdammt, ich wusste nicht, dass ich mein Kind nach einem "guten" Geburtsdatum hin hätte zeugen sollen, ein schwerwiegender Fehler in der ehemaligen Bundeshauptstadt.
Aus der Begründung für eine Ablehnung: "Um es konkret für den Jahrgang 2010 zu benennen, so suchen wir dort 2 Kinder (Junge + Mädchen), die im September/Oktober geboren sind, damit diese sich in die bestehende Gruppenstruktur aus 8 bereits vorhandenen Kindern integrieren können und nicht außen stehen bleiben."
Daniel Kraft, Jahrgang 1973, kehrte zum Monatsbeginn nach 6 Monaten Elternzeit aus Brüssel nach Bonn zurück, wo er als Leiter der Stabsstelle Kommunikation bei der Bundeszentrale für politische Bildung arbeitet.
Klar, das leuchtet ein, ein November- oder Dezemberkind würde bestimmt von den vielen August-, Juli- und Mai-Kindern fürchterlich gemobbt! Wie soll es sich da nur integrieren? Wäre es nur einen Monat früher geboren, dann wäre das kein Problem. Das verstehe ich wahrscheinlich nicht, weil ich kein Kleinkindpädagoge bin, dass in diesem Alter ein Monat so viel ausmachen kann. November und Dezemberkinder müssen zu Hause bleiben.
Wintergeburtshintergrund
Vor meinem geistigen Auge entsteht eine neue Problemgruppe der deutschen Gesellschaft, neben Migrationshintergrund gibt es den "Wintergeburtshintergrund", man kommt nicht in die Unterdreibetreuung, zu spät in die Überdreibetreuung und dann auch noch die Schule, uji, uji, uji, da kommen schwerwiegende Probleme auf uns zu. Ich erinnere mich an meine eigene Kindheit und kann mich durchaus an Kinder erinnern, die im November oder Dezember Geburtstag hatten. Damals diskutierten wir eher das Problem, dass die Geschenke zu dicht aufeinanderfallen, weil es ja an Weihnachten schon wieder welche gibt.
Die Kitasuche in Bonn ist zermürbend. Vor allem dann, wenn man gerade nach einem halben Jahr Elternzeit aus Brüssel zurückkommt und erleben durfte, dass es nur zwei Autostunde von der "Bundesstadt" entfernt auch anders geht. Bedeutet in Brüssel die Zahl 200 die durchschnittliche Anzahl an Metern bis zur nächsten Crèche, die jederzeit bereit ist, von morgens sieben bis abends sieben dein Kind zu betreuen, so steht sie im westdeutschen Bonn für die Zahl der Bewerbungen auf einen freien U3 Kitaplatz.
Die Chancen, einen solchen zu ergattern, gleichen denen bei einer Lotterie, den Jackpot zu knacken. Die Varianten der Bewerbungsverfahren und der anschließenden Demütigungen sind vielfältig, laufen aber angesichts des ubiquitären Mangels ganz gleich ob bei kirchlichen, städtischen oder elterninitiativlichen Einrichtung immer wieder auf ein Argument hinaus: das Geburtsdatum muss stimmen.
Ob beide Eltern nun evangelisch sind, die Kita keine 30 Meter entfernt von der heimischen Wohnung oder direkt neben der Arbeitsstelle liegt, ob beide Eltern sich wer weiß wie engagieren wollen, man eine Empfehlung von einem früheren Elternteil bekommt oder beide Eltern schlicht einen stressigen Job haben und Entlastung brauchen - egal, die pädagogisch begründete Altersstruktur muss stimmen, und dafür karrt man dann lieber ein Kind aus Bonn-Bad Godesberg in die Innenstadt.
Bevor man allerdings diese Absage erhält, darf man sich als Bonner Eltern noch diversen Castingrunden unterziehen. Die Schleimspur dieser Veranstaltungen ist so lang, dass man nur hoffen kann, dass eine Putzkraft die Kita am auf den Infoabend folgenden Tag nochmals gründlich reinigt, damit die Kleinen nicht auf ihr ausrutschen.
Da sitzen 14 erwachsene Menschen - fast ausschließlich Akademiker - auf Kinderstühlen im Kreis, mit in der Runde die pädagogische Leitung und die Vorstandsvorsitzende. Man erhält eine Einführung in das pädagogische Konzept (immer wieder dieses Konzept, ich wundere mich wirklich, wie die ganzen belgischen Kinder ohne ein solches Konzept überhaupt ordentlich groß werden wollen).
Lechzende Akademiker
Man diskutiert über den Grad des Einflusses von Emmi Pikler oder Maria Montessori auf die hiesige Kita und stellt den Tagesablauf der Kleinen vor. Alle Eltern nicken begeistert, sie wollen, dass ihr Kind auch in diese Insel der Glückseligkeit - migrationshintergrundfrei - integriert wird. Dann kommt der Schwur, es gilt sich in der Runde vorzustellen und zu sagen, wie man sich denn engagieren würde in dieser Elterninitiative. Es ist erstaunlich, wie handwerklich begabt die im Stuhlkreis anwesenden Juristen und Informatiker sind! Man gewinnt fast den Eindruck, dass sie allesamt ihren Beruf verfehlt haben.
Statt des nächtelangen Programmierens von Algorithmen oder des intensiven Studierens der dünnblättrigen Gesetzessammlung "Schönfelder" lechzen die hier Anwesenden nach echter körperlicher Arbeit: Sie mähen gerne Rasen ("mein Mann liiiiebt Rasenmähen!"), können streichen, und wenn es um das Anbringen von allen möglichen Elektrogeräten geht, ist man bereit, seine gesamte heimische Werkzeugbatterie - jüngst bei der Renovierung des eigenen Reihenhauses angeschafft - einzusetzen.
Nach einer solchen Runde ist man ja fast schon froh, dass am Ende doch nur das Alter des Kindes eine Rolle spielt, denn unmissverständlich teilt die Vorstandsvorsitzende mit: Es gibt in diesem Jahr schon einen Überhang an älteren Kindern, wir suchen also jüngere Kinder als zwei Jahre. Das dann fast zweijährige Dezemberkind wäre zum Kitabeginn im September fast zwei.
Was bleibt, ist die Verlängerung der Elternzeit auf drei Jahre, das Hoffen auf die Warteliste oder - wenn man ganz viel Glück hat - eine Tagesmutter für rund 1.000 Euro, häufige Besuche der Großmutter und ausführliche Spaziergänge durch schöne Bonner Parks und die Innenstadt. Diese sind an einem ganz normalen Wochentag um 11 Uhr gut gefüllt mit Müttern, die ihre Kinder von A nach B bugsieren, sei es zum mobilen Treffpunkt "Cafe-Roller", einem Piaggio-Dreirad mit mehreren Standorten in Bonn, oder zum Pekip, dann weiter zur musikalischen Früherziehung oder zum Babyschwimmen. Hier bieten ehemalige Mütter aktuellen Müttern (und ganz wenigen Vätern) ihre Expertise an.
Der zurückgekehrte Elternzeitvater, der in Belgien vormittags nie Mütter mit Kindern im öffentlichen Raum gesehen hat, bleibt verdutzt stehen und fragt sich: Warum können all diese Angebote nicht in einer Kita stattfinden und die Mütter arbeiten? Aber wahrscheinlich wird er das nie verstehen, bestimmt ein Dezemberkind … aber halt, was ist das? Ein Brief einer Bonner Kita-Glücksfee: "Sie haben gewonnen! Äh, nein, Sie haben einen Kitaplatz! Ab 1. August 2012, uns fehlte noch ein Dezemberkind …".
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