Kai Wegner (CDU) zur Wahlwiederholung: „Die Berliner sind leidensfähig“
CDU-Spitzenkandidat Kai Wegner liegt in Umfragen vorn, könnte trotzdem nach der Wahl am 12. Februar in der Opposition bleiben. Er sieht das anders.
taz: Herr Wegner, in der neuesten Umfrage liegen Sie vorn, bestes CDU-Ergebnis seit 2020, möglicher Wahlsieger am 12. Februar in diesem Jahr in Berlin – aber danach nach jetzigem Stand weiter in der Opposition. Wie geht es Ihnen dabei?
Kai Wegner: Mir geht es hervorragend. Ich spüre eine Wechselstimmung, die wir so lange nicht mehr hatten. Viele Menschen sagen: So, wie es ist, darf es nicht bleiben. Ich bin mir sicher: Wenn wir am 12. Februar einen starken Auftrag zur Bildung einer neuen Landesregierung bekommen, wird die CDU auch eine Regierung zustande bekommen.
Sie sprechen von Wechselstimmung und oft davon, dass Berlin schlecht regiert werde. 50 Prozent dieser angeblich schlecht Regierten stimmen aber weiter für die jetzt Regierenden. Entweder ist Berlin so leidensfähig oder mit Ihrer Beobachtung stimmt was nicht.
Ich glaube schon, dass die Berliner leidensfähig sind. Aber nachdem das Verfassungsgericht bescheinigt hat, dass dieser Senat noch nicht mal eine demokratische Wahl organisieren kann, ist der Punkt erreicht, wo die Leidensfähigkeit auch zu Ende geht. Und tatsächlich ist keine Ministerpräsidentin in Deutschland unbeliebter als Frau Giffey.
50, ist gebürtiger Spandauer, wohnt auch in dem Bezirk. Er ist seit 2019 Berliner Landeschef der Christdemokraten und vertritt die CDU als Abgeordneter seit 1999, erst auf Bezirks-, dann auf Landes- und Bundesebene. 2021 war er Spitzenkandidat wie bei der nun zu wiederholenden Wahl zum Abgeordnetenhaus und seither Fraktionsvorsitzende.
Trotzdem läge ebendiese so unbeliebte Frau Giffey bei einer Direktwahl des Regierungschefs klar vorne, weit vor Ihnen und noch weiter vor der Grünen Bettina Jarasch.
Bei einer ganz aktuellen repräsentativen Umfrage liege jetzt ich an der Spitze. Es geht aber gar nicht so sehr um Personen …
… dafür sind diese Personen aber gerade oft auf Wahlplakaten zu sehen.
Es geht darum, eine Regierung hinzubekommen, die gemeinsam und auf Augenhöhe diese Stadt regiert, Probleme benennt, anpackt und dann auch abstellt. Das haben wir in den vergangenen sechs Jahren nicht erlebt und auf Augenhöhe innerhalb der Koalition sowieso nicht. Ich habe von Frau Giffey bei der Wahl vor anderthalb Jahren ganz oft gehört: Neustart. Geblieben ist ein quälendes Weiter-so.
Das hilft Ihnen ohne Partner neben der FDP alles nicht. Dem links-grünen Bündnis, jetzt bei 50 Prozent, reichen am Wahlabend 47, 48 Prozent der Stimmen für eine Mehrheit im Parlament, auch wenn Sie weit vorn liegen.
Ich glaube nicht, dass sich andere Parteien einfach darüber hinwegsetzen, wenn die CDU von den Berlinerinnen und Berlinern einen klaren Auftrag zur Regierungsbildung bekommt. Da gibt es demokratische Spielregeln, die für alle Parteien gelten.
Von solchen Spielregeln steht aber nichts in der Verfassung: Derzufolge wird Regierungschef, wer im Parlament eine Mehrheit hat, und nicht automatisch der Wahlsieger.
Das ist alles Zukunftsmusik. Das Gute ist doch, dass am 12. Februar die Berlinerinnen und Berliner entscheiden, wie sich das Landesparlament zusammensetzt.
