Kaffee aus der Mokkakanne: Wiederentdeckung der Langsamkeit

Plötzlich ist sie wieder aufgetaucht, die kleine Mokkakanne aus dem Türkeiurlaub. Und mit ihr die Erinnerung an den Geschmack des Erwachsenwerdens.

Eine Mokkakanne auf einem Holztisch, daneben Tassen und türkischer Honig

Die Mokkakanne bleibt dezent im Hintergrund, und ist doch der Star des Ensembles Foto: OZMedia/imago

Seitdem Pandemie ist, bekomme ich immer wieder erzählt, wie die Eingeweide von Wohnungen vergessene Dinge freigeben. Bei mir war es eine kleine Kanne mit Stiel, die wir einst für ein paar türkische Lira auf dem Bazar von Bodrum erstanden haben. Mokka macht man damit, ein paar Mal war sie nach dem Urlaub an der Ägäis noch in Gebrauch, wanderte dann auf ein Regalbrett (neben ein tönernes Olivenschälchen aus der Provence und eine wunderschöne Fischkonserve aus Dänemark). Irgendwann stellte sie einer von uns unter den leicht tropfenden Siphon im Spülschrank.

Jetzt ist sie wieder aufgetaucht. Und es ist doch erstaunlich, wie ein kleines Gefäß aus Metall, das nicht mehr als hundert Milliliter Wasser, vier Teelöffel Kaffeepulver und genauso viel Zucker fasst, einem einen ganzen Abend versüßen kann. Welche Erinnerungen es freisetzt, wenn man an dem brühend heißen Kaffee nippt und gleich Pulverreste wie Sand auf der Zunge und an den Zähnen spürt.

Nicht nur in den Urlaub in Bodrum, auch zu meiner ersten Reise nach Griechenland fühle ich mich zurückversetzt. Mit Interrail ging es im Orientexpress nach Thessaloniki, und schon als ich im Münchner Hauptbahnhof an Gleis 14 den Zug bestieg, roch es im Abteil nach verbranntem Kaffee.

Dieser typische Duft des griechischen Mokkas sollte mich die nächsten vier Wochen begleiten, auf die Peloponnes, nach Athen, zum Berg Athos und wieder zurück. Ein Tässchen Mokka am Morgen, am Wochenende einen Frappé, das war der Luxus auf dieser ersten Fahrt ganz allein ohne Eltern oder Freunde. Der dickflüssige Schluck dieses bittersüßen Getränks hat daher für mich den Geschmack des Erwachsenwerdens, bis heute.

Kaffeesatzlesen in Kreuzberger Nächten

Und während ich das Kännchen noch einmal auf den Herd setze und der Kaffee aufschäumt, erzählt meine Partnerin von den vielen Abenden in der WG in Kreuzberg, wo Mokka um Mokka kredenzt wurde, bis spät in die Nacht. Ihre Vermieterin und Mitbewohnerin war Türkin und die Kombination von Raki und Kaffee putschte die Fantasie der drei Frauen, die sich die Wohnung teilten, so sehr auf, dass sich beim Kaffeesatzlesen die Zukunft erst nach dem vierten Tässchen um zwei Uhr nachts im Muster der schwarzen Schmiere auf der Untertasse abzeichnete. Welche Zukunft?, frage ich. Es ging immer nur um die Zukunft der Liebe, sagt sie und lächelt.

Da triggert ein kleiner Schluck eine Erinnerung um die nächste, schafft es sogar, den Coronablues zu vertreiben, aber trotzdem hat man diese Art des Kaffees seit einer Ewigkeit am Boden des Küchenschrankes vergessen. Und ja nicht nur ich. Seit Jahrzehnten ist Kaffee Trendgetränk. Das klingt wie ein Widerspruch, aber es sind immer neue Trends, nicht zuletzt wegen der ständig wechselnden Arten der Zubereitung. Zwischen French Press und Irish Coffee, Bialetti-Kanne und Schümli-Kaffee, Latte macchiato und Handfilter: Sollte da nicht auch Platz für den Mokka mitsamt Stielkännchen sein?

