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Kampf um „Bizim Bakkal“Das ist unser Kiez

Die Kündigung des Ladens „Bizim Bakkal“ in der Wrangelstraße ist aufgehoben. Für die Initiative „Bizim Kiez“ geht der Kampf gegen Verdrängung weiter.

Müssen vorerst nicht weichen: Händler Ahmet Çalışkan und seine Ware. Foto: dpa

Die Wrangelstraße sieht ein bisschen aus, als wäre gerade Fußballweltmeisterschaft. Stoffbanner hängen von den Balkonen und Plakate kleben in den Fenstern von Läden und Erdgeschosswohnungen. Aber die Wrangelstraße trägt nicht die Nationalfarben, sondern sie zeigt Grün und Gelb. Grün und gelb ist das Ladenschild von Bizim Bakkal.

„Bizim Bakkal“, das ging durch alle Medien, heißt „Unser Laden“ und ist das letzte inhabergeführte Gemüsegeschäft der Straße. Ein ganzer Stadtteil hat sich in den Kopf gesetzt, seinen Gemüsehändler zu retten. Von einem „Kampf“ in Kreuzberg ist die Rede.

Der Händler, Ahmet Çalışkan, hatte nach 28 Jahren nach dem Verkauf des Hauses Wrangelstraße 77 die Kündigung bekommen. Seine Kundschaft und er selbst wollten das nicht hinnehmen. Seither ist nun in der achten Woche Ausnahmezustand in Kreuzberg – allerdings kein gewalttätiger, sondern ein bunter und friedlicher kleiner Aufruhr, bei dem David gegen Goliath antrat. Eine versammelte Kundschaft und Nachbarschaft gegen die Gesetze des Immobilienmarktes.

Das ganze Land blickt auf einmal auf Kreuzberg

Und dann passierten zwei Dinge, mit denen niemand gerechnet hätte. Das eine war, dass plötzlich das ganze Land nach Kreuzberg blickte. Das andere war, dass es plötzlich hieß: Man habe gewonnen!

Die Wrangelstraße ist keine schmucke Straße. Trotzdem stehen vor vielen Häusern Stühle, auf denen Anwohner nach Feierabend draußen sitzen. In den letzten Wochen sind es noch mehr geworden. Seit es „Bizim Kiez“ gibt, unterhält man sich mehr, haben die kleinen Läden manchmal länger offen, trinken mehr Leute, die sich vorher nicht kannten, gemeinsam ein Bier.

„Bizim Kiez“ nennt sich die Initiative, die für Ahmet Çalışkan und gegen die Entmietung des Hauses Wrangelstraße 77 eintritt. Immer mittwochs trifft man sich gemeinsam vor Bizim Bakkal, um deutlich zu machen, dass man nicht aufgeben wird.

Auch heute ist Mittwoch, und eine Menge von Menschen füllt die Straße. Aber diesmal ist etwas anders. Man feiert. Seit vorigen Freitag ist bekannt, dass David gegen Goliath einen Teilsieg errungen hat. Die Eigentümerin Wrangelstraße 77 GmbH hat die Kündigung zurückgenommen.“Das haben wir geschafft!“, ruft ein Bizim-Kiez-Aktivist, der in der Mitte der Versammelten steht, „und es ist kein Fake, sondern es ist rechtskräftig“. Die Verhandlungen dauern allerdings noch an. “Bevor wir die Sektkorken knallen lassen, bleiben wir hier, bis Ahmet Çalışkan einen Gewerbemietvertrag bekommt, der ihm Sicherheit bietet.“

Ein großer Kuchen als Dankeschön für Unterstützung

Dennoch jubeln alle, und Familie Çalışkan wartet mit einem gewaltigen Kuchen auf. Şükrü Çalışkan, Ahmets Sohn, balanciert ihn auf einem Tablett durch die Menge. Er ist leuchtend grün, und in gelbem Zuckerguss steht darauf geschrieben: „Bizim Bakkal bleibt bizim“.