Wenn es diese Zusammensetzung hergibt, was wäre Ihnen lieber: eine Koalition mit den Grünen oder mit der SPD?
Das werden Sondierungsgespräche nach der Wahl ergeben. Mir ist wichtig, dass es wirklich einen politischen Neustart gibt: Eine Verwaltung, die dann auch wirklich funktioniert, eine Verkehrswende, die alle in den Blick nimmt – und dass wir mehr für bezahlbare Mieten und für den Wohnungsneubau tun. Entscheidend wird dann sein, wo es die meisten Schnittmengen gibt.
Beim Thema Mieterschutz haben Sie zwar ein auch die CDU überraschendes Papier vorgelegt. Aber Sie waren im Bundestag baupolitischer Sprecher, als es CDU und CSU dort darum ging, den Mietendeckel zu kippen und die Mietpreisbremse löchrig zu gestalten.
Mit der Mietpreisbremse hat die CDU-geführte Bundesregierung ein neues Instrument des Mieterschutzes geschaffen. Wir haben sie in der letzten Legislaturperiode sogar noch verschärft. Ich erwarte einfach vom Senat, dass er die Instrumente, die der Bund uns gibt, konsequent durchsetzt. Wenn ich sehe, wie die Mieten in Berlin in den letzten Jahren gestiegen sind, dann ist das ein stärkerer Anstieg als in jedem anderen Bundesland.
In anderen Bundesländern ist allerdings meistens auch die Nachfrage geringer.
In Berlin ist der Druck besonders groß, keine Frage. Aber warum ist das so? Weil der Senat zu wenig bezahlbaren Wohnraum schafft. Nicht nur jetzt, in Zeiten, wo es schwieriger geworden ist durch Putins Angriffskrieg auf die Ukraine, auch vorher schon. In einer wachsenden Stadt mit immer mehr Menschen, auch mit vielen Geflüchteten, die natürlich auch Wohnraum benötigen, funktioniert dann logischerweise irgendwann der Wohnungsmarkt nicht mehr.
Das ist ja nun aber keine neue Erkenntnis.
Aber die Koalition hat nichts daran geändert. Wir müssen den Spagat schaffen: auf der einen Seite Mieter schützen, auf der anderen den Neubau vorantreiben, gerade im bezahlbaren Bereich. Wir haben im rot-grün-roten Berlin eine Million Menschen mit Anspruch auf einen Wohnberechtigungsschein, aber es gibt nur noch 97.000 Sozialwohnungen. Wenn wir hier nicht schnell bauen, wird diese Lücke noch größer, weil auch immer mehr Wohnungen aus der Sozialbindung rausfliegen.
Damit sind Sie ja gar nicht so weit weg von der Linkspartei. Deren Spitzenkandidat, Klaus Lederer, will eine Milliarde pro Jahr mehr investieren, damit die landeseigenen Unternehmen 7.000 Wohnungen bauen.
Es gibt da zwei entscheidende Unterschiede zur CDU. Der erste: Klaus Lederer regiert seit mittlerweile sechs Jahren mit und hat das Problem nicht gelöst. Er hat es stattdessen mit verschärft.
Er ist aber nicht der Bau-, sondern der Kultursenator.
Aber es gibt auch eine Gesamtverantwortung im Senat. Und Klaus Lederer nimmt ja nicht nur bei Kulturthemen an den Senatsabstimmungen teil. Der zweite Unterschied ist, dass er sagt, dass ausschließlich die landeseigenen Unternehmen den Sozialwohnungsbau leisten sollen …
… weil die Privatunternehmen in dem Feld wenig tun und die Fördertöpfe dafür kaum nutzen.
Aber warum ist das denn so? Weil die Förderinstrumente des Landes in der sozialen Wohnraumförderung nicht mehr attraktiv sind. Der Senat hätte schon längst die Förderbedingungen anpassen müssen. Wir werden die große Lücke bei den Sozialwohnungen ohne die privaten Unternehmen nicht schließen können.