Ist es, aber bislang nicht hierzulande, lerne ich bei einem Gespräch mit Sinan Muslu. Er ist Fotograf in Siegen und hat 2019 an der Kaffeeweltmeisterschaft in der Disziplin Mokka teilgenommen. Überall dort, wo diese Art der Kaffeezubereitung fest verankert ist, denken sie darüber genauso nach wie hierzulande Kaffeenerds über Espresso oder Filterkaffee.

Das, was man Third Wave Coffee nennt – die kompromisslos auf Qualität orientierte Sicht auf Kaffee von der Plantage bis zur Tasse –, umfasst inzwischen in Ländern wie der Türkei und Griechenland auch das Mokkakännchen, von den Küsten des Mittelmeers reicht es inzwischen sogar über die Ukraine bis nach Russland und Korea. Das kleine Töpfchen heißt je nach Land entweder Cezve oder Ibrik, und danach ist auch der Wettbewerb benannt: Cezve/Ibrik Championships. Muslu wurde Dritter, hinter einem Russen und einer Ukrainerin.

Der frisch geröstete Geruch nach Kindheit

Sein Vater ist Türke, erzählt mir Sinan Muslu am Telefon, jedes Jahr fuhr die Familie in seiner Kindheit in den Urlaub in die Türkei. Und dort roch es unfassbar gut nach frisch geröstetem Kaffee. „Die Bohnen wurden jeden Tag in der Pfanne geröstet und mit einer Handmühle gemahlen.“

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Es handelt sich um die älteste und ursprünglichste Art der Kaffeezubereitung, seit 2013 ist der Mokka Teil des immateriellen Weltkulturerbes der Unesco. Es gibt zwei wichtige Unterschiede zu den anderen Zubereitungsweisen: Das Pulver wird viel feiner gemahlen, sogar noch feiner als für Espresso. Und es wird nicht mit heißem Wasser aufgebrüht, sondern im Ibrik gleichzeitig mit dem Wasser erhitzt, bis der Mokka aufschäumt. Dass der Kaffee oft mit Kardamom, Zimt oder auch sehr süß getrunken wird, liege daran, dass der Kaffee ganz früher oft sehr bitter war, weil die Bohnen verbrannten, wenn sie über der offenen Glut in der Pfanne geröstet wurden, erklärt der 37-Jährige.

Gewürze und Zucker sind heute nicht mehr notwendig. Professionelle Mokkamacher achten auf Herkunft und Qualität der Bohnen, Röst- und Mahlgrad, Wasserhärte, Temperatur und Zeit beim Erhitzen. Alles für den perfekten Geschmack. In Berlin gibt es bisher eine Kaffeebar, bei der man derartigen Third Wave Mokka bekommt. Sie heißt Ben Rahim und liegt am Hackeschen Markt. Ich musste nach meinem Gespräch mit Sinan Muslu gleich dorthin. Der Mokka schmeckte fruchtig, aber gar nicht sauer, und hatte zugleich eine starke Note von schwarzen Oliven.

Der Faktor Zeit

Gibt es einen Unterschied in den Kaffeekulturen, der verhindert, dass der Mokka in seinem modernen Gewand es diesseits der Alpen bisher zu Bekanntheit gebracht hat? Über diese Frage spreche ich mit Muslu am längsten. Es könnte, stellen wir am Ende fest, der Faktor Zeit sein.

Vergleicht man den Mokka mit dem Espresso, dann fällt auf, dass letzterer eine Erfindung aus Zeiten der Beschleunigung ist, nämlich vom Anfang des 20. Jahrhunderts. Aus jener Zeit also, als das Auto aufkam und das Telefon, als Innovation Fortschritt hieß. Espresso, das Getränk des gestressten Großstädters.

Anders der Mokka. „Der Cezve braucht Zeit und Gemeinschaft“, sagt Sinan Muslu. Er wird gemächlich zelebriert: bei der Zubereitung, beim Genuss – man muss warten, bis sich das kochend heiße Getränk genügend abgekühlt hat und der Kaffeesatz abgesunken ist. Und dann braucht man Zeit, um im Kaffeesatz gemeinsam die Zukunft zu lesen. Oder Zeit, um in Erinnerungen zu schwelgen.

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