Nach dem Spiel ist vor dem Spiel, heißt ein bekanntes Fußballsprichwort. Und genauso ist es in Kreuzberg in dieser Woche: Bizim Kiez ist mehr als eine Anwohnerinitiative, die sich im Lokal trifft und um einen Kneipentisch passt. Vielmehr hat sich im Wrangelkiez ein offener wie hochproduktiver Zusammenhang gebildet, an dem aktiv etwa 100 Menschen mitarbeiten und der jeden Mittwoch neue Mitstreiter gewinnt. In diesem Geflecht wirken Arbeitsgruppen zusammen, in denen sich Alte und Junge, Punks und Jacketträgerinnen, Künstler und Technikerinnen, IT-Spezialisten und Medienleute ergänzen.

Jetzt muss sich Bizim Kiez darauf verständigen, wie es weitergeht. Eine abgestimmte gemeinsame Strategie gibt es bisher noch nicht. Nur eins ist klar: Die Rücknahme der Kündigung soll nur ein Etappensieg sein.

Kampf über die Wrangelstraße hinaus

Zum einen, so weit ist sich Bizim Kiez einig, ist der Konflikt um die Wrangelstraße 77 noch nicht ausgestanden. Denn nicht nur der Laden Ahmet Çalışkans sollen erhalten werden, auch die Mieterschaft ist bedroht. Die Wrangelstraße 77 GmbH will alle Mietwohnungen in hochpreisige Eigentumswohnungen verwandeln.

Weil kaum einer der Mieter kaufwillig ist, regt Bizim Kiez eine Hausversammlung an. Zum anderen soll der Kampf gegen Verdrängung über die Wrangelstraße hinausgehen. Dabei will das Netzwerk an die Erfahrung anknüpfen, dass auch das scheinbar Unmögliche möglich werden kann.

Seit Bizim Kiez in aller Munde ist, weitet sich das Mittwochstreffen peu à peu zu einer Versammlung aus, auf der Mieter und Händler der Nachbarstraßen von Entmietungsproblemen erzählen. Die Ersten regen an, gemeinsam zu handeln.

Auch an diesem Mittwoch treten Leute ans Open Mike, die mal verworren, mal glasklar ihre Geschichten vortragen. Während Familie Çalışkan den grün-gelben Kuchen anschneidet und auf Pappteller verteilt, nimmt eine Frau das Mikrofon und berichtet detailreich von einer abenteuerlichen Eigenbedarfsklage, der ihre Wohngemeinschaft bisher allein am Hals hat, sich im Recht sieht, aber Unterstützung sucht. Wenn David Goliath einmal besiegt, warum soll es nicht wieder passieren?

Jetzt entstehen immer mehr „Bizim“-Initiativen

Es ist schwül und ein bisschen windig. Und dann applaudieren plötzlich viele. Eine junge Dunkelhaarige ist vorgetreten und erzählt, dass in der Skalitzer Straße 142 die Mieter eines Wohnblocks gegen Mieterhöhungen von bis zu 400 Euro pro Wohnung vorgehen. An diesem Nachmittag hätten sie eine Versammlung vor ihrem Haus abgehalten und sich „Bizim Kotti“ getauft.

„Bizim Kotti“ ist mit „Kotti und Co“ vernetzt. Gemeinsam wollen sie demnächst mit einer Demo zum Mittwochstreffen in der Wrangelstraße ziehen. Bizim Kiez könnte wie eine Pflanze mit Luftwurzeln gedeihen. Das Netzwerk könnte Ableger bilden, lokal bleiben und trotzdem weiterwachsen.

In dieser Woche hat Bizim Kiez außerdem eine Onlinepetition gestartet: Auf Change.org fordern sie die Politik auf, den Ausverkauf der Innenstädte zu stoppen. Der Senat solle bestehende rechtliche Instrumentarien ausschöpfen, damit einkommensschwache Menschen weiter in der Innenstadt wohnen und arbeiten können. „Wo nötig“, heißt es darin etwas unscharf, solle sie „weitere Bestimmungen schaffen“, insbesondere um „anwohnernahe Gewerbetreibende“ zu schützen. Denn kleine Läden – wie „Bizim Bakkal“ – genießen rechtlich kaum Schutz. Es sei denn, die Nachbarn erstreiten es.

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