: Kampf um Anerkennung
Vor fünf Jahren wurde der Taxifahrer B. Efe in Kassel Opfer eines rechtsextremen Überfalls. Doch um das richtige Gedenken gibt es Streit in der Stadt
Aus Kassel Yağmur Ekim Çay
„Fünf Jahre sind einfach so aus meinem Leben weg. Sie haben mir viel genommen, kaputtgemacht und trotzdem hat sich nichts verändert“, sagt B. Efe. Seinen Vornamen will der 52-Jährige nicht nennen, denn er hat Angst.
Am 21. Juni 2020 war der Mann aus der Türkei mit seinem „Minicar“ unterwegs – Kassels Alternative zum Taxi. Nach Monaten der Coronabeschränkungen waren die Clubs in der Nordstadt wieder gut besucht, die Straßen voller Menschen, errinert sich Efe. Kurz vor 5 Uhr morgens stieg ein Mann zu Efe ins Auto. Wohin er wollte, soll er nicht genau gesagt haben, nur eine grobe Beschreibung, wo es hingehe. In einer ruhigeren Ecke wollte der Mann mit der Coronamaske aussteigen. Er soll Efe das Geld gegeben und dann gerufen haben: „Ihr scheiß Ausländer, nur Geldfresser.“ Kurz danach verletzt der Mann B. Efe mit einem Messer am Hals schwer. Efe lag danach mehrere Tage im Krankenhaus. „Die Narbe sehe ich jeden Tag noch im Spiegel“, sagt er.
Rechtsextreme Angriffe in der Region Kassel sind nichts Neues. 2019 erschoss ein Neonazi den Regierungspräsidenten Walter Lübcke. 2006 ermordete die rechtsterroristische Gruppe NSU Halil Yozgat im Alter von 21 Jahren. Bis zur Aufdeckung des NSU im November 2011 musste Yozgats Familie für die Anerkennung des ausländerfeindlichen Hintergrunds kämpfen.
Unterstützung erhält Efe von der Initiative Soligruppe B. Efe 09. Sie hat sich vor drei Jahren gegründet und fordert die Aufklärung des Falls, ein würdiges Erinnern, Anerkennung und finanzielle Entschädigung. Das Letztere würde „Efe sein Leben zumindest etwas erleichtern“, sagt Kim Schopert von der Gruppe.
„Wir haben mit anderen Initiativen einen offenen Brief an die Polizei geschrieben“, sagt Schopert. „Wir haben gesagt: Ihr macht denselben Fehler wie damals bei Halit Yozgat.“ Denn Efe hätte direkt nach dem Angriff klar gesagt: „Das war rassistisch.“ Trotzdem sprach die Polizei erst in ihrer dritten Pressemitteilung, etwa zehn Tage später, von einem möglichen fremdenfeindlichen Motiv. Offiziell laufen die Ermittlungen weiter. „Nur warum und wofür?“, das würde Efe gerne fragen. Doch der Täter, der ihn „töten wollte“, wie Efe sagt, ist bis heute flüchtig.
Die Angst prägt ihn so sehr, dass er heute ein ziemlich isoliertes Leben führt. „Er weiß, wer ich bin. Aber ich weiß nicht, wer er ist“, sagt Efe. Diese Angst durchdringt seinen Alltag, dass er kaum noch rausgehen und auch nicht mehr arbeiten kann. Er lebt von Bürgergeld, obwohl er vor der Tat über 30 Jahre lang in Deutschland gearbeitet hat, „ohne je Probleme zu haben“, wie er betont. Sein früheres Leben vermisst der Vater von zwei Kindern: „Ich hatte ein schönes Leben. Meine Welt ist dunkel geworden.“ Zweimal im Jahr sei er in den Urlaub gefahren, ging mit seiner Familie aus. Finanziell ist nun vieles nicht mehr möglich. Aber auch, weil er das Vertrauen verloren habe. Nicht mal draußen im Eisladen sitzen könne er. Besonders schwer fällt es ihm, dass er nicht mehr mit seiner Frau das Haus verlassen kann. „An besonderen Tagen, wie Geburtstagen, kann ich nicht einmal mit ihr feiern“, sagt er. „Ich habe Angst.“
Bis heute hat Efe keine Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz erhalten. Die Behörden stuften den Schweregrad der Tat als zu gering ein. In Hessen gibt es seit 2021 den Hessischen Opferfonds, geschaffen nach dem Anschlag in Hanau. Die Unterstützungsleistung ist als einmalige Zahlung vorgesehen. Sie beträgt mindestens 5.000 Euro, in der Regel jedoch 10.000 Euro. Auch dort wurde Efe abgelehnt. Sein Fall sei nicht von „landesweiter Bedeutung“, heißt es im Ablehnungsbescheid. „Ich will kein Taschengeld. Ich will mein Recht“, sagt Efe. Auch die Initiative kritisiert: Efe ein Stück Normalität zurückzugeben, sei das Mindeste. Dazu gehöre auch ein klares öffentliches Zeichen – etwa eine Gedenktafel am Tatort. Efe wünscht sich diese, damit „andere das nicht auch erleben müssen“.
B. Efe
Kassels Oberbürgermeister Sven Schoeller (Grüne) hatte erklärt, eine Gedenktafel zur Erinnerung an die „rechtsradikal motivierte Tat an B. Efe“ zu unterstützen. Doch um die Ausgestaltung und Finanzierung der Gedenktafel gibt es Streit zwischen der Initiative und der Stadt. Der HNA versicherte ein Rathaussprecher, dass der Oberbürgermeister die Initiative für die Tafel weiter unterstütze und zuletzt im Mai ein Treffen mit B. Efe stattgefunden habe.
Efe und die Initiative jedoch zeigen sich enttäuscht: „Die Stadt hat mich alleingelassen“, sagt Efe. Die Gedenktafel hat die Initiative inzwischen selbst organisiert, sie soll im Laufe des Jahres eingeweiht werden. Ebenso wie die finanzielle Unterstützung für Efe, die sie durch Spenden koordinieren.„Das ist eigentlich nicht die Aufgabe von Efe und einigen Unterstützer*innen“, sagt Schopert.“
Am Freitag veranstaltet die Soligruppe B. Efe 09 ein Rapkonzert im Kasseler Kulturzentrum Schlachthof. Am Samstag, dem fünften Jahrestag des Angriffs, folgt eine Kundgebung im Nordstadtpark
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