Seit vielen Jahren arbeiten Sie ja an einer Koalition mit den Grünen. Aber deren linker Flügel, ohne den dort kaum etwas läuft, will nichts von Ihnen wissen. Worauf bauen Sie da irgendwelche Hoffnungen?
Wenn man vertrauliche Gespräche führt, dann muss das auch vertraulich bleiben. Ich führe viele Gespräche und habe viele Kontakte mit Grünen, SPD und natürlich der FDP. Übrigens auch menschlich, denn oftmals gelingt eine gute Politik erst dann, wenn man auch menschlich miteinander kann.
Sie sitzen dabei gern mal mit Grünen-Fraktionschef Werner Graf zusammen, angeblich wegen der Qualität Ihrer Kaffeemaschine. Geht es da noch um mehr als ebendiesen Kaffee und geteilte Leidenschaft für Hertha-Bundesliga-Fußball?
Also, Werner Graf und ich, wir sind beide leidende Hertha-Fans, und im Moment leiden wir noch viel mehr [Hertha hat die ersten Spiele 2023 verloren – Anm. d. Red.]. Wir sprechen aber nicht nur über Hertha. Auch wenn wir häufig nicht einer Meinung sind, sind das gute Gespräche über viele Themen.
Worüber denn konkret?
Ich habe ja gesagt: Es sind vertrauliche Gespräche. Sonst könnten Werner und ich gleich Pressekonferenzen dazu machen.
Bettina Jarasch ist wegen der CDU-Vornamen-Anfrage stark auf Distanz zu Ihnen gegangen. War diese Frage wahlstrategisch bewusst gestellt? Oder ist sie zufällig auf eine längere Frageliste geraten?
Mir war wichtig, dass wir die Gewalt gegen die Einsatzkräfte vollumfänglich aufklären. Und kurz nach Silvester hatten wir die Situation, dass SPD und Grüne verschleiern und nicht Klarheit schaffen wollten über die Täterkreise. Inzwischen hat die SPD-Bundesinnenministerin deutlich gemacht: Es waren vor allem junge Männer mit Migrationshintergrund. Eines ist dabei klar: Vor Gericht sind alle gleich, egal ob man Mehmet oder Martin heißt.
Worum geht es Ihnen dann?
Mich treibt um, dass wir es mit jungen Männern zu tun haben, die hier geboren, hier aufgewachsen sind und sich trotzdem nicht dazugehörig fühlen. Das müssen wir durchbrechen. Und dazu müssen wir diese Leute gezielt ansprechen. Ich brauche Vorbilder, Sportler, Musiker, Rapper zum Beispiel, die Perspektiven aufzeigen und auch sagen: Leute, bis hierher und nicht weiter.
Hat es der Berliner CDU geholfen, dass Ihr Bundesvorsitzender Friedrich Merz von „kleinen Paschas“ gesprochen hat? Oder hat Ihnen das zumindest bei liberalen bürgerlichen Wählern geschadet?
Leider wird Friedrich Merz da immer sehr verkürzt wiedergegeben. Er hat weder gesagt noch gemeint, dass alle sich wie kleine Paschas verhalten, sondern auf diejenigen Bezug genommen, die leider nicht gut integriert sind.
Angeblich wollte Friedrich Merz Sie als Spitzenkandidat austauschen. Was ist das für ein Gefühl, wenn Sie jetzt zusammen Wahlkampftermine absolvieren?
In der Tat haben Zeitungen so etwas berichtet. Ich hatte lange vor meiner erneuten Nominierung als Spitzenkandidat ein sehr, sehr gutes Gespräch mit Friedrich Merz über die Unterstützung durch die Bundespartei. Nachdem diese Berichte erschienen waren, hat er ja sofort klargestellt, dass er mich unterstützt. Ein toller Beweis dafür ist, dass wir jetzt die Fassade des Konrad-Adenauer-Haus [die CDU-Bundeszentrale am Tiergarten – Anm. d. Red.] verwenden können. Auf 320 Quadratmetern steht da „Berlin feiern, Senat feuern“. So groß war die Unterstützung der Bundespartei noch nie.
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