Kampagne nach tödlichen Schüssen: Wunderbares Ferguson
Nach den Protesten sorgen sich weiße Bewohner um das Image der Stadt. Doch das eigentliche Problem interessiert sie nicht.
FERGUSON taz | In den Vorgärten und Schaufenstern einiger Stadtteile von Ferguson ist über Nacht ein neues Zeichen aufgetaucht. Aufschrift: „Ich liebe Ferguson“. Zwei Wochen nach den tödlichen Polizeischüssen auf den unbewaffneten Teenager Michael Brown soll es den lädierten Ruf der nordwestlichen Vorstadt von St. Louis reparieren. „Ferguson ist wunderbar“, sagt Exbürgermeister Brian Fletcher, der die Liebeserklärung und PR-Kampagne zusammen mit Handelskammer und örtlichen Geschäftsleuten initiiert hat.
Bis 2011 war der Demokrat insgesamt 28 Jahre lang im Rat der Stadt. In seine lange Amtszeit fiel auch die Militarisierung der Lokalpolizei.
Am Donnerstagabend organisiert Fletcher ein erstes Community-Treffen ein paar Blocks vom Rathaus entfernt.
Der Parkplatz ist komplett belegt, der Saal gut besetzt. Aber die Menschen im Saal repräsentieren genauso wenig die realen sozialen Verhältnisse von Ferguson wie die Polizei, wie die Schulbehörde und wie das Rathaus. Zwei Drittel der Menschen in der Vorstadt sind schwarz. Die der „Community“ - der Exbürgermeister inklusive – sind weiß.
Mit Erzkonservativen, die auf die Straße gehen, begann in den USA der Aufstieg einer rechten Bewegung. Sind Anti-Homo-Proteste und AfD erste Anzeichen einer deutschen Tea Party? Eine Spurensuche in der taz.am wochenende vom 23./24. August 2014. Christine Preißmann ist Autistin und Psychotherapeutin. Ihre Patienten profitieren. Und: Der rote Kretschmann: Ein Portrait von Bodo Ramelow, der vielleicht der erste Ministerpräsident der Linken wird. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.
Kommunikation verbessern
Während auf der „anderen Seite der Eisenbahnlinie“ die tödlichen Polizeischüsse, die absurde militärische Bewaffnung der Lokalpolizei und die überproportional gegen Afroamerikaner gerichteten Kontrollen und Strafmandate das Hauptthema sind, befasst sich die Versammlung im Saal mit dem Ruf des Ortes. Die meisten Versammelten waren in den zurückliegenden zwei Wochen auf keiner Demonstration. „Zu gefährlich“, urteilen sie.
Jetzt schlagen sie vor, „die Kommunikation“ mit den anderen Menschen in ihrem Ort zu verbessern. Auf der Wunschliste stehen BBQs, Blumentöpfe auf Straßen, bessere Bushaltestellen und Stipendien für junge Afroamerikaner, die einen Job bei der Polizei anstreben. Der Exbürgermeister möchte eines Tages auf die gegenwärtige Krise zurückblicken und sagen können: „Ferguson ist noch besser geworden.“
Bürgerrechtsgruppen wie die American Civil Liberties Union (ACLU) haben die Ausstattung von lokalen Polizeieinheiten quer durch die USA mit Restbeständen aus dem Pentagon schon lange als „gefährlich“ und „unnötig“ kritisiert. Geländefahrzeuge, Sturmgewehre, Gasmasken und anderes Kriegsgerät im Wert von mindestens 4,3 Milliarden Dollar sind seit den 90er Jahren unter die Polizei gejubelt worden.
Demonstranten und Reporter in Ferguson waren entsetzt, als in den zurückliegenden Tagen Polizisten ihre Gewehre auf sie richteten. Aber am Rand der Ferguson-Liebhaber-Versammlung sagt ein weißer Lastwagenfahrer aus dem Ort: „Es war kein Geheimnis, dass wir diese Waffen haben.“ Der 44-jährige Greg Stewart fühlt sich dadurch sicherer. Seine Begründung: „Wir sind in Amerika. Fast jeder hat eine Schusswaffe. Auch die bad guys.“
Alte Damen mit Stinkefinger
Der dunkelhäutige Ricky Canamore ist ein Gewaltfreier bis zum Knochenmark, der seit Beginn der Krise von früh bis spät an der Straße gegenüber der Polizeiwache von Ferguson sein Schild hochhält. Vor knapp zwei Wochen fuhr aus der gerade erweiterten und modernisierten Poizeiwache gegenüber die Lokalpolizei in Kampfuniformen auf einem minensicheren Geländewagen heraus. „Hände hoch – nicht schießen. Ruhe in Frieden, großer Mike.“
Manchmal bildet sich hinter ihm ein Kreis von Betenden. Vor ihm fahren Autos vorbei. Wer seine Botschaft mag, hupt. Andere zeigen den Stinkefinger. Darunter viele über 70-Jährige und auch alte Damen. An diesem frühen Donnerstagabend verlangsamt ein blonder Mann in einem roten Pick-up-Truck seine Fahrt, um aus dem Autofenster zu rufen: „Der Cop hat das Richtige getan.“ Ricky Canamore zuckt die Schultern: „Jeder hat das Recht auf seine eigene Meinung.“
In der afroamerikanischen Community und bei Linken wird die Kritik an Polizeigewalt und Polizeischikanen in diesen Tagen lauter. Aus New York spricht der Filmemacher Spike Lee von einem „Krieg gegen den schwarzen Mann“ und von „Snipern, die auf Demonstranten zielen“.
Aber in Missouri sind die Lokalpolitiker vor allem um Befriedung bemüht. Selbst linke Demokraten. Als in St. Louis der zweite junge afroamerikanische Mann binnen weniger Tage von Polizisten erschossen wird, kommentiert Lokalpolitiker Antonio French, der nächtelang in Ferguson demonstriert hat und dort mehrfach festgenommen worden ist, der Fall sei anders als bei Michael Brown. Er begründet seine Zurückhaltung so: Der Tote in St. Louis habe die Polizei mit einem Messer bedroht. Und die Polizei habe anschließend eine transparente Aufklärung betrieben.
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