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Kamerun auf dem Weg zum BürgerkriegAltes Regime und junge „Terroristen“

Im anglophonen Westen Kameruns eskaliert die Gewalt zwischen bewaffneten Separatisten und der Armee. Die Stabilität steht auf dem Spiel.

Protest in Bamenda, Kamerun Foto: reuters

Brüssel taz | Es ist, sagen kamerunische Beobachter, ein klassischer Bürgerkrieg niedriger Intensität in einem Land von zentraler Bedeutung für die Stabilität Afrikas – und nun hat die Regierung ihn auch offiziell erklärt.

„Kamerun ist Opfer wiederholter terroristischer Angriffe durch eine Bande von Terroristen, die sich auf eine sezessionistische Bewegung berufen“, erklärte am vergangenen Donnerstag Präsident Paul Biya, der sich nur selten zur aktuellen Politik äußert. Er versprach, „alle Mittel“ einzusetzen, um „diese Verbrecherbande unschädlich zu machen“.

Verteidigungsminister Joseph Beti Assomo kündigte am Samstag an, er werde die Anweisung seines Staatschefs „bedenkenlos“ umsetzen – „um den gesunden Teil der Bevölkerung zu beruhigen“.

Ziel der harten Worte, denen jetzt Taten folgen sollen, sind die Anhänger einer Abspaltung des anglofonen Westteils von Kamerun, dessen symbolische Unabhängigkeit unter dem Namen „Ambazonien“ am 1. Oktober radikale Sezessionisten verkündet hatten.

Gefährlich zugespitzt

Seit am 8. November in Bamenda, der größten Stadt im anglofonen Westen, eine nächtliche Ausgangssperre verhängt wurde, hat sich der Konflikt gefährlich zugespitzt.

Zehn Angehörige der Sicherheitskräfte sind seit Anfang November getötet worden. Am 6. und 7. November wurden drei Gendarmen erschossen – einer an einer Schule in Bamenda, einer bei der Jagd nach „vermummten Terroristen“, die eine Hochschule in Brand gesetzt haben sollen, und einer an einer Straßensperre.

Kameruns Regime

Langzeitherrscher Kameruns Präsident Paul Biya ist 84 Jahre alt und regiert sein Land seit 1982. Das macht ihn zu einem der dienstältesten Herrscher Afrikas, übertroffen nur vom Präsidenten Äquatorialguineas.

Krise Als einziger Staatschef des frankofonen Afrikas hat Biya alle Demokratisierungsbestrebungen des vergangenen Vierteljahrhunderts unbeschadet überstanden.

In der Nacht zum 10. November wurde einem Soldaten am Grenzposten Akwem an der Grenze zu Nigeria die Kehle durchgeschnitten.

Und letzte Woche eskalierte die Lage abrupt: In der Nacht zum 29. November erschossen Unbekannte vier Soldaten der motorisierten Infanterie in Mamfe nahe der nigerianischen Grenze; in der folgenden Nacht starben zwei Polizisten am Grenzposten Otu, nach Armeeangaben bei einem Überfall einer 15 Mann starken bewaffneten Gruppe.

In Bamenda selbst wurde am 20. November nach Polizeiangaben ein Polizist nachts von einem vorbeifahrenden Motorrad aus angeschossen und verwundet. Es kam zu Schießereien in mehreren Stadtteilen, ein 23-Jähriger erlag am nächsten Tag seinen Verletzungen.

Unabhängiges „Ambazonien“

Die Regierung macht für die Überfälle eine „Southern Cameronns Ambazonia Consortium United Front“ verantwortlich, Speerspitze der Unabhängigkeitsbewegung, deren Führer im Exil leben. Ihr bekanntester Führer, der in Nigeria lebende Informatiker Julius Sisiku Ayuk Tabe, verneint jede Beteiligung.

Er war es, der sich am 1. Oktober zum Präsidenten des unabhängigen „Ambazonien“ ausgerufen hatte – ein Name, der vom alten englischen Kolonialnamen „Ambas Bay“ für die Mündung des Mungo-Flusses in den Atlantik herrührt.

Am 1. Oktober erfolgte die Unabhängigkeits­erklärung von Ambazonien

Das kurzlebige britische Protektorat Ambas Bay wurde 1887, nach nur drei Jahren Existenz, in die deutsche Kamerun-Kolonie eingegliedert. Diese wurde nach dem Ersten Weltkrieg in ein französisches und ein englisches Mandatsgebiet aufgeteilt.

Nach der Unabhängigkeit des französischen Kamerun 1960 wurde 1961 das englische Mandatsgebiet „Südkamerun“ nach Volksabstimmungen geteilt: die Südhälfte ging an Kamerun, die Nordhälfte an Nigeria.

Zunächst war Kamerun danach föderal organisiert – eine erneute Volksabstimmung setzte dem 1972 zugunsten des französischen Zentralismus ein Ende, und dies wird bis heute bei den Anglofonen als Annexion abgelehnt.

Von einem „kulturellen Völkermord“ an den anglofonen Kamerunern spricht Sisiku Ayuk in einer Videobotschaft und reklamiert das Recht auf Selbstbestimmung, da die kamerunische Zentralmacht alle sprachlichen und juristischen Eigenständigkeiten des anglofonen Landesteils missachte und ihn ökonomisch benachteilige.

Jeder fünfte der 25 Millionen Kameruner ist anglofon, aber nur einer von 36 Ministern in der Zentralregierung.

Viele Demonstranten getötet

Eine erste Serie von Generalstreiks und Protesten führte zu einer mehrmonatigen Sperrung des Internets, wodurch viele wirtschaftliche Aktivitäten zusammen brachen. Im August 2017 ließ Präsident Biya mehrere hundert Gefangene frei und setzte eine Kommission zur Zweisprachigkeit ein, aber danach nahm die Sezessionsbewegung erst richtig an Fahrt auf: über 50.000 Demonstranten am 22. September, und dann die Unabhängigkeitserklärung samt der blau-weißen Flagge Ambazoniens am 1. Oktober, Kameruns Nationalfeiertag.

Soldaten und Polizisten töteten an diesem Tag laut Amnesty International mindestens 17 Demonstranten; umgekehrt gingen mehrere Polizeistationen in Flammen auf.

Joshua Osih, Führer der oppositionellen und vor allem im anglophonen Raum verankerten Social Democratic Front (SDF), wirft den Sicherheitskräften vor, auf unbewaffnete Demonstranten scharf zu schießen.

Die SDF versucht vergeblich, die Krise im anglofonen Landesteil in Kameruns Parlament zu thematisieren. Da das nicht gelingt, störten SDF-Abgeordnete am vergangenen Mittwoch eine Rede des Premierministers mit Pfiffen und Tänzen.

Seit Oktober 2016 wurden nach Recherchen der „International Crisis Group“ mindestens 56 Personen von den Sicherheitskräften getötet und mehrere hundert verletzt. „Wegen dieser mörderischen Repression schwellen die Ränge der Sezessionisten Tag zu Tag an“, so die ICG in einem neuen Bericht.

Die Regierung weist die Vorwürfe zurück und macht die Sezessionisten für den Tod von über 100 Menschen sowie mehrere Bombenanschläge verantwortlich.

Sorge bei den Vereinten Nationen

Die Behörden in der Unruheregion greifen zu radikalen Mitteln. Immer wieder ist der öffentliche Nahverkehr oder auch das Überschreiten von Distriktgrenzen verboten worden, Armeeverstärkung wurde in die Unruhegebiete geschickt.

Und am vergangenen Wochenende kursierte ein Erlass, wonach im Kreis Manyu alle Bewohner einer Anzahl namentlich aufgeführter Dörfer in „sichere Zonen“ umsiedeln sollten, sonst werde man sie als „Komplizen oder Täter der andauernden verbrecherischen Vorfälle“ behandeln. Der Erlass wurde nach Kritik zurückgezogen.

Die Unruhe erreicht sogar die Vereinten Nationen. UN-Generalsekretär António Guterres hat sich zweimal darüber direkt mit Präsident Biya unterhalten.

Die Wahlen im Oktober 2018 und der Afrika-Cup im Juni 2019 geraten in Gefahr, wenn die Krise in Kamerun sich vertieft, warnen Experten.

Denn das Land kämpft bereits seit mehreren Jahren an zwei Fronten gegen Instabilität: im Osten gegen eindringende Warlords aus der Zentralafrikanischen Republik, die aus ihrem Bürgerkrieg nicht herausfindet; und im äußersten Norden gegen die Dschihadisten der aus Nigeria eingedrungenen Gruppe Boko Haram, die eine Zeitlang auf der kamerunischen Seite der Grenze Unterschlupf fand.

Beide dieser Krisen haben zahlreiche Flüchtlinge aus den Nachbarländern nach Kamerun gebracht. Eine dritte Bürgerkriegsfront, diesmal direkt an der Haustür zur kamerunischen Wirtschaftsmetropole Duala sowie in der Nähe zu den Ölvorkommen Kameruns und Nigerias, kann das Land nicht gebrauchen.